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Kapitän Osborn. – Der Regierungsschoner. – Rüstigs letzte Augenblicke und Tod.
Ehe wir unsere Erzählung beendigen, müssen wir unsern jungen Lesern noch mitteilen, wie es zuging, daß Kapitän Osborn so zur rechten Zeit auf der Insel eintreffen konnte. Es wird erinnerlich sein, daß einige Monate vor diesen letzten Ereignissen eine Brigg in der Nähe der Insel gesehen wurde und daß das Davonsegeln derselben die Bewohner des Eilandes in große Bekümmernis versetzte.
Die Bemannung dieser Brigg hatte nicht nur das Notsignal der Schiffbrüchigen wahrgenommen, sondern auch den Namen »Pacific« auf der Flagge gelesen. Der schwere Sturm hatte das Fahrzeug jedoch während der nächsten Tage so weit fortgetrieben, daß es nicht zurückkehren konnte, ohne den Eigentümern seiner Ladung unersetzlichen Schaden zuzufügen; es segelte daher ohne Aufenthalt dem Hafen seiner Bestimmung, Sydney, zu.
Das Boot, in welchem die Mannschaft des »Pacific« Rettung gesucht hatte, war nach kurzem Umhertreiben von einem nach Vandiemensland segelnden Schiffe aufgefunden worden.
Kapitän Osborn, der sich schnell wieder erholte, meldete von hier aus den Verlust seines Schiffes den Reedern in Bremen, zugleich sprach er die Vermutung aus, daß die Familie Sebald mit dem Wrack ihr Ende gefunden habe. Auf Vandiemensland bot sich ihm die Gelegenheit, billig ein großes Stück Land zu erwerben, was ihn veranlaßte, dem gefahrenreichen Seemannsberuf den Rücken zu kehren. Eines Tages brachte ihn eine Geschäftsreise nach Sydney; der Zufall wollte es, daß jene Brigg einige Tage zuvor hier eingelaufen war und so konnte es nicht fehlen, daß er die Nachricht vernahm, die die Brigg mitgebracht hatte. Denn Sydney war damals noch ein sehr kleiner Ort; er erkundigte sich näher und kam zu der Überzeugung, daß die Familie Sebald mit dem Leben davongekommen sein und auf jenem Eilande Zuflucht gefunden haben müsse. Sogleich wendete er sich an den Gouverneur von Neusüdwales; dieser stellte ihm bereitwilligst einen bewaffneten Regierungsschoner zur Verfügung, auf welchem der wackere Kapitän sich unverzüglich einschiffte, obgleich ihm durch die unvorbereitete Abwesenheit von seinen Ländereien geschäftliche Nachteile erwachsen mußten.
Der Schoner langte an demselben Morgen vor der Insel an, an welchem die Wilden daselbst landeten; Wilhelm hatte sich daher nicht getäuscht, als er aus dem eiligen Rückwege nach der Festung einen Segler draußen auf dem Meere wahrzunehmen glaubte.
Es währte sehr lange, ehe der Kommandant des Schoners eine Landung ermöglichen konnte, da die Insel gerade auf dieser Seite von unzähligen Klippen umstarrt war. Wohl vernahm er das Schießen im Walde und auch das Kriegsgeheul der Wilden, wohl geriet Kapitän Osborn in die größte Angst bei dem Gedanken, vielleicht nun doch noch zu spät zu kommen, aber die Zeit verstrich unter unaufhörlichem Suchen nach einer Einfahrt und als diese endlich gelungen war, da ließ der Kommandant sogleich das Feuer aus allen Karronaden eröffnen; die Wirkung desselben ist uns bekannt.
Die Freude, die Vater Sebald und seine Gattin bei dem Anblick des Kapitäns Osborn empfanden, läßt sich nicht beschreiben. Alle Not hatte nun ein Ende. Die Bootsmannschaft durchstreifte sogleich den umliegenden Teil des Waldes, um etwa noch herumlungernde Feinde aufzustöbern; außer den Verwundeten und Toten war jedoch kein Wilder zurückgeblieben, alle hatten sich nach den Kanus geflüchtet.
Wilhelm war nach der ersten Begrüßung des Kapitäns sogleich wieder an das Lager des armen alten Steuermannes zurückgekehrt; bald darauf eilte auch Osborn herzu, dem Sebald das traurige Ereignis mitgeteilt hatte. Rüstig erkannte den ehemaligen Schiffer sogleich an der Stimme; sehen konnte er ihn nicht mehr, da seine Augen von dem nahenden Tode bereits umflort waren.
