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Zum Tode wund. – Der dritte Sturm auf die Festung. – »Hoffentlich sehen wir uns im Himmel wieder!« – Höchste Not und Rettung.
Nachdem alle die Durstigen im Hause wiederholt getränkt worden waren, begab Sebald sich wieder in den Hof, um seinem Sohne beizustehen, der Rüstigs Jacke geöffnet und die Wunde bloß gelegt hatte.
»Wasser!« ächzte der alte Steuermann.
Wilhelm hielt ihm den Topf an die Lippen.
»Jetzt ist mir besser,« sagte der Verwundete mit kaum vernehmbarer Stimme. »Lege mir einen Verband an, Wilhelm; ein alter Mann wie ich hat nicht mehr viel Blut übrig.«
Vater Sebald und Wilhelm besichtigten die Wunde mit Sorgfalt; es war kein Zweifel, der Speer hatte die Lunge durchstoßen. Wilhelm zog eiligst sein Hemd ab, riß es zu Streifen und verband damit die Wunde, um den Bluterguß zu stillen.
Es schien, als ob Rüstig sich nach und nach ein wenig erholte, denn seine Stimme klang weniger leise und er redete auch mit geringerer Anstrengung als zuvor.
Jetzt kam Frau Sebald aus dem Hause.
»Wo ist der brave, der gute, der hochherzige Mann?« rief sie. »Wo ist er? Ich will ihm danken!«
Ihr Gatte ging auf sie zu und legte den Arm um ihre Schulter.
»Rüstig ist verwundet,« sagte er; »ich fürchte sein Leben ist in Gefahr. Ich hatte dir dies vorhin verschwiegen.«
In kurzen Worten berichtete er nun, was sich zugetragen hatte, dann führte er sie an das Lager des alten Steuermanns. Frau Sebald kniete an der Seite desselben nieder, ergriff seine Hand und brach in Thränen aus.
»Weinen Sie nicht um mich, meine liebe Madam,« sagte Rüstig; »meine Tage waren gezählt; es schmerzt mich nur, daß ich Ihnen nicht mehr nützen und dienen kann.«
Frau Sebald konnte lange kein Wort über ihre Lippen bringen; endlich beherrschte sie sich.
»O, mein bester Freund!« rief sie schluchzend, »was auch aus uns werden mag, so lange ich lebe, werde ich nie vergessen, was Sie für mich und die Meinigen gethan haben!«
Sie beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Stirn; dann stand sie auf und eilte heftig weinend in das Haus.
»Mein Junge,« sagte Rüstig zu Wilhelm, »ich kann nicht viel mehr reden; lege meinen Kopf ein wenig höher und dann laß mich allein. Auch muß jemand auf den Ausguck. In einer halben Stunde komm wieder zu mir. Auch Sie, Herr Sebald, bitte ich fortzugehen; mir ist, als könnte ich ein wenig schlafen.«
Vater und Sohn thaten, was der Alte verlangte; sie stiegen auf das Plankengerüst und hielten eine sorgfältige Umschau; endlich trat Sebald an seinen Knaben heran.
»Das ist ein schweres Unglück für uns, Willy,« sagte er mit unterdrückter Stimme.
