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Dienen

Unsre Rosel war schon an die fünfzehn Jahre da. Fünfzehn Jahre lang hielt sie die Zimmer sauber, kochte, wusch und putzte, schlug die Betten auf am Abend, bettete sie auf am Morgen – es kommt eine hübsche Last an Sorge, Güte, Kümmernis zusammen, die ein solches Mädchen ihrer Herrschaft tragen hilft in fünfzehn Jahren.

Geht die Herrschaft auf die Reise – sie bleibt da und sorgt. Kommt die Herrschaft von der Reise wieder – sie ist da und sorgt.

Einmal nahmen wir sie mit, die Rosel. Wir übernachteten in einer fremden Stadt. Das Hotel war uns was gang und gäbes. Nicht so der Rosel. Nie noch hatte sie Hotels betreten.

Verwundert sah sie, wie die Menschen im Hotel sich zu benehmen hatten. Sie begriff nicht, daß man, ehe man sich niederlegen durfte, Zettel auszufüllen hatte mit Woher, Wohin, Geburtsjahr, Namen und so weiter. Sie dachte sich, welch lange Zettelreihe es ergäbe, wenn die Menschen, denen sie in ihrem langen Dienstmagdleben schon die Betten aufgebettet hatte, ihre Namen eingeschrieben hätten.

Sie erstaunte, daß die Gäste, denen man, sich oft verbeugend, sagte, sie beehren das Hotel, diese Ehre auch noch zahlen sollten.

Vertraut war ihr allein, daß alle Gäste sich bedienen ließen und auf Knöpfe drückten. Es schien im ganzen Hause immerzu zu klingeln. Sie sah von ihrem Zimmer immer wieder auf den Gang heraus, daß ihr jemand sage, ob das Klingelzeichen ihr gegolten habe.

Immer wieder schaute sie in unser Zimmer, ob wir sie nicht nötig hätten.

»Nein, Rosel, danke schön, man hat uns schon bedient.«

Sie hielt das nur für eine Redensart: Wer denn sonst als sie hat ihre Herrschaft zu bedienen?

Gegen Abend stürzte sie aus ihrem Zimmer: Sie habe ihr Bett aufgeschlagen vorgefunden, wer sich unterstanden hätte.

»Das Zimmermädchen, Rosel.«

Das sei sie, bitte, selber und sie ließe sich das nicht gefallen. Ihr Bett, das mache sie, solang sie denken könne, habe sie ihr Bett gemacht.

Wir redeten ihr zu. Aber sie zitterte. Mißtrauisch ging sie in ihr Zimmer. Sie hat sich lange nicht entschließen können, in ihr von fremder Hand gemachtes Bett zu steigen. Die halbe Nacht ist sie davor gesessen.

Am andern Morgen, als wir aufgestanden waren und beim Frühstück saßen, hörten wir's von oben her durchs offne Fenster schelten.

»Das war Rosels Stimme,« sag ich, Unheil ahnend.

Wir eilen hinauf. Da steht sie auf dem Gange, die Arme in den Hüften, auf ein schnippisch kicherndes Zimmermädchen donnernd: »Was fällt Ihnen denn ei', Sie verruckte Wachtel: meiner Herrschaft d'Betten z'machen! Was geht Ihnen denn das an. Das is mei' Sach, Sie damische Urschel, und überhaupts is des ganz falsch gmacht, Sie spinnets Flietscherl,« warf die Betten wieder durcheinander: »des ghört aso – aso – und aso ...«

Und hat die Betten wieder neu gemacht.

Für uns. Wie seit fünfzehn Jahren.

In diesem Augenblicke scholl's vom andern Gangende her, wo die Rosel geschlafen hatte, donnerwetternd: »Wer hat denn des Zimmer aufgräumt?«

Ein andres Zimmermädchen, ähnlich aufgebracht wie unsre Rosel, hatte die Arme in die Hüften gestemmt: »Was fällt denn Ihnen ei', das is mei Sach – und überhaupts, daß Sie's wissen, Sie Gschaftlhuberin, des is ganz falsch gemacht, des ghört aso – aso – und aso.«

Unsre Rosel stand da, mit der Hand am Ohr. Sie horchte wie aufs Echo ihrer eignen Rede.

Jetzt hob sie den zwischen ihren Schultern eingezognen alten Dienstbotenkopf. Auf die andre ging sie langsam zu. Die verstummte plötzlich. Aller Wortschwall fiel zu Boden und zerstäubte.

Zwei alte Menschen sahn sich still ins Auge. Gleichzeitig nickten sie. Sie gaben sich die Hände nicht. Dienstboten geben sich nicht die Hand. Sie haben das nicht nötig, wie wir andern. Sie verstehen sich auch stumm.

Sie verstanden, daß sie beide dienten. Mir war's, als hörte ich es murmeln: »Mei' Sach? Dei' Sach – unser Sach.«

Dann gingen sie auseinander. Befriedigt. Wir dazwischen waren es nicht ganz: Dienten wir wie sie ...?


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