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Die große Mode heißt Pullover. Meine Frau braucht einen Pullover. Meine Tochter will einen Pullover. Mein Sohn besteht auf einem Pullover. Das Dienstmädchen spitzt sich auf einen Pullover. Macht zusammen vier Pullover. Ich weiß, ich werde viermal in den sauren Apfel beißen müssen – was will einer gegen eine große Mode machen?
»Schön,« sage ich, »kaufen will ich sie, aber ich verbitte mir das Fremdwort.«
Sie wurden überlegen. Pullover ließe sich nicht übersetzen.
»Ist auch nicht nötig. In England hat man's auch nicht übersetzt. Man hat's geheißen, wie man wollte, englisch selbstverständlich. Heißen wir es auch so, auf deutsch natürlich.«
Sie lächelten. »Wie zum Beispiel?«
»Zum Beispiel Überzieher.«
Sie lachten. Das sei ganz was anderes.
»Na, dann Überschwupper.«
Meine Kinder brüllten vor Gelächter: »Überschwupper«, so was Blödes gäb' es nicht leicht wieder.
»Kinder,« sag ich, »ihr seid jung und wißt nicht, wie's in meiner Jugend von Gelächtern über Deutschland fegte, als man ›Kondukteur‹, ›Perron‹ und ›Observatorium‹ eingedeutscht hat.«
»Na, womit denn?« wurden sie begierig.
»Mit ›Schaffner‹, ›Bahnsteig‹ und ›Sternwarte‹.«
Sie wurden wieder überlegen: Das seien ganz vernunftgemäße Worte.
»Heute. Damals bog man sich vor Lachen. ›Schaffner? schafft er oder wird ihm angeschafft?‹ – ›Bahnsteig? Haha, wenn die Bahn nun aber nicht steigt, sondern fällt?‹ – ›Sternwarte? 's ist um zu platzen, warten da die Stern, oder werden sie gewartet wie man kleine Kinder wartet?‹«
»So was Blödes, Vater.«
»Nanntet ihr nicht eben meinen ›Überschwupper‹ auch blöd?«
»Weißt du, man muß an – sei nicht bös – an ›Überschnappen‹ denken.«
»Ganz richtig, so hieß es auch von ›Schaffner‹, ›Bahnsteig‹ und ›Sternwarte‹.«
»Höre, Vater, wenn du nur bei einer Handvoll zeitgemäßer Menschen durchsetzt, daß sie ›Überschwupper‹ sagen statt Pullover, dann –« sie stockten.
»Dann?«
»Dann zahlen wir uns unsere Pullover selbst aus unseren Sparkassen – nicht wahr, Mutter?«
»Hm, euer Vater hat schon Dinge durchgesetzt, Dinge –«
»Einen ›Überschwupper‹, haha, haha, einen – einen – haha – Über–Überschwupper setzt er nicht durch, Mutter – Fanny, tun Sie auch mit bei der Wette?«
Die Fanny ist für's Sichere: »Erst muß i'n ham, mein Bulober, nacha wett' i.«
Schon am nächsten Tage ging ich zu Bamberger & Hertz. Bamberger & Hertz sind das größte Geschäft am Platze.
Sie haben einen eigenen Grußdirektor. Hinter der großen Drehtüre stand er, verbeugte sich und drehte seine Hände im gleichen Zeitmaß wie die Türenflügel umeinander: »Welche Abteilung wünschen der Herr?«
»Abteilung Überschwupper.«
»Wie?« Die Hände bekamen das doppelte Zeitmaß der Drehtüre. »Wie, bitte, wie?«
»Überschwupper.«
Die Hände bekamen das dreifache Zeitmaß. Dann standen sie plötzlich still: »Der Herr meinen Mäntel?«
»Überschwupper, meine ich.«
Die Hände wurden rasend. »Ach so, jaja, natürlich – dritten Stock links, bitte.«
Im dritten Stock links hingen dreitausend Radfahranzüge. Der Radfahranzügeabteilungsvorstand drehte die Hände: »Der Herr wünschen?«
»Einen Überschwupper.«
»Einen – einen was?«
»Überschwupper – Sie werden doch wohl Überschwupper kennen?«
»Gewiß, gewiß – natürlich – Überschwupper – selbstverständlich – darf's was in Grau sein oder Blau – hier zum Beispiel hätte ich ganz was Preiswertes in Dunkelgrün.«
»Aber, lieber Herr, das sind doch Radfahranzüge –«
»Freilich, freilich – ich dachte nur – hm, ja, ich dachte – hm, ja –«
» Was dachten Sie?«
»Hm – nun ja, ich dachte – sozusagen – gewissermaßen – es käme Ihnen so genau nicht darauf an –«
»Wenn ich einen Überschwupper will, kommt es mir auf Überschwupper an, Verehrter.«
»Überschwupper – natürlich – Überschwupper – Lift, bringen Sie den Herrn in den ersten Stock rechts.«
Im ersten Stock rechts hingen fünftausend Hosen. Der Hosenabteilungsvorstand drehte die Hände: »Sehr erfreut – mit welcher Art Hose –«
»Hose? Einen Überschwupper will ich.«
Der Hosenabteilungsvorstand schielte zum Telephon. Ich sah's ihm an, die Nummer der öffentlichen Sanität ging ihm durch den Kopf. Ich sagte ihm das.
»Wo denken Sie hin,« beteuerte er, in fünftausend Hosen wühlend, in fünftausend Hosen sich vergrabend, in fünftausend Hosen verschwindend.