Wilhelm fuhr mit der Hand über die Augen. »Ich wäre ja gern an seiner Stelle gegangen,« antwortete er, »aber er wollte es nicht gestatten. Die Wunde ist sehr schwer, nicht wahr, Papa?«
»Ich fürchte, daß sie tödlich ist, lieber Sohn. Der tapfere alte Mann wird uns sehr fehlen, wenn morgen die Wilden uns angreifen; Gott allein weiß, wie das enden wird.«
»O, ich habe Mut, Papa; seit Rüstig uns Wasser gebracht hat, ist mir's, als könnte ich noch einmal soviel leisten als zuvor.«
»Dieselbe Empfindung habe auch ich, mein guter Willy, dennoch aber werden wir zwei gegen eine solche Übermacht nicht viel ausrichten können.«
»Wenn Mama und Juno wieder die Gewehre für uns laden,« entgegnete der Knabe, »dann schlagen wir zwei uns morgen ebenso gut, wie unter Durst und Hunger und Erschöpfung vorher wir drei.«
»Das ist schon möglich,« antwortete der Vater; »jedenfalls werden wir unsere Schuldigkeit thun, denn wir kämpfen für das Leben derer, die uns auf Erden die Liebsten sind.«
Wilhelm sprang vom Gerüst herab und ging auf den Fußspitzen an das Lager des Verwundeten heran; da derselbe jedoch zu schlafen schien, störte er ihn nicht. Vater und Sohn trugen das Fäßchen Wasser ins Haus und stellten dasselbe unter die Obhut der Mutter, damit kein Tropfen vergeudet werde. Der Durst war nun gestillt und jetzt regte sich bei allen der Hunger. Juno und Wilhelm, zerlegten die geschlachtete Schildkröte, wie Rüstig so oft für sie gethan, sie brieten das Fleisch und alle hielten eine tüchtige Mahlzeit.
Die Nacht verging; als Wilhelm, der im Laufe derselben unzählige Mal nach dem Verwundeten gesehen hatte, bei Tagesanbruch wieder an dessen Lager trat, gewahrte er, daß der alte Steuermann die Augen geöffnet hatte.
»Wie fühlen Sie sich, Papa Rüstig?« fragte der Knabe indem er niederkniete.
»Mir ist ganz gut, Wilhelm,« antwortete der Alte, »ich habe nur wenig Schmerzen, aber ich bin matt; es wird bald zu Ende gehen. Eins mußt du mir versprechen – wenn ihr fliehen müßt, dann kümmert euch nicht um mich, sondern laßt mich, wo ich bin. Ich kann doch nicht wieder genesen, und wenn ihr mich mit euch schlepptet, dann stürbe ich nur um so früher.«
»Nein, Papa Rüstig, ehe ich Sie verlasse, will ich lieber mit Ihnen sterben!« rief der Knabe.
»Das wirst du nicht thun, mein Junge, denn das wäre thöricht und unrecht; du hast für die Rettung deiner Mutter und Geschwister zu sorgen. Versprich mir also, daß du thun wirst, was ich von dir verlange.«
Wilhelm zögerte; die Thränen liefen ihm unaufhaltsam über die Wangen.
»Vergiß nicht, daß du vor allem deine Pflicht zu thun hast,« fuhr der Steuermann fort; »ich weiß wohl, welche Gefühle dein Herz bewegen, aber du darfst dich denselben nicht hingeben; gieb mir das Versprechen, mein lieber Sohn, sonst verursachst du mir in meiner letzten Stunde noch Kummer und schwere Sorge.«
Wilhelm ergriff des guten alten Mannes Hand und drückte sie an seine Brust; reden konnte er nicht, sein Herz war zu voll.
»Wenn es hell ist, werden sie kommen,« redete Rüstig mühsam weiter; »du hast daher nicht viel Zeit zu verlieren; klettere auf den Ausguck und bleibe dort, bis die Sonne aufgegangen ist; beobachte die Wilden, so lange du dies mit Sicherheit thun kannst, dann komm herunter und berichte mir, was du gesehen hast.«
Seine Stimme war ganz schwach geworden, das Reden hatte ihn angestrengt.
Er winkte dem Knaben, sich zu entfernen; dieser kletterte die Kokospalme hinauf und blieb in deren Wipfel, bis es heller Tag geworden war.
Er sah, daß die Wilden ihre Holzstücke auf einen Haufen geworfen hatten, auf der Stelle wo das alte Haus gestanden hatte; noch eilten sie geschäftig hin und her; endlich versah sich jeder mit einem Holzstück und dann machte die ganze Schar sich auf den Marsch gegen die Festung. Wilhelm kletterte schleunigst herab und rief seinen Vater, der mit der Mutter vor dem Hause stand. Die Gewehre waren sämtlich geladen, Frau Sebald und Juno nahmen wieder ihren Standpunkt unterhalb des Plankengerüstes ein, um die abgeschossenen Büchsen aufs neue zu laden.
