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Es gibt viele Dosen. Früher waren sie aus Silber und was Seltnes. Jetzt sind sie aus Blech und ihre Zahl ist unermeßlich. Augenblicklich sind es schätzungsweise elf Milliarden Dosen. Das bedeutet auf den Kopf der Erde, Kinder mitgerechnet, sieben Dosen.
Ohne Unterbrechung werden sie gestanzt, gefüllt, verlötet. Dosenströme ziehen um die Erde bis nach China. Dosenheere werden eingekauft, bezahlt, geöffnet – hm, geöffnet? Sah schon jemand jemals einen Menschen eine Dose öffnen?
Laßt mich bei der Wahrheit bleiben. Alles kann man mit Konservendosen machen, dutzendweise im Rucksack sie verstauen, auf die Berge schleppen, sie verlieren, wiederfinden, wenn man obdachlos geworden, sogar Hütten aus Konservendosen bauen, darin unterkriechen, alles, alles lassen sie geschehen, nur sich öffnen lassen sie sich nicht.
Ich vermute, der die Dosen machte, hat sie schwören lassen, niemals sich ins Innre sehn zu lassen, lieber sterben.
Menschen mögen Schwüre brechen – fraget Bräute, fraget Diplomaten – Dosen brechen nicht.
Gewiß, da sind die Dosenöffner. Das Ladenfräulein hinterm Bahnhof wies uns siebzehn Arten Dosenöffner vor. Es waren zierliche darunter. Ich dachte erst, es seien Damennagelfeilen. Es waren andre da, die hielt ich für Dampfhämmer. In einem seien alle gleich, behauptete das Fräulein, spielend könne man mit ihnen jede Dose öffnen.
»Bitte,« sagte ich.
Die andern wandten ein, fürs Spielen sei die Zeit zu kurz, in fünf Minuten ginge unser Zug. Mit zwei Dosen und sechs Öffnern ausgerüstet, kriegten wir ihn grade noch.
In unsrer Hütte auf den Bergen wurden wir vergnügt und hungrig. Alles Mitgebrachte war schon aufgegessen. Blieben noch die beiden Dosen.
Sie wurden auf den Tisch gelegt. Sinnend saßen wir darumherum. Plötzlich hoben wir mit einem Ruck den Kopf und sagten wie aus einem Munde: »Macht sie auf!« Keiner rührte sich. Endlich meinte einer: »Stellt euch doch nicht an, es ist ganz einfach.«
»Gar mit diesen Dosenöffnern,« sagte der zweite.
Diesen beiden wurden die zwei Büchsen in die Hand gegeben. Sie zogen sich zurück. Aus zwei Ecken fing es an zu krachen. Das Krachen währte eine hübsche Weile.
»Nun, bald fertig?«
»Das G'lump, das miserable!« – – »Das Hundszeug, das verdammte!«
Neues Krachen. Dann zwei Schreie. Aus den beiden Ecken schlenkerten zwei Finger blutend nach der Hüttenmitte: »Eine Viecherei ist's!« – »Diese gottverfluchte Schinderei!«
Wir andern darauf weise: »Tja, umgehn muß man eben können.«
Hingeschmißne Dosen, hingeschmißne Dosenöffner: »Geht halt ihr um!«
Wir gingen sorgsam um – die Dosen. Dann noch sorgsamer um die Schlüssel. Dann erklärten wir, so einfach sei die Sache nicht. Gar mit diesen grauenhaft verbeulten Dosen und mit diesen blödverbognen Schlüsseln.
»Kinder, kühles Blut, man muß es wissenschaftlich fassen – dieser Ansatz muß in diese Öse – ist ja kinderleicht – jetzt nur noch einfach drehen.«
»Dreh doch!«
»Ich drehe ja!« Er wurde blau vor Drehen. Es fing ihn selber an zu drehen. Die Dosen blieben, was sie waren, ehern geschlossen.
»Andersrum!«
Wir drehten andersrum. Wir drehten hinum, herum. Wir drehten herum, hinum. Wir drehten hinum, hinum. Wir drehten herum, herum. Wir drehten hinum, herum, hinum. Wir drehten herum, hinum, herum. Alles in der Hütte drehte sich, nur nicht das Dosenblech.
»Hebelgesetz, Kinder! In dem umgedrehten Schlüsselschlitz wird einfach dieser zweite Schlüssel umgedreht – los!«
Es krachte und es wimmerte. Wir hielten es fürs Wimmern des bezwungnen Dosenblechs. Das war eine Täuschung.
»Vorwärts, Kinder, einen dritten Schlüssel in den zweiten Schlüssel unterm ersten Schlüssel – holupf!«
Ein Geschrei. Wir flogen an die Wände. Auf dem Tische glänzten unversehrt die Dosen.
»Die Sauschlüssel! Weg mit ihnen! Eine Dose muß man mit der andern Dose unterkriegen, ein Mistviech immer mit dem andern Mistviech, das ist das Geheimnis, gebt's dem Luder!«
Wir gaben es dem Luder. Wir verprügelten eine Dose mit der andern Dose. Das Ergebnis waren siebenundvierzig zerschundene Finger, bei fünf Köpfen also nahezu das Maximum.
»Halt, ich hab's, ein Beil!«
Das Hüttenbeil wurde ausgegraben. Die Dosen wurden vor der Hütte auf granitnen Fels gestellt. Einer zielte, schwang die Axt, machte eine Pause, zielte wieder, schwang und zielte, zielte, schwang und wandte sich ermattet ab: »Ich kann nicht töten!«
»Drückeberger, her damit!« Die Axt erklang, der Fels wies einen Spalt auf, friedlich glänzte nur die unversehrte Dose.
»Eine Zündschnur wenn wir hätten!«
»Rindvieh, dann müßte erst die Dose offen sein, damit das Pulver reinkommt!«
»Ha, Pulver!« sagte einer feierlich, »geht auf die Seite!«
Er zog einen Revolver. Er zielte mit einer grauenhaften Umständlichkeit. Er ließ uns weiter auf die Seite gehen. Er bekam einen alttestamentarischen Ausdruck. Er hieß uns einen Choral anstimmen. Er hob zwischen jeder Strophe die Hände wie Moses. Bei der letzten Strophe schoß er.
Ein Jubelschrei. Der Dampf verzog sich. Wir schritten auf den Fels zu. Es war keine Spur von beiden Dosen mehr zu sehen. Langsam durch die blaue Bergluft fiel ein Stück von einer bleichen Gräte nieder.