»Das ist Kapitän Osborn,« sagte er mit schwacher Stimme. »Sie sind zur rechten Zeit gekommen; wir haben Sie nicht vergebens erwartet – nehmen Sie dafür den Dank eines Sterbenden.«
»Nun, nun, Steuermann,« antwortete der Kapitän mit einer Stimme, die recht herzhaft und zuversichtlich erscheinen sollte, »so schlimm wird es wohl nicht sein. Wir haben einen Arzt an Bord, den will ich sogleich rufen lassen.«
»Mir kann kein Arzt mehr helfen,« antwortete Rüstig; »es dauert keine Stunde mehr, dann werde ich in der Ewigkeit sein. Ich danke meinem himmlischen Vater für die Errettung der Familie, meine Zeit aber ist gekommen.«
Der alte Mann faltete seine harten Hände über der Brust und bewegte die Lippen in schweigendem Gebet.
»Lassen wir ihn allein,« flüsterte Kapitän Osborn; »wir dürfen ihn nicht stören. Ich werde nach dem Arzt schicken, obgleich ich wohl einsehe, daß er nichts nützen kann; die Hand des Todes liegt bereits auf ihm.«
Begleitet von Sebald und dessen Frau schritt er dem Hause zu. Wilhelm allein blieb bei seinem alten Freunde, um ihm Wasser zu reichen, wenn er danach verlangte. Nach einer kleinen Weile schlug Rüstig die Augen auf.
»Bist du da, Wilhelm?« fragte er. »Ich kann dich nicht sehen. Komm näher heran, mein lieber Sohn, ich habe dir etwas zu sagen. Laß mich unter den Bäumen auf der kleinen Anhöhe oberhalb der Quelle begraben; ich habe mir immer gewünscht, dort zu ruhen. Noch eins – der arme kleine Tommy! Laßt ihn niemals erfahren, daß er die Ursache meines Todes geworden ist. Bring ihn her, sogleich; auch Juno und Karoline – ich will ihnen Lebewohl sagen.«
Mit nassen Wangen eilte Wilhelm in das Haus, um seinen Eltern Rüstigs Wunsch mitzuteilen. Sie gingen alle miteinander hinaus, zum letzten Abschied. Rüstig rief mit mühsam flüsternder Stimme jeden einzelnen bei seinem Namen. Der Gerufene kniete an seiner Seite nieder und küßte ihn. Er sagte jedem ein herzliches Lebewohl; zuletzt war seine Stimme nur noch ein kaum vernehmbares Wispern. Schweigend und in Thränen blieben alle noch an seinem Lager stehen, Wilhelm nur kniete neben ihm und hielt seine Hand, bis der letzte Atemzug entflohen war.
»Es ist vorbei,« sagte Vater Sebald mit erstickter Stimme; »er ist gegangen, den Lohn zu erhalten, der jedem Gerechten verheißen ist. Selig sind, die in dem Herrn sterben!«
Er führte seine Frau und Kinder fort; Juno und Wilhelm blieben zurück. Die Negerin weinte, als müsse ihr das Herz brechen; Wilhelm versuchte sie zu trösten.
»O, Massa Willy!« rief sie, »ich oft denke, Massa Rüstig, ein Engel vom Himmel – gekommen, uns alle zu retten! Lebt so lange, bis alles gerettet, und jetzt geht zurück zum Himmel!«
»Ja, Juno, jetzt ist er im Himmel; wir wollen ebenso leben wie er, damit wir auch ebenso sterben können.«
Er drückte dem Toten sanft die Augen zu, und Juno holte die Schiffsflagge, mit der sie ihn bedeckten.
Inzwischen war der Kommandant des Schoners mit einer zweiten Schar Bewaffneter an Land gekommen; noch einmal wurde die Insel nach Wilden durchsucht, aber ohne Erfolg. Kapitän Osborn stellte die Sebalds dem Kommandanten vor und man verabredete das Nähere über das Verlassen der Insel. Der nächste Tag wurde den Insulanern zum Ordnen und Packen ihrer Habseligkeiten eingeräumt, am nächstfolgenden aber sollten sie sich an Bord begeben. Wilhelm berichtete, was der Verstorbene in Bezug auf seine Beerdigung gewünscht hatte. Der Kommandant gab sogleich Befehl zur Anfertigung eines Sarges, auch ließ er an der von Wilhelm bezeichneten Stelle ein Grab graben. Ferner wurde verabredet, daß Juno am nächsten Morgen in einem der Boote des Schoners nach dem kleinen Hafen fahren sollte; man gedachte die Merinoschafe einzufangen und mitzunehmen, da sie allein besonderen Wert hatten; alle übrigen Tiere, die Hunde ausgenommen, wollte man auf der Insel lassen, zum Wohle derer, die in späteren Tagen hierher verschlagen werden sollten.
Aus demselben Grunde bestimmte Vater Sebald auch, daß die Fässer mit Salzfleisch, ferner alles Hausgerät und was sonst noch an brauchbaren Sachen vorhanden war, auf dem Eilande zu bleiben hatten; der Rest wurde zusammengepackt und an Bord geschafft.