Ich verschwand auch. In den zweiten Stock, wo siebentausend Mäntel hingen. Der Mäntelbedienungsmann hing am Abteilungstelephon. Ich sah's von hinten an der Biegung seines Rückens, sah's am Schielen gegen mich, er wurde verständigt, es wurden ihm Verhaltungsvorschriften gegeben, wie man Verrückte schonungsvoll behandle.
Ich sagte ihm das. Er wurde verwirrt. Ich sagte ihm, ich sähe schon, hier hingen siebentausend Mäntel, keine siebentausend Überschwupper. Er nickte an die dreißigmal.
Als ich zur Treppe ging, hörte ich ihn zum Gehilfen sagen: »Ich weiß nicht, was die andern haben – der ist doch nicht verrückt, der ist ja ganz normal – er sah doch auf den ersten Blick, daß dies Hosen sind und keine Überschwupper –«
»Was sind denn Überschwupper?« wagte der Gehilfe.
»Überschwupper? Was geht's mich an – mich gehen Hosen an – um Überschwupper mag sich der– der Überschwupperabteilungsvorstand kümmern.«
Den fand ich endlich im Erdgeschoß. Dort hingen dreißigtausend Überschwupper. Natürlich, was in Mode ist, gehört bequem ins Erdgeschoß.
»Na,« sagte ich, »da haben Sie ja eine Riesenmenge Überschwupper.«
»Wie, bitte – wie haben Sie soeben ganz richtig bemerkt?«
»Daß hier eine Menge Überschwupper seien,« sagte ich und sah ihn fest an, hypnotisch sozusagen.
»Überschwupper?« sagte er schüchtern, »Sie meinen wohl Bulober?«
»Ich meine Überschwupper.«
»Gewiß, gewiß, man kann auch Überschwupper sagen, wir freilich sagen hier Bulober.«
»Das ist schade.«
»Der Herr meinen, weil das englisch ist?«
»Bulober englisch? I bewahre.«
»Bulober ist englisch.«
»Sie müssen schon erlauben, daß ich englisch gut verstehe und unterscheiden kann, was B ist und was P.«
»Ach so, Pulober also?«
»Ein Ober ist ein deutscher Kellner.«
»Nu, Pulover, nicht wahr.«
»Das o ist lang, Verehrter, mit einem Stich ins a – so etwa: o(a).«
»Pulo(a)ver,« schnappte er.
»Das l ist Doppel-l, mein Lieber, und muß auf der Zungenspitze vorne rollen – so: llll –«
»Lllll« – er schwitzte, »Bullo(a)ver.«
»Jetzt sind Sie wieder in das weiche B gerutscht. Hören Sie: Pullover – Pullover – na, ist Ihnen nicht ganz wohl?«
»Ach, wissen Sie, das Englische ist doch zu blöd.«
»Bei einer deutschen Firma allerdings.«
»Und Überschwupper ist bedeutend leichter auszusprechen.«
»In Deutschland, nicht in England.«
»Und da wir doch in Deutschland sind –«
»– verkaufen Sie mir einen Überschwupper, einverstanden. Zunächst mal für meinen Sohn, hier sind seine Maße ... der Überschwupper dort hat seine Lieblingsfarbe.«
»Gut, mein Herr, den lege ich zurück – ich nehme an, daß Ihr Herr Sohn noch selbst hierher kommt, um den Überschwupper –«
»Richtig. Jetzt für meine Tochter einen Überschwupper.«
»Sehr wohl, wie wäre es mit einem Überschwupper in Bleu?«
»Blöd?«
»Entschuldigung, ich meinte Blau ...«
Beim dritten Überschwupper, den ich zurücklegen ließ, kam der verständigte Generaldirektor selbst herbei: »Ich höre da von einem neuen Wort, Herr Doktor, und finde, es ist gar nicht übel – gar nicht übel –«
Beim vierten Überschwupper stand Kommerzienrat Bamberger selbst da. Er sagte, er habe stets Verständnis für vernünftige Sprachreinigung aufgebracht, und er finde, Überschwupper passe sich auch lautlich so vorzüglich an und präge sich so ausgezeichnet dem Gedächtnis ein – »unter uns, Herr Doktor: das Gedächtnis unserer Kunden ist für uns von höchstem Wert – Herr Direktor, ordnen Sie an, daß von heute ab diese würdelosen ausländischen Namen zu verschwinden haben – nicht nur in den Auszeichnungen, bitte – auch im Verkehr mit unseren Kunden – mündlich oder schriftlich – und ein für allemal – wir sind Deutsche und in Deutschland ...«
*
Als ich am nächsten Tage mit meiner Familie, unsere Köchin eingeschlossen, durch die Drehtüre schritt, begrüßte uns der Grußdirektor ehrerbietig.
Ich überließ es meiner Frau, zu sprechen: »Wir hätten gern Pullovers –«
»Sie meinen Überschwupper – gleich hier im Erdgeschoß – Herr Fischer, führen Sie die Herrschaft zu –«
»– den Überschwuppern? Gerne – wenn ich nicht irre, handelt es sich um reservierte –«
»Zurückgelegte, bitte.«
»Sehr wohl – Herr Bröselmann, die zurückgelegten –«
»– Überschwupper, weiß schon.«
Ich wandte mich an meine erstarrte Familie: »Genügt die Handvoll Menschen oder muß ich alle hundertdreiundachtzig Angestellten einzeln euch von Überschwuppern sprechen lassen?«
Frau und Kinder waren sprachlos.
Nur unsere Fanni sagte: »Gnä Herr, i muß bitten, i hab' net g'wett – i hab' g'sagt, z'erst muß i'n ham, mein' – mein' – Bu–Bu–Bulober – Bulober – Buloberüberschwupper, bittschön ...«