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Der Prozeß

Die Türe des Sitzungssaales öffnete sich auf den Gang hinaus. Der Gerichtsdiener schob den Kopf heraus, schaute unbeteiligt nach der Decke, faltete die Hände überm Bauch, drehte gelangweilt einen Daumen um den andern und verkündigte in das Stimmgewirr der wartenden Parteien hinein mit einer Stimme, als spräche er zu sich selber: »Lang gegen Schneeberger!«

Eine dicke Frau, ein dünner Mann traten ein.

»Sie sind Frau Lang?« sagte der Richter.

Die dicke Frau wollte Ja sagen. Sie konnte es nicht. Zu viel lag ihr auf dem Herzen. Monatelang hatte er sich angesammelt, der Groll gegen ihren Mieter. Hundert Dinge wollten sich zugleich entladen. Das verlangte Ja staute sich, blieb stecken. Nur nicken konnte sie, mehrmals heftig nicken.

»Schön,« wandte sich der Amtsrichter an den Hageren, »und Sie heißen Schneeberger.«

»Gewiß – zu dienen – mit dem größten Vergnügen,« sagte der Magere eifrig und heiter.

»Sehng S', Herr Amtsrichter, so is er!« rief Frau Lang empört.

»Wie meinen Sie das, Frau Lang?«

»Wie ich das mein'?« schlegelten ihre Arme, zitterte ihr Kopf und rollten ihre Augen, »wie ich das mein'? Wenn gegen einen Menschen so viel vorliegt, wie gegen den da, so, mein' ich, hätt' er allen Grund zur – zur Dasigkeit und net zum Maulaufreißen!«

»Ich bin mir nicht bewußt,« lächelte der Magere, »mein Maul aufgerissen zu haben.«

»Schon allein, daß er's si' auf amal hochdeutsch zerfranst, sei Maul, Herr Amtsrichter, des müssen S' selm sag'n, daß des eine Ver–höh–nung is.«

»Hm, wir könnten jetzt beginnen, wenn die Anwälte der beiden Parteien auch zur Stelle – ah, da kommen sie.«

Behaglich plaudernd waren sie erschienen. Der eine lachte und der andre nickte. Ein Herz und eine Seele schienen sie.

Frau Lang war sprachlos. Zum Richter fuchtelte sie hinauf: »Derf denn des sein! Hab i eahm dadaführ zahlt, daß er mit dem Schneeberger sein Anwalt umanandaschmust!«

»Außerhalb des Prozesses«, belehrte sie der Richter mit Humor, »steht es den streitenden Anwälten frei, ob sie sich die Hände drücken oder sich die Schädel gegenseitig weiterspalten wollen.«

»Ah, Frau Lang, schon da?« begrüßte sie ihr Anwalt, »ich kann Ihnen eine freudige Mitteilung machen –«

»Werd schö freudi sein,« grollte sie, »wenn Sie mit der andern Bagaschi so umanandaspeanzeln.«

»›Andre Bagasch‹ ist sehr gut,« lachte der gegnerische Anwalt, »Sie gestehen damit zu, daß Sie die ›eine Bagasch‹ sind.«

»Ham Sie's ghört, Herr Amtsrichter,« fuhr Frau Lang auf, »Bagasch hoaßt er mi – Bagaasch! – und ei'm solchenen gibt der mei' sei' Hand – gibt's dagegen gar kein' Barigrafen, Herr Amtsrichter!«

»Merkwürdig, Frau Lang,« lächelte der Richter, »bei den Akten liegt ein Brief von Ihnen ans Gericht, wo Sie sagen, daß Sie sich vor lauter Paragraphen nicht mehr auskennen, und jetzt verlangen Sie nach neuen?«

»Wo er Bagaschi gsagt hat –!«

»Das haben Sie gesagt, Frau Lang.«

»Des hätt i gsagt? Und wenn i's gsagt hätt, nacha hätt i's zu einer Bagaschi gsagt, die wo wirklich eine Bagaschi is, herentgegen ich eine alleinstehende Witfrau bin, die ihre ehrsamen Zimmer vermiet' und von solchene Schlawiner betrogn wird, daß man meinen könnt –«

»Zur Sache,« unterbrach der Richter, »Sie sprachen von einer freudigen Mitteilung, Herr Rechtsanwalt – haben Sie einen Vergleich vorzuschlagen.«

»Mehr als das – Herr Kollege,« wandte er sich an den gegnerischen Anwalt, »darf ich bitten, die Erklärung selber abzugeben.«

»Ab'kart't ham sie 's,« schrie Frau Lang, »verkauft ham s' mi' – b'stocha san s' – nix werd anerkennt, Herr Richter, schreib'n Sie's auf!«

»Erst müssen wir doch hören, was nicht anerkannt werden soll, liebe Frau.«

»Alles werd net anerkannt – nix werd net anerkannt – alles nix – nix alles,« schnappte Frau Lang, »und mein' Rechtsanwalt, der wo si' von die andern abschmier'n laßt, den bring i ins Zuchthaus!«

»Wenn Sie jetzt den Mund nicht halten, werde ich nicht umhin können, Sie in eine Ordnungsstrafe von zehn Mark zu nehmen.«

»Was, zehn Mark! I zehn Mark? Bevor 's no' angangen is'! Alle helfts z'samm! 's Gricht aa. Alle bring i enk ins Zuchthaus!«

»Mich eingeschlossen?« gewann der Münchner Richter wieder seinen Humor, »aber vorher werden Sie erlauben müssen, daß der Anwalt Ihres Gegners endlich erklären kann –«

»Ich erkläre,« sagte in die einfallende Stille langsam der Gegenanwalt, »daß ich nach Rücksprache mit meinem Mandanten und mit dem Anwalt der Klagspartei –«

»Sixt es – hab i 's net gsagt –«

»– die von Frau Lang für angebliche Mobiliarbeschädigungen –«

»Was angeblich! Nix angeblich –!«

»– für angebliche Mobiliarbeschädigungen ihres früheren Zimmerherrn Schneeberger beanspruchten 20 Mark anerkenne, nur um meinem friedliebenden Mandanten Ruhe vor den Anwürfen zu verschaffen und da er das Prozessieren an sich verabscheut –«

»Was verabscheut! – Wie verabscheut! Wen verabscheut –«

Des Herrn Schneebergers Zeigefinger hatte, man sah's an einem leichten Zucken, den Wunsch, auf Frau Lang zu zeigen: Sie!

Inzwischen hatte der Richter dem Schreiber halblaut diktiert, daß der Prozeß durch Schuldanerkennung beendigt sei, hatte ferner festgestellt, daß der nächste Fall erst in einer halben Stunde aufgerufen werden könne, und erhob sich, um die Pause in seinem Arbeitszimmer zuzubringen.

Frau Lang verstand das alles nicht: »Was is 's nacha jetzt?« sagte sie mißtrauisch.

»Vorbei ist alles,« sagte ihr Anwalt vergnügt.

»Was is vorbei? Nix is vorbei!« stemmte sie die Arme in die Hüften, »angehn tut's erst!«

»Beruhigen Sie sich,« sagte der andre Anwalt, »und gratulieren Sie sich, Sie haben Glück gehabt.«

»Was hab i ghabt? Nix hab i ghabt! Wo mir der Schneeberger mei ganze Tapeten verruiniert hat! Und die Kratzer auf dem polierten Kleiderkasten, san die nix? Und die Kommoden, wo sein Spiritusapparat den ganzen Hochglanz versaut hat, is des nix?«

»Aber Frau Lang, er zahlt ja alles.«

»Zahlt, zahlt! – werd'n dadavon die Kratzer anders? Und überhaupts, da gfreuet mi ja der ganze Prozeß nimmer, wenn i 's eahm auf oamal nimmer hinreib'n derfet, wie er einer alleinstehenden Witwe, die wo sich nicht wehren kann, ihr ganzes Mobiliar auf 'n Hund 'bracht hat – is des auch noch eine Manier – und da sollet ma 's Maul halten müssen – na na, da werd nix draus – gsagt muß 's werd'n, was gsagt ghört – des wär ja no schöner – für was hamma denn die Grichter – moana S', i hab den Prozeß deszwegn angfangt, daß er auf amal gar waar, bevor er angfangt hat – na na, auf solchene Manklereien, solchene hinterlistigen, laßt si' mei' Muatter ihr Tochter net ein, daß Sie's wissen, meine Herrn – und jetzt red i – i – i ...«

Die Anwälte tauschten Blicke, sahen auf die Uhr, zuckten mit den Schultern ein stummes »Hoffnungslos!« und waren im Rücken der streitbaren Frau unauffällig verschwunden. Nicht ohne den Herrn Schneeberger am Ärmel mitzuziehn und dem schmunzelnden Gerichtsdiener, der ihnen behutsam die Türe öffnete, mitzuteilen, daß er die Frau nur reden lassen möge.

Das alles sah Frau Lang in ihrem Eifer nicht. Auch nicht, daß selbst der Richter fluchtartig durch die Nebentüre entwischt war.

Seine hohe Richterkappe hatte er auf dem Tisch zurückgelassen. Sie blickte strenge auf Frau Lang herab.

An ihr prasselte jetzt die losgelassne Redeflut hinauf: »I hab eahm glei net traut, meine Herrn, dem Schneeberger – und i hab scho gwußt, warum i verlangt hab, daß er mi im voraus zahln hat müssen – denn wo kämet man da hin, meine Herrn, wenn man solchene Leut, von dene man net amal weiß, ob s' net schon eine von ihre früheren Zimmerfraun umbracht ham oder sonstwas –«

Sie hielt einen Augenblick ein. Offenbar war sie darauf gefaßt, daß man ihr bei diesem Argument in die Rede fallen könnte. Aber als nichts dergleichen erfolgte und nur der sachte eingenickte Gerichtsdiener hinten leise sägte, kam sie wieder in Schwung:

»Und wie i eahm den ersten Kratzer auf der Kommoden zeigt hab und eahm gfragt hab: ›Was is denn des, Herr Schneeberger, han!‹ – was meinen Sie, meine Herrn, was der Mensch zu mir gsagt hat, höhnisch gsagt hat? ›A Kratzer‹, hat er gsagt, ›is des.‹ – Jetzt frag ich Sie, Herr Amtsrichter, braucht sich eine einsame Witwe so was z' gfalln z' lassen von einem Zimmerherrn?«

Bild: Fritz Eggers

Wieder hielt sie bei dieser rethorischen Frage inne. Befriedigt nahm sie wahr, daß kein Widerspruch erfolgte, und mit neuem Eifer fuhr sie fort: »Natürlich hat er auch noch gsagt, der Kratzer is scho gwesen. Jetzt bitt ich Sie: Scho gwesen! Als ob ma des net kennet! Als ob net bei solchene Menschen a jeder Kratzer scho alleweil gwesen wär! No, i hab's eahm bsorgt, meine Herren: ›Was‹, hab i gsagt, ›scho gwesen?‹ hab i gsagt, ›freili is er scho gwesen, so lang Sie daherin san, aber vorher net, des bitt i mir aus. Ich, die Frau Lang, i halt fei meine Möbel seit Menschengedenken so, daß i überhaupt net weiß, was a Kratzer is‹, sag i, hab i gsagt ...«

Sie holte Atem.

Dann erinnerte sie sich eines Haupttrumpfes: »Und des is no net alls. D' Hauptsach hab i no net gsagt. Net nur meine Möbel hat der Mensch kaput gemacht. Seine aa! Is des überhaupts scho dagwe'n, frag i, daß a Mensch seine eignen Möbel derschneid't? Jawoil, derschneid't! Gelln S', des glaubn S' net? I glaubet's aa net, wenn i 's net derlebt hätt. Also passen S' auf. In dem Zimmer war koa Kanapee. Weil er aber absolut oans wolln hat, der Herr Schneeberger, sag i: ›Genga S' zu meiner Basen nüber am Unteranger, die is a Tandlerin, die hat Kanapee grad gnua, da können S' Eahna oans kaufen, was für oans daß S' wolln.‹ Also daß i 's kurz mach, er geht nüber und am andern Tag steht a Kanapee da, ein saubers Kanapee um und um. Und wieder einen Tag später saust der Mensch um des Kanapee herum, wie a verruckte Bremsen und fahrt mi an: ›Ihre Base‹, sagt er, ›ist eine Betrügerin!‹ – ›Oho,‹ sag i, ›tuns Ihnen fein halten!‹ – ›Da halte ich mich gar nicht,‹ sagt er, ›wo ich doch eigens gefragt habe, ob Roßhaar drin ist, und sie hat geschworen, freilich ist Roßhaar drin.‹ – ›Herr Schneeberger,‹ sag i, ›wenn mei Basen gsagt hat, daß a Roßhaar drin ist, dann ist a Roßhaar drin, verstanden!‹ – ›Net wahr ist 's!‹ schreit er, ›ich habe mich selbst überzeugt –‹ – › Wie hätten S' Eahna denn überzeugt, bitte?‹ sag ich ganz freundlich. – ›Wie ich mich überzeugt habe?‹ sagt er giftig und zeigt auf das schöne Kanapee, ›aufgschnitten hab i 's – schaun S' her – und da hab ich festgestellt, daß bloß die obere Lag Roßhaar ist – schaun S' doch her, bitte, und das andre ist lauter Seegras.‹ – ›Was?‹ sag i, ›aufgschnitten ham S' des schöne Kanapee von meiner Basen? Kaufen denn Sie die Kanapee zum Aufschneiden? Sie san ja wie a kleins Kind, dem ma kei Messer in d' Hand gebn derf. Und übrigens, sag i, wer weiß, wenn ma Eahnern Schädel aufschneidet, da waar a bloß die obere Lag a Hirn und das andere waar lauter Seegras ...‹«

