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Hundertundneunter Brief.
Usbek an ***.

Eine Art Bücher, die wir in Persien nicht kennen, scheint mir hier sehr in der Mode zu sein, nämlich die Journale. Die Trägen fühlen sich geschmeichelt, wenn sie dieselben lesen; man hat seine Freude daran, dreißig Bände in einer Viertelstunde durchfliegen zu können.

In den meisten Büchern macht der Verfasser erst dann die üblichen Komplimente, wenn die Leser vor Mattigkeit umfallen; er führt sie halbtot in eine Materie ein, die in einem Meer von Worten ertränkt ist. Dieser will sich durch einen Duodezband, jener durch einen Quartband unsterblich machen; ein anderer, der noch schönere Neigungen hat, strebt gar nach dem Folio. Zu diesem Zwecke muß er freilich seinen Stoff verhältnismäßig in die Länge ziehen; das aber thut er auch ohne Erbarmen, unbekümmert um die Pein des armen Lesers, der im Schweiße seines Angesichts das wieder auf einfache Begriffe zurückzuführen sucht, was der Verfasser mit so vieler Mühe aufgebauscht hat.

Ich weiß nicht, ***, was daran verdienstlich ist, derartige Werke zu machen; ich vermöchte das auch wohl zu, thun wenn ich meine Gesundheit und einen Buchhändler ruinieren wollte. Die Journalisten thun sehr unrecht daran, immer nur von neuen Büchern zu reden; als ob die Wahrheit jemals neu wäre. Es scheint mir, als habe man keine Ursache, solange man nicht alle alten Bücher gelesen, ihnen die neuen vorzuziehen.

Aber indem sie es sich zum Gesetz machen, nur von solchen Werken zu reden, die noch ganz warm aus der Schmiede kommen, legen sie sich auch noch ein anderes auf: nämlich, sehr langweilig zu sein. Es fällt ihnen nicht ein, die Bücher zu kritisieren, aus denen sie lange Abschnitte citieren, so gegründete Ursache sie auch dazu haben möchten; und, in der That, wer besäße auch die Kühnheit, sich jeden Monat zehn oder zwölf Menschen zu Feinden zu machen?

Die meisten Autoren gleichen den Dichtern, die einen Hagel von Stockschlägen ohne Klage über sich ergehen lassen, aber, so unempfindlich auch ihr Rücken ist, für die Ehre ihrer Werke mit solcher Eifersucht einstehen, daß sie nicht die geringste Kritik vertragen können. Man muß daher wohl auf seiner Hut sein, daß man sie nicht an einer so empfindlichen Stelle berühre; und die Journalisten wissen das sehr wohl. So thun sie denn gerade das Gegenteil. Sie beginnen damit, den behandelten Stoff zu loben; das ist die erste Abgeschmacktheit. Von da gehen sie zum Lobe des Verfassers über, aber einem Lob, zu dem sie gezwungen sind; denn sie haben es mit Leuten zu thun, die noch im vollen Atem und jeden Augenblick bereit sind, sich ihr Recht durch Gewalt zu sichern und einen verwegenen Journalisten mit ihrer Feder niederzuschmettern

Paris, am 5. des Mondes Zilkadeh, 1718.



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