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Es ist die Ausgabe der Obrigkeit, das Recht des Bürgers gegen seinen Mitbürger zu verteidigen; jedes Volk aber muß aus eigenem Antriebe einem andren sein Recht widerfahren lassen. Bei dieser zweiten Art der Rechtsprechung sind keine anderen Grundsätze anwendbar, als bei der ersten.
Zwischen Volk und Volk bedarf es selten eines Dritten zur Entscheidung, weil die Ursachen ihres Streites fast immer auf der Hand liegen und leicht zu bestimmen sind.
Die Interessen zweier Nationen sind gewöhnlich so grundverschieden, daß man das Recht nur zu lieben braucht, um es zu finden; man wird sich nicht leicht an seinem eigenen Vorteil verkürzen.
Unter Privatleuten verhält es sich in streitigen Fällen ganz anders. Da sie Glieder einer Gesellschaft sind, so finden sich ihre Interessen so sehr untereinandergemischt und verwickelt, und es giebt deren so verschiedenartige, daß es eines Dritten bedarf, um wieder zu entwirren, was die Habsucht der Parteien zu verbergen sucht.
Es giebt nur zwei Arten von gerechten Kriegen: nämlich solche, in denen man sich gegen den Angriff eines Feindes verteidigt; und solche, in denen man einem angegriffenen Bundesgenossen zu Hilfe kommt. Im »Geist der Gesetze« (X, 2) führt Montesquieu dies weiter aus und sagt, daß das Recht der Verteidigung oftmals zur Notwendigkeit des Angriffs werde, nämlich wenn ein Volk sieht, daß ihm durch einen längeren Frieden Gefahr der Vernichtung von einem andren droht. Hier scheint Macchiavelli's Einfluß sichtbar: »Willst du nicht unterjocht werden, so unterjoche bei Zeiten den Nachbar.«
Es würde wider die Gerechtigkeit streiten, wegen fürstlicher Privathändel Krieg anzufangen, es müßte denn eine so schwere Beleidigung stattgefunden haben, daß der Fürst oder das Volk, von welchem sie begangen worden, dafür den Tod verdiente. So darf ein Fürst nicht deswegen einen Krieg beginnen, weil man ihm eine schuldige Ehre verweigert oder seinen Gesandten eine ungebührliche Behandlung hat widerfahren lassen, und was es sonst noch für Gründe dieser Art geben könnte; so wenig wie ein Privatmann denjenigen töten darf, der ihm den Vortritt streitig macht. Denn da die Kriegserklärung ein Akt der Gerechtigkeit sein soll, nach deren Grundsätzen die Strafe immer im Verhältnis zu dem Vergehen stehen muß, so hat man vorher zu prüfen, ob der, welchem man den Krieg erklärt, den Tod verdient; heißt doch jemanden bekriegen: ihn mit dem Tode bestrafen wollen.
Der Krieg ist die strengste Anwendung der Gerechtigkeit im Staatsrecht; denn er hat die Vernichtung der Gesellschaft zum Zwecke.
In zweiter Linie steht die Wiedervergeltung. Die Gerichte haben nicht umhin gekonnt, dies Gesetz anzuwenden, um die Strafe nach dem Verbrechen abzumessen.
Durch einen dritten Akt der Gerechtigkeit werden einem Fürsten die Vorteile entzogen, die ihm aus der Verbindung mit uns erwachsen, immer unter Beobachtung des Verhältnisses der Strafe zum Unrecht.
Der vierte Akt der Gerechtigkeit, welcher am häufigsten eintritt, ist die Aufkündigung der Bundesgenossenschaft mit einem Volke, über welches man sich zu beklagen hat. Diese Strafe entspricht der Verbannung, wie sie die Gerichtshöfe verhängen, um die Übelthäter aus der Gesellschaft zu entfernen. So wird ein Fürst durch Aufkündigung des Bundesverhältnisses aus unserer Gesellschaft verbannt und gehört nicht länger zu den Mitgliedern derselben.
Man kann einem Fürsten keinen größeren Schimpf anthun, als ihm das Bundesverhältnis aufzukündigen, und ihm keine größere Ehre erweisen, als ein solches mit ihm einzugehen. Nichts halten die Menschen für rühmlicher und selbst für nützlicher, als andere immer auf ihre Wohlfahrt bedacht zu wissen.
Aber soll ein Bündnis in der That Verbindlichkeit haben, so muß es gerecht sein: ein Bündnis, das von zwei Nationen zur Unterdrückung einer dritten geschlossen wird, ist nicht rechtskräftig und darf ungestraft gebrochen werden.
Es verträgt sich nicht einmal mit der Ehre und der Würde eines Fürsten, sich mit einem Tyrannen zu verbünden. Man erzählt von einem ägyptischen Monarchen, er habe den König von Samos wegen seiner Grausamkeit und Tyrannei warnen lassen und ihn aufgefordert, dieselbe abzulegen; und da die Mahnung erfolglos blieb, ließ er ihm ankündigen, daß er auf seine Freundschaft und auf sein Bündnis verzichte.
Die Eroberung gewährt an sich kein Recht. Besteht das Volk noch, so ist sie ein Unterpfand des Friedens und der Sühnung des Unrechts; wurde es aber vernichtet oder zerstreut, so bleibt sie das Denkmal einer Tyrannei.
Die Friedensverträge werden von den Menschen so heilig gehalten, daß man sie als die Stimme der Natur betrachten möchte, welche ihre Rechte zurückfordert. Sie sind immer rechtmäßig, wenn ihre Bedingungen beiden Völkern das ungehinderte Weiterleben ermöglichen. Verhält es sich anders, so darf dasjenige von beiden, welchem der Untergang droht, seine natürliche Verteidigung, deren der Friede es beraubt hat, im Kriege suchen.
Denn die Natur, welche den Menschen ihre Kraft oder ihre Schwäche nach verschiedenem Maße zugemessen, hat auch oft die Schwäche durch Verzweiflung der Stärke gleich gemacht.
Das, lieber Rhedi, ist nach meiner Auffassung das Staatsrecht; es ist das Recht der Völker, oder vielmehr es das der Vernunft. Dem Leser, der über Krieg und Völkerrecht noch weitere Belehrung im Sinne unserer Anmerkungen wünscht, empfehlen wir aufs wärmste Kants Abhandlungen »Zum ewigen Frieden« und »Von dem Verhältnis der Theorie zur Praxis: II. im Staatsrecht. III. im Völkerrecht.« (Werke, Bd. 6, Kirchmann.) Gegenüber der modernen Apotheose des Militärstaats, die als eine sittliche Krankheit unserer Seit zu betrachten ist, kann nicht ernstlich genug betont werden, daß nüchterne Denker über diese Dinge anders geurteilt haben.
Paris, am 4. des Mondes Zilhageh, 1716.