»Wir müssen auf sie feuern, sobald sie so nahe sind, daß wir unseres Zieles sicher sind,« sagte der Vater; »je mehr wir sie in ihrem Anmarsch aufhalten, desto besser ist es für uns.«
Todesmutig erwarteten die beiden Verteidiger der Festung das Herankommen der furchtbaren Feindesmacht; noch war dieselbe hundert Schritte von den Pallisaden entfernt, da krachten zwei Schüsse und zwei Wilde stürzten. Die Schar begann zu stocken und als kurz nacheinander noch zwölf der Krieger durch wohlgezielte Schüsse niedergestreckt wurden, da schien es, als käme Verwirrung in den Haufen. Die Unentschiedenheit der Angreifer aber dauerte nicht lange, von neuem rückten sie heran und jetzt hielten alle die Holzstücke vor sich, als Schutz gegen die tödlichen Kugeln. Auf diese Weise langten sie ohne weitere Verluste vor den Pallisaden an, wo sie sogleich mit dem Aufschichten des Holzes begannen. Vater Sebald und Wilhelm unterhielten ein unablässiges Feuer auf die Feinde, dessen Erfolg jetzt jedoch viel geringer war als vorher.
Obgleich noch mancher der Wilden fiel, so wurde das Holz doch immer höher und höher geschichtet, bis es beinahe an die Schießscharten reichte; die Oberfläche des Holzhaufens bildete eine schräg ansteigende Bahn, die Wilden hatten also im Sinne, im Sturmschritt heraufzulaufen und dann von oben in den Hofraum zu springen. Die Verteidiger wurden in dieser Annahme noch bestärkt, als die Wilden sich jetzt sämtlich bis an die Grenze des abgeholzten Raumes zurückzogen.
»Sie werden gleich heranstürmen, Vater,« sagte der Knabe, »dann ist es aus mit uns.«
»Ich fürchte, daß du recht hast, mein Sohn,« erwiderte der Vater, eine frische Büchse von Juno entgegen nehmend. »Ich wollte, sie hätten das Holz in Brand gesteckt, dann wären wir vielleicht im Rauch entkommen, wie Rüstig uns riet; jetzt aber ist es auch mit dieser Aussicht vorbei.«
»So wollen wir uns verteidigen, so lange wir können,« sagte Wilhelm mit zusammengebissenen Zähnen, »wenn sie uns überwältigen, dann hat Gott es so gewollt.«
»Ich sagte deiner Mutter gern noch Lebewohl,« murmelte der Vater dumpf und finster, »aber nein, in diesem Augenblick wäre dies Schwäche – – Da kommen sie in dichtem Haufen; behüte dich Gott, mein lieber Knabe, hoffentlich sehen wir uns alle im Himmel wieder.«
Die ganze Schar der Wilden rückte in gedrängter Masse heran; ein gellendes, betäubendes Geheul erhob sich, welches die Herzen der Frau Sebald und Junos zu Eis erstarren ließ, dennoch aber wichen diese nicht von ihren Posten. Auf hundert Schritte eröffneten Vater und Sohn wieder ihr Feuer; das Geheul verdoppelte sich, in wilden Sätzen, mit geschwungenen Speeren und Keulen stürzten die Angreifer auf die Festung zu; schon hatten sie die schräge Holzbahn erreicht, schon stürmten sie herauf – da wurde ihr Geheul und das Krachen der Büchsen plötzlich von einem viel gewaltigeren Krachen übertönt – ein furchtbarer Eisenhagel prasselte durch den Wald, Blätter aus den Baumwipfeln reißend und ganze Stämme niederschmetternd.
Der Angