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Die französischen Minister folgen und vertreiben einander wie die Jahreszeiten. Im Laufe von drei Jahren habe ich hier viermal einen Wechsel des Finanzsystems erlebt. In Persien und in der Türkei werden die Steuern jetzt noch in derselben Art erhoben, welche die Begründer dieser Monarchien eingeführt haben; hier dagegen verhält es sich ganz anders. Allerdings verwenden wir darauf nicht so viel Scharfsinn wie die Abendländer. Nach unsrer Meinung ist der Unterschied zwischen der Verwaltung der Einkünfte eines Fürsten und derer eines Privatmannes nicht größer, als zwischen dem Abzählen von hunderttausend und von hundert Tomans.
Über den Wert eines Gold-Tomans vergl. Brief 67, Anm. 114. Doch giebt es auch Silber-Tomans. Siehe Heine's Gedicht: »Der Dichter Firdusi« (Werke, in 12 Bänden, Bd. 11, Seite 40):
Goldne Menschen, Silbermenschen!
Spricht ein Lump von einem Thoman,
Ist die Rede nur von Silber,
Ist gemeint ein Silberthoman.
Doch im Munde eines Fürsten,
Eines Schaches, ist ein Thoman
Gülden stets; ein Schach empfängt
Und er giebt nur goldne Thoman. Aber hier wird die Sache mit viel mehr Spitzfindigkeit und Geheimnisthuerei betrieben. Große Geister haben Tag und Nacht zu arbeiten; unaufhörlich und mit Schmerzen müssen sie neue Pläne gebären; sie müssen die Ratschläge einer Unzahl von Leuten anhören, die ungebeten für sie thätig sind; sie müssen zurückgezogen in der Verborgenheit eines Gemaches leben, das für die Großen unzugänglich und für die Kleinen geheiligt ist; immer muß ihr Kopf voll wichtiger Geheimnisse, voll wunderbarer Projekte und neuer Systeme stecken; und es ist ihr Los, tief in Nachdenken versunken nicht allein des Gebrauchs der Rede, sondern manchmal sogar der Höflichkeit beraubt zu sein.
Sobald der verstorbene König die Augen geschlossen hatte, gab man dem Gedanken Raum, eine neue Verwaltung einzurichten. Man fühlte, daß man sich in einer mißlichen Lage befand; doch wußte man nicht, wie man sie bessern sollte. Unter der unbeschränkten Macht der früheren Minister hatte man sich schlecht befunden; man wünschte dieselbe also zu teilen. Zu diesem Zwecke schuf man ein Ministerium von sechs oder sieben Kollegien; und vielleicht war es von allen dasjenige, welches Frankreich am verständigsten regierte. Aber es hatte nur kurze Dauer, und ebenso schnell entschwand auch wieder das Gute, was von ihm bewirkt worden war.
Als der vorige König starb, war Frankreich ein Körper, der unter tausend Krankheiten litt. Bei Ludwigs XIV. Tode war das Land durch eine Schuldenlast von mehr als tausend Millionen Gulden niedergedrückt. N*** Der Herzog von Noailles. griff zum Amputiermesser, entfernte das wilde Fleisch und wandte einige örtliche Heilmittel an. Aber noch immer blieb ein innerer Schaden zu heilen. Ein Ausländer Der Schotte John Law, von Carlyle der Finanz-Hexenmeister genannt, errichtete eine Zettelbank, die hohe Prozente und großen Gewinn in Amerika in Aussicht stellte, und schuf ein ungeheures Aktien- und Banknoten-Schwindelsystem. Im Jahre 1719 betrug der chimärische Wert der Aktien achtzigmal so viel als das sämtliche in Frankreich cirkulierende Geld. So mußte es zu einem fürchterlichen Krache kommen. Sämtliche Aktien wurden 1720 außer Kurs gesetzt, und die Verluste des Landes waren unendlich; Hunderttausende wurden aufs schwerste an Hab und Gut geschädigt, zwanzigtausend Familien völlig ruiniert. Nur der gewissenlose Regent und seine Anhänger hatten sich bereichert. Law mußte entfliehen und starb zu Venedig in Armut. kam und unternahm diese Kur. Nachdem er dem Kranken die stärksten Medikamente eingegeben, meinte er, er habe seine Wohlbeleibtheit wiederhergestellt; aber alles, was er bewirkt hatte, war nur eine krankhafte Anschwellung.
Alle, die vor einem halben Jahre noch reich waren, befinden sich jetzt im Elend; die aber, welchen damals das tägliche Brot fehlte, haben Überfluß an allen Dingen. Niemals berührten sich diese beiden Extreme so nahe. Jener Ausländer hat den Staat umgekehrt, wie der Trödler einen alten Rock wendet; was oben war, hat er nach unten, was unten war, nach oben gedreht. Welches unerwartete Glück, sogar für diejenigen unglaublich, denen es zu Teil geworden! Gott selbst zieht die Menschen nicht schneller aus dem Nichts. Wieviele Kammerdiener werden heut von ihren vormaligen Kameraden und morgen vielleicht von ihren Herren bedient!
Höchst seltsame Zustände werden häufig durch alles dies ans Licht gebracht. Die Lakaien, welche unter der vorigen Regierung ihr Glück gemacht hatten, prahlen heut mit ihrem Herkommen. Sie behandeln diejenigen, welche soeben in einer gewissen Straße ihre Livrée abgelegt haben, mit eben solcher Verachtung, wie man sie ihnen vor einem halben Jahre bezeigt hat. Aus Leibeskräften schreien sie: »Der Adel ist ruiniert! Was sind das für wüste Zustände im Staat! Welche Vermischung der Klassen! Man sieht nur noch Unbekannte ihr Glück machen!« Aber ich gebe Dir die Versicherung, daß die Emporkömmlinge von heut ihre Nachfolger alles werden entgelten lassen. In dreißig Jahren werden diese großen Herren viel Aufsehen erregen.
Paris, am 1. des Mondes Zilkadeh, 1720.