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Bei den europäischen Völkern macht die erste Viertelstunde der Ehe allen Schwierigkeiten ein Ende, und der nämliche Tag, an welchem unter kirchlicher Einsegnung die Hochzeit vollzogen wird, sieht auch die äußerste Hingebung der Liebe. Hier macht keine Frau ihrem Gatten seine Rechte ganze Monate streitig, wie unsere Perserinnen es zuweilen thun, sondern mit dem Eheschlusse streckt eine jede ihre Waffen. Verliert sie nichts, so liegt es daran, daß sie nichts zu verlieren hat. Aber es ist ein schmachvoller Gedanke, daß man ganz genau den Augenblick ihrer Niederlage kennt; ohne erst die Gestirne zu befragen, kann man die Geburt ihrer Kinder nach Tag und Stunde vorhersagen.
Fast niemals reden die Franzosen von ihren Frauen, und zwar weil sie fürchten müssen, es vor Leuten zu thun, welche dieselben besser kennen, als sie selbst.
Es giebt höchst unglückliche Männer bei ihnen, für welche niemand ein Wort des Trostes findet: das sind die eifersüchtigen Ehemänner; es giebt auch solche, die jedermann haßt: das sind die eifersüchtigen Ehemänner; und es giebt endlich solche, die von allen Menschen verachtet werden: das sind gleichfalls die eifersüchtigen Ehemänner.
Auch ist ihre Zahl in keinem andern Lande so klein wie bei den Franzosen. Ihre Sorglosigkeit gründet sich nicht etwa auf das Vertrauen, das sie in ihre Frauen setzen, sondern ganz im Gegenteil auf die schlechte Meinung, welche sie von ihnen haben. In allen den weisen Vorsichtsmaßregeln der Asiaten, in den Schleiern, die sie verhüllen, in den Gefängnissen, wo sie festgehalten werden, in der Wachsamkeit der Verschnittenen erblicken sie nur Mittel, welche eher geeignet sind, den Widerstand des schwachen Geschlechts zu reizen, als ihn zu ermüden. Hier machen die Männer gute Miene zum bösen Spiel und betrachten den ehelichen Treubruch als unabwendliche Schicksalsfügung. Wollte ein Mann hier den Alleinbesitz seiner Frau beanspruchen, so würde man ihn als einen Störer des öffentlichen Vergnügens und als einen Unsinnigen ansehen, der den Sonnenschein für sich allein haben möchte.
Liebt hier ein Mann seine Frau, so meint man, es fehle ihm an den erforderlichen Eigenschaften, um die Liebe einer andern zu gewinnen; er gilt als ein Mensch, der den Zwang des Gesetzes mißbraucht, um sich für seinen Mangel an persönlichen Vorzügen zu entschädigen; der sich aller seiner Vorteile zum Nachteil einer ganzen Gesellschaft bedient; der sich aneignet, was ihm nur als Unterpfand gegeben war; und der nach bestem Vermögen bemüht ist, ein stillschweigendes Übereinkommen, auf welchem das Glück beider Geschlechter beruht, zu untergraben. Jenen Ruhm, der Gatte einer hübschen Frau zu sein, den man in Asien so ängstlich geheim hält, trägt man hier in Ruhe vor aller Welt zur Schau; denn man weiß, daß man überall sein Vergnügen findet. Sucht doch ein Fürst Trost über den Verlust einer Festung, indem er eine andere einnimmt: machten wir es nicht auch so, als die Türken uns Bagdad entrissen hatten, da wir den Mogul seiner Festung Kandahar beraubten?
Im allgemeinen wird das Verhalten eines Mannes, der die Untreue seiner Frau schweigend hingehen läßt, von niemand gemißbilligt; im Gegenteil, man lobt ihn wegen seiner Klugheit. Entehrend sind nur ganz besondere Fälle.
Nicht, als ob es hier keine tugendhaften Damen gäbe; man kann sogar sagen, daß sie Auszeichnung genießen. Mein Führer machte mich stets auf dieselben aufmerksam; aber sie waren alle so häßlich, daß man ein Heiliger sein müßte, um die Tugend nicht zu hassen.
Nach allem, was ich Dir über die Sitten dieses Landes mitgeteilt habe, wirst Du Dir leicht vorstellen können, daß den Franzosen nicht eben daran gelegen ist, als beständig zu gelten; vielmehr halten sie es für ebenso lächerlich, einer Frau ewige Liebe zu schwören, als wenn einer versprechen wollte, immer gesund und glücklich zu bleiben. Geloben sie einer Frau, sie allezeit zu lieben, so geschieht es unter dem Vorbehalt, daß sie ihrerseits ewige Liebenswürdigkeit verspricht: hält sie dann nicht Wort, so fühlen auch sie sich nicht länger gebunden.
Paris, am 7. des Mondes Zilkadeh, 1714