So ging's noch eine schöne Weile weiter. Alles redete sie sich von der Leber. Sie benutzte sogar die Gelegenheit, um sich von dem alten Druck eines früheren Prozesses, den sie vor Jahren verloren hatte, energisch zu befreien und festzustellen, daß sie ihn nur verlieren habe können, weil die damals herrschende Regierungspartei, über die sie sich einmal bei der Milchfrau tadelnd ausgelassen habe, mit allen Mitteln der Justizbestechung gegen sie gewühlt habe.

Auch hier erfolgte kein Widerspruch, so daß sie in der Glorie eines Menschen dastand, der auf der ganzen Linie schwer gesiegt hatte und der nach neuen Feinden ausschaut, welche zu berennen wären.

Aber solche waren nicht mehr da. Da erlahmte sie, wie ein Fechter, der ins Leere stößt mit seiner Klinge. Unsicher und ernüchtert schaute sie sich um: »Ja, wo san s' denn hinkemma, die andern?«

»Davoglaufen,« gähnte der erwachte Gerichtsdiener.

Mit wieder erwachendem Eifer wandte sie sich zu der Richterkappe über ihr: »Dann muß ich aber bitten, Herr Amtsrichter –«

»Der is aa davogloffen,« sagte der Gerichtsdiener und hob die leere Kappe: »Schaung S'.«

Sie verlor die Fassung: »Ja, hab i jetzt – hab i jetzt gwonnen oder hab i – hab i verspült?«

»Des kann man da oft schwer sagn,« meinte der Gerichtsdiener und wiegte philosophisch sein juristisches Haupt, »oft ham die gwunne, die wo verspült ham, und oft ham die verspült, die wo gwunnen ham.«

»Naarrischer Zipfi!«

Der Gerichtsdiener warf sich hochdeutsch in die Brust: »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihnen aus dieser – dieser Interjexion ein Beleudigungsprozeß erwachsen könnte, falls man nicht annehmen müßte, daß Sie als eine Frau aus dem Volke, die doch nur über eine – eine lü–mü–türte Einsicht verfügt –«

»Was sagn S' – lümütürt waar i – und wissen Sie, was Sie san: a Hanswurscht san S' – jesses, jesses,« ging sie unvermittelt in ein Jammern über, »und net amal z' wissen, ob ma gwunna hat oder verspült –«

»Gewonnen haben Sie,« schrie sie der zurückgekehrte Gegenanwalt an, der hier in der nächsten Sache aufzutreten hatte, »scheren Sie sich zum – zum –«

»Deifi, gelln S'?« ergänzte ihn vergnügt Frau Lang, die erst jetzt, da grob zu ihr geredet wurde, glaubte, daß die anderen zu zahlen hatten, »warum ham S' denn vorhin net glei aa deutsch gred't – also nacha will i aa net so sein – auf a paar Maß soll 's mir net ankomma – kommen S', Herr Doktor, genga mir zum Matthäser nüber – ah, da is ja der Herr Amtsrichter aa wieder – gelln S', ham S' Eahner Haub'n vorhin vergessen? – also, wenn Sie's net übel nehmen und weil jetzt nach dem Urteil koaner mehr was sagen kann, daß i Eahna bestechen will: Sie san aa eingladen –«

Der Richter wollte auffahren. Aber der Anwalt zwinkerte ihm zu: »Schon gut, Frau Lang, gehn Sie nur voraus, und wenn's recht voll ist, heben Sie uns einen Platz auf.«

Sie trabte hinaus. Sie ging hinüber zum Matthäser. Sie bestellte sich eine Siegermaß. Sie belegte noch zwei Stühle. Sie verteidigte sie stundenlang gegen andre: »Na na, die san belegt für mein' Richter und den andern Avvikaten – Reesl, no' a Maß!«


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