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Ich befinde mich in einer unbeschreiblichen Verlegenheit, erlauchter Herr. Das Serail ist in schrecklicher Unordnung und Verwirrung. Unter Deinen Frauen ist Krieg ausgebrochen, und Deine Eunuchen sind in Parteien zerfallen. Man hört nur noch Klagen, Murren und Vorwürfe, und Verachtung begegnet meinem Einspruch. Alles scheint in dieser zügellosen Zeit erlaubt zu sein, und ich führe im Serail nur einen leeren Titel.
Es giebt auch nicht eine unter Deinen Frauen, die sich nicht wegen ihrer Abkunft, ihrer Schönheit, ihres Reichtums, ihres Geistes, oder wegen Deiner Liebe für besser hielte, als die übrigen, und die nicht einen oder den andren dieser Vorzüge geltend machte, um allerlei Vorrechte zu genießen. Unablässig habe ich meine langmütige Geduld an sie verschwendet, und doch war es mein Mißgeschick, sie dadurch alle gegen mich aufzubringen. Meine Klugheit, ja selbst meine Nachgiebigkeit, diese Tugend, die in meinem Amte so selten und so unerwartet ist, sind völlig nutzlos geblieben.
Darf ich Dir die Ursache all dieser Verwilderung aufdecken, erlauchter Herr? Sie liegt in Deinem eigenen Herzen, in der zarten Rücksicht, mit der Du Deine Frauen behandelst. Wenn Du mir nicht die Hand fesseltest; wenn Du mir erlaubtest, Züchtigungen anzuwenden statt der Ermahnungen; wenn Du Dich durch ihre Klagen und Thränen nicht erweichen ließest, sondern sie mit ihrem Wehgeschrei zu mir wiesest, der niemals erweicht wird: dann würde ich sie bald unter das Joch, das ihr natürliches Los ist, beugen und ihnen die herrschsüchtigen und eigenwilligen Launen vertreiben.
Im Alter von fünfzehn Jahren wurde ich meinem Vaterlande im Innern von Afrika entrissen und sogleich an einen Herrn verkauft, der über zwanzig Frauen oder Beischläferinnen hatte. Da er aus meinem ernsten und schweigsamen Wesen den Schluß zog, daß ich mich für den Dienst im Serail eignen würde, befahl er, mich dazu herzurichten. Es wurde also eine Operation an mir vollzogen, die anfänglich schmerzhaft war, bald aber glückliche Folgen für mich hatte, weil sie mir bei meinen Gebietern Gehör verschaffte und mir ihr Vertrauen erwarb. Ich kam in jenes Serail, welches eine neue Welt für mich war. Der erste Verschnittene, der strengste Mann, den ich in meinem Leben gesehen habe, herrschte daselbst mit unbeschränkter Macht. Da hörte man nichts von Spaltungen oder Streit; ein tiefes Schweigen herrschte überall. Jahr aus, Jahr ein legten sich sämtliche Frauen um die nämliche Stunde zur Ruhe und standen um die nämliche Stunde auf. Sie gingen nach der Reihe ins Bad und verließen es augenblicklich wieder, sobald wir ihnen das Zeichen dazu gaben. Während der übrigen Zeit waren sie fast immer in ihren Zimmern eingeschlossen. Sein besonderes Augenmerk war darauf gerichtet, sie zu großer Sauberkeit anzuhalten, die er mit peinlichster Strenge kontrolierte; fehlte es nur im Mindesten an Gehorsam, so folgte erbarmungslose Strafe. »Ich bin ein Sklave,« sagte er, »aber der Sklave des Mannes, welcher euer Herr ist wie der meinige, und ich brauche nur die Macht, die er mir über euch gegeben hat. Er ist es, der euch züchtigt, nicht ich; ich leihe nur die Hand dazu.« Niemals betraten die Frauen ungerufen das Zimmer meines Gebieters; mit Freuden folgten sie dem Rufe, wenn diese Gunst ihnen widerfuhr, und sie beklagten sich nicht, wenn sie ihnen versagt wurde. Und ich selbst endlich, der unter den Mohren in diesem stillen Serail der letzte war, ich genoß tausendmal größere Achtung, als in dem Deinigen, wo ich über alle gebiete.
