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Siebenundvierzigster Brief.
Zachi an Usbek in Paris.

Ich habe Dir eine große Neuigkeit mitzuteilen: ich bin mit Zephis wieder ausgesöhnt, und das Serail, das sich für uns in zwei Parteien zerspalten hatte, ist wieder einig. Nur Du fehlst noch an dieser Stätte, wo der Friede herrscht: komm, mein lieber Usbek, komm, auf daß hier die Liebe triumphiere.

Ich veranstaltete zu Zephis' Ehre ein großes Fest, zu welchem Deine Mutter, Deine Frauen und Deine vornehmsten Konkubinen geladen wurden; auch Deine Tanten und mehrere Deiner Basen nahmen daran teil; sie waren zu Pferde gekommen, verhüllt von dem dunklen Gewölk ihrer Schleier und Gewänder.

Am nächsten Morgen begaben wir uns aufs Land, da wir dort größere Freiheit zu finden hofften; wir bestiegen unsere Kameele und setzten uns je zu Vieren in eine Loge. Da der Ausflug sehr eilig veranstaltet worden, so gebrach es uns an Zeit, der Wache Befehl zu senden, daß sie bei der Runde das Kuruk Wenn vornehme Perserinnen das Serail verlassen, so gehen ihnen Sklaven unter dem fortwährenden Rufe: »Kuruk! Kuruk!« voraus, um jedermann zu warnen, sich außer Gesichtsweite zurückzuziehen. Die begleitenden Eunuchen tragen lange Stöcke, mit denen sie auf jeden Ungehorsamen einhauen; und sind die passierenden Frauen des Königs, so wird getötet, wer sich in ihrem Wege blicken läßt. ansagen möge; aber der Obereunuch, immer von Amtseifer erfüllt, nahm eine andere Vorsichtsmaßregel, indem er die Zeltwand, welche uns vor den Blicken der Leute verbarg, durch einen so dichten Vorhang verwahrte, daß wir durchaus niemand zu sehen vermochten.

Als wir bei dem Flusse angelangt waren, den man passieren muß, ließ sich jede von uns, wie üblich, in einer verdeckten Sänfte auf das Schiff tragen; denn es hieß, daß viele Leute auf dem Wasser seien. Ein Neugieriger, welcher zu nahe an den Ort, wo wir eingeschlossen waren, herankam, empfing einen tödlichen Stoß, der ihm für immer das Licht des Tages raubte, und einen andern, den man fand, wie er sich ganz nackend im Flusse badete, ereilte das nämliche Schicksal. Deine treuen Eunuchen opferten diese beiden unglücklichen Deiner und unserer Ehre.

Aber vernimm nun das Ende unserer Abenteuer. Als wir etwa die Mitte des Stromes erreicht hatten, erhob sich ein so ungestümer Wind, und so drohendes Gewölk überzog den Himmel, daß unsere Schiffsmannschaft zu verzweifeln begann. Die schreckliche Gefahr bewirkte, daß wir fast alle in Ohnmacht fielen. Ich erinnere mich noch, wie ich die streitenden Stimmen unserer Eunuchen vernahm, von denen einige verlangten, man solle uns von der Gefahr benachrichtigen und uns aus unserer Gefangenschaft befreien. Aber ihr Oberster blieb dabei, er wolle lieber sterben, als zulassen, daß seinem Gebieter eine solche Schmach widerfahre, und er werde jedem die Brust mit dem Dolche durchbohren, der sich erfrechen sollte, noch einmal solche Gedanken laut werden zu lassen. Eine meiner Sklavinnen war ganz außer sich geraten; unbekleidet, wie sie war, eilte sie mir zu Hilfe; aber ein schwarzer Eunuch zwang sie mit rauher Gewalt, an den Ort zurückzukehren, wo sie hergekommen war. Dann vergingen mir die Sinne, und ich kam erst wieder zu mir, als die Gefahr überstanden war.

Welchen Drangsalen sind doch die Frauen auf Reisen ausgesetzt! Für die Männer giebt es nur die Gefahren, welche ihr Leben bedrohen; wir aber müssen immerfort fürchten, nicht nur das Leben, sondern auch die Tugend zu verlieren. Lebewohl, mein lieber Usbek, mein ewig angebeteter Gemahl!

Fatmehs Serail, am 2. des Mondes Rhamazan, 1713.



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