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Kolonien haben gewöhnlich eine Schwächung der Länder, aus denen sie hervorgehen, zur Folge, ohne daß diejenigen, wo sie sich niederlassen, sich darum mehr bevölkerten. Auch dieser Brief ist sehr einseitig; doch ist zu bedenken, daß Montesquieu nicht über den Schatz praktischer Erfahrung verfügen konnte, den der industrielle Geist der neuen Zeit durch seine Unternehmungen gesammelt hat. Wie Lecky richtig bemerkt, hat das Kolonialwesen erst einen wirklichen Aufschwung genommen, seit industrielle an die Stelle von militärischen Kolonien getreten sind. (Hist. of Rationalism, II, 369 note.) Wir haben heutzutage erkannt, daß Kolonisation nicht nur möglich, sondern notwendig ist. »Man darf ohne Zögern behaupten, daß in der gegenwärtigen Weltlage Kolonisation das allerbeste Geschäft ist, in welchem das Kapital eines alten und reichen Landes angelegt werden kann.« (John Stuart Mill, Principles of Political Economy V, pg. 14.) Auch in dieser Frage verweise ich auf Roscher (a. a. O. § 260).
Die Menschen sollen bleiben, wo sie sind. Wenn man ein gutes Klima mit einem schlechten vertauscht, so entstehen Krankheiten, und andere werden sogar durch die bloße Veränderung hervorgerufen. »Wenn Europäer nach Ost- oder Westindien kommen, so ist ihr noch schlaffer Körper unvermögend, gehörig auszudünsten, und sie fallen in ein Entzündungsfieber, genannt the seasoning. Im hohen Norden hemmt die Kälte die Ausdünstung, und so kommt der Scharbock,« sagt Weber in seinem interessanten Kapitel über den »Einfluß des Klimas« (Demokritos, Bd. 3); aber auch er erkennt Montesquieu's Übertreibung.
Wie die Pflanzen, so ist auch die Luft eines jeden Landes mit feinen Stoffteilchen seines Bodens geschwängert. Durch ihre Einwirkung empfängt unser Temperament seinen eigentümlichen Charakter. Werden wir in ein andres Land versetzt, so erkranken wir. Die flüssigen Bestandteile sind an eine gewisse Dichtigkeit, die festen an einen gewissen Zustand, beide an einen bestimmten Grad der Bewegung gewöhnt, so daß sie eine Veränderung dieses Verhältnisses nicht vertragen können und neuen Anordnungen widerstreben. Im »Geist der Gesetze« (XVII, 6 und XVIII, 1 und 18) findet sich dieselbe Übertreibung des Einflusses klimatischer Verhältnisse, in welcher Montesquieu in Bodinus (De republica V, l) schon einen Vorgänger hatte. »Die überwiegende Mehrzahl der Haustiere und Kulturpflanzen, die Europa gegenwärtig besitzt, hat es von fremden Weltteilen einführen müssen. Im inneren Gallien wurden noch zu Christi Zeit die Trauben selten reif.« (Roscher a. a. O. § 37.) Wie sich Tiere und Pflanzen akklimatisieren konnten, so vermag es auch der Mensch. »Je höher die Kultur des Menschen, desto weniger abhängig bleibt sie von der Natur des Landes.« (Roscher, ibid.)
Ist ein Land öde, so beweist dies, daß es ein schlechtes Klima hat. Wenn man also die Bewohner eines glücklichen Himmelsstriches in ein solches Land entsendet, so thut man gerade das Gegenteil von dem, was man damit bezweckt.
Die Römer wußten dies aus Erfahrung; sie verbannten alle Verbrecher nach Sardinien, und die Juden schickten sie auch dahin. Über ihren Verlust mußte man sich trösten, und das war bei der Verachtung, in der diese Elenden standen, leicht genug.
Als der große Schah Abbas die Türken verhindern wollte, große Heere an ihren Grenzen zu unterhalten, zwang er fast alle Armenier, ihr Land zu verlassen, und verwies ihrer mehr als zwanzigtausend Familien in die Provinz Ghilan, wo sie fast alle in kürzester Zeit zu Grunde gingen.
Stets sind die Versuche, Konstantinopel durch Einwanderer zu bevölkern, mißlungen.
Die Unmasse von Negern, die ich schon erwähnt habe, hat nicht dazu beigetragen, Amerika mit Menschen zu füllen.
Seit der Vernichtung der Juden unter Hadrian hat Palästina keine Einwohner mehr.
Man muß also zugeben, daß die großen Katastrophen im Leben der Völker fast immer unersetzliche Verluste bedeuten; denn wenn ein Volk an einem gewissen Punkte zu Falle kommt, so kann es sich nicht wieder aufrichten; und helfen ihm günstige Umstände, sich wieder zu erholen, so gehen doch Jahrhunderte darüber hin.
Befindet es sich aber einmal auf der Bahn des Verfalls, und gesellt sich zu diesem nur noch der geringste von den oben erwähnten Umständen, so kann es nicht nur nicht wieder zu Kraft kommen, sondern es muß täglich tiefer sinken und geht seinem Untergange entgegen.
Die Vertreibung der Mauren aus Spanien ist heut noch gerade so fühlbar wie am ersten Tage; weit entfernt, daß diese Lücke sich ausfüllte, vergrößert sie sich vielmehr mit jedem Tage.
Seit der Verwüstung von Amerika haben die Spanier, welche an die Stelle der früheren Einwohner traten, es nicht wieder bevölkern können; Wie wenig dies heut noch zutrifft, weiß jeder. Lord Derby sagte im Jahre 1879: »Unter den jetzt lebenden Kindern werden manche vermutlich sehen, daß die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten auf zweihundert Millionen steigt.« im Gegenteil, das Verhängnis, oder ich sollte es lieber die göttliche Gerechtigkeit nennen, bewirkt dort, daß die Zerstörer sich selbst zerstören und sich täglich aufreiben.