Sobald der Groß-Eunuch meine Begabung einmal erkannt hatte, ließ er mich nicht mehr aus dem Auge. Er schilderte mich meinem Herrn als einen Menschen, der die Fähigkeit besitze, seine Grundsätze durchzuführen und einst Nachfolger im Amte zu werden. Mein jugendliches Alter machte ihn nicht bedenklich; denn er glaubte, daß mein Pflichteifer mir die mangelnde Erfahrung ersetzen würde Doch ich will mich kurz fassen. Bald machte ich so große Fortschritte in seinem Vertrauen, daß er keinen Anstand mehr nahm, mir die Schlüssel zu den furchtbaren Räumen, deren Hüter er so lange gewesen, einzuhändigen. Unter diesem großen Meister also lernte ich die schwere Kunst, zu gebieten, und empfing meine Ausbildung in den Regeln eines unbeugsamen Regiments. Unter seiner Anleitung studierte ich das Herz der Weiber; er lehrte mich, aus ihren Schwächen Vorteil zu ziehen und mich durch ihre Anmaßung nicht einschüchtern zu lassen. Oftmals ließ er mich geflissentlich Übungen mit ihnen anstellen und ihren Gehorsam den schwersten Proben unterwerfen; dann ließ er die Zügel unvermerkt wieder nach und nötigte mich sogar, für eine Weile selbst fügsam zu erscheinen. Aber man mußte ihn sehen, wie ihn alle ihre Thränen kalt und unbewegt ließen, wenn die Vergeblichkeit flehentlicher Bitten und leidenschaftlicher Vorwürfe sie fast zur Verzweiflung trieb. »Das ist die Art,« sagte er mit zufriedenem Gesicht, »wie man die Weiber regieren muß. Auch kommt es mir auf ihre Anzahl gar nicht an; gerade so gut wollte ich sämtliche Frauen unseres großen Monarchen in Ordnung halten. Wie kann ein Mann hoffen, ihr Herz zu erobern, wenn seine getreuen Eunuchen nicht zuvor ihren Geist gebändigt haben?«
Aber mit seiner Festigkeit verband sich auch ein seltener Scharfblick. Er wußte ebenso deutlich ihre Gedanken wie ihre Verstellung zu durchschauen; ihr berechnetes Geberdenspiel, ihre heuchlerischen Mienen konnten ihm nichts verbergen. Von ihren verstecktesten Handlungen, ihren heimlichsten Reden hatte er Kenntnis. Er benutzte die einen zur Ausforschung der andren und war immer bereit, die geringste vertrauliche Mitteilung zu belohnen. Da sie sich ihrem Gemahl nur nähern durften, wenn sie gerufen wurden, so bestimmte der Eunuch für diese Gunst welche er wollte, und lenkte die Wünsche seines Gebieters auf diejenigen, welche er selbst dazu ersehen hatte; und diese Auszeichnung war jedesmal die Belohnung für ein ihm ausgeplaudertes Geheimnis. Er hatte seinen Herrn zu bereden gewußt, es diene zum Besten der Ordnung, daß er ihm die Wahl überlasse, um ihm dadurch größeren Einfluß zu sichern. Auf solche Weise, erlauchter Herr, wurde ein Serail regiert, welches nach meinem Dafürhalten das bestgeordnete in ganz Persien war.
Laß mir darum freie Hand. Willige ein, daß ich mir Gehorsam verschaffe, und in acht Tagen soll über diesem Herde der Verwilderung Ordnung und Sitte wieder thronen; Deine Ehre gebietet es, Deine Sicherheit erfordert es.
In Deinem Serail zu Ispahan, am 9. des ersten Monats Rebiab, 1714.