Die Fürsten dürfen also nicht daran denken, große Länder durch Kolonien zu bevölkern. Ich leugne nicht, daß sie manchmal Erfolg haben mögen: denn manche Gegenden haben ein so glückliches Klima, daß die Gattung sich dort immer vermehrt. Dies wird durch jene Inseln Der Verfasser meint wahrscheinlich die Insel Bourbon. bezeugt, welche durch Kranke bevölkert wurden, die dort sogleich ihre Gesundheit wiedergewannen, nachdem sie von einigen Schiffen daselbst verlassen worden waren.
Anstatt aber die Macht zu vergrößern, würden solche Kolonien, wenn sie Erfolg hätten, dieselbe nur teilen; sie müßten denn nur geringe Ausdehnung haben, wie diejenigen, welche man ausschickt, um eine Handelsstation zu gründen.
Die Karthager hatten gleich den Spaniern Amerika entdeckt, oder wenigstens große Inseln, auf denen sie einen staunenswerten Handel betrieben. Als sie jedoch die Bemerkung machten, daß die Zahl ihrer Einwohner sich verminderte, so verbot die weise Republik ihren Unterthanen jenen Handel und jene Schiffahrt.
Ich möchte behaupten, daß es besser sein würde, die Westindier und Mestizen nach Spanien zu holen, anstatt die Spanier nach Westindien auszusenden. Könnte diese Monarchie alle ihre zerstreuten Völker wiedergewinnen, so würde Spanien, wenn sich nur die Hälfte seiner Kolonien erhalten ließe, die gefürchtetste Macht in Europa werden.
Man kann die Reiche mit einem Baume vergleichen, dessen zu ausgebreitete Zweige dem Stamme alle Säfte rauben und zu nichts gut sind, als um Schatten zu werfen.
Es giebt kein abschreckenderes Beispiel für Fürsten, die nach Eroberungen in fernen Ländern lüstern sind, als das Schicksal der Portugiesen und Spanier.
Diese beiden Nationen hatten mit unbegreiflicher Schnelligkeit unermeßliche Reiche erobert. Fast lebhafter erstaunt über ihre Siege, als die unterworfenen Völker über ihre Niederlage, suchten sie sich den Preis derselben zu erhalten, und beide bedienten sich zu diesem Zwecke verschiedener Mittel.
Ohne Hoffnung, sich der Treue der besiegten Nationen versichern zu können, entschieden sich die Spanier, dieselben auszurotten und aus Spanien eine treue Bevölkerung an ihre Stelle zu senden. Niemals hat ein entsetzlicher Plan eine pünktlichere Ausführung gefunden. Bei der Ankunft dieser Barbaren, die durch die Entdeckung Indiens allem Anschein nach der Welt gleichzeitig die höchste Stufe der Grausamkeit haben enthüllen wollen, sah man ein Volk, das so zahlreich gewesen war wie alle Völker von Europa zusammen, von der Erde verschwinden.
Durch solche Barbarei bewirkten sie, daß ihnen jenes Land unterthänig blieb. Hieraus kannst Du schließen, wie verderblich die Eroberungen sind, da sie solche Wirkungen haben; denn jene grauenhafte Maßregel war die einzige, die ihnen nützen konnte. Wie hätten sie wohl so viele Millionen Menschen in Gehorsam erhalten, wie einen Bürgerkrieg aus solcher Ferne unterdrücken können? Was wäre aus ihnen geworden, wenn sie jenen Völkern Zeit gelassen hätten, sich von dem Staunen über die Ankunft dieser neuen Götter und von der Furcht vor ihren Blitzen wieder zu erholen? Die Portugiesen dagegen bedienten sich ganz anderer Mittel; sie nahmen zu keinen Grausamkeiten ihre Zuflucht. Daher aber wurden sie auch bald aus allen Ländern, die sie entdeckt hatten, wieder verjagt. Die Holländer begünstigten die Empörung jener Völker und machten sich dieselbe zu Nutze.
Welcher Fürst möchte das Los dieser Eroberer beneiden? Wer hätte Lust zu solchen Eroberungen unter solchen Bedingungen? Die einen wurden sofort wieder aus denselben verjagt; die andren machten sie zu Wüsten, und eine Wüste wurde zugleich auch ihr eigenes Land. Das Beispiel der Spanier beweist nur, daß ihre gewaltsame Methode falsch war; Kolonisation und Eroberung sind nicht zu verwechseln. Überhaupt ist der Zustand volkswirtschaftlicher Auszehrung in Spanien (Schmitthenner, Nationalökonomie, 656) der Verschwendung der Produktivkräfte zuzuschreiben, die aus dem Nationalcharakter herrührt. (Roscher, a. a. O. § 54.) Die Portugiesen dagegen haben den Ruhm, die ersten gewesen zu sein, die friedliche Kolonialpolitik trieben. (Lecky, a. a. O.) Übrigens mag auch jetzt noch Roschers Wort gelten (a. a. O.): »Die Früchte einer neuen Kolonisation werden gewöhnlich erst im folgenden Menschenalter geerntet.«
Es ist der Helden Los, sich mit der Eroberung von Ländern, die sie plötzlich wieder verlieren, oder mit der Unterwerfung von Nationen, die sie selbst verderben müssen, aufzureiben. Sie machen es wie jener Narr, der seine Habe daran setzte, Statuen zu kaufen, die er ins Meer stürzte, und Spiegel, die er alsbald in Trümmer schlug.
Paris, am 18. des Mondes Rhamazan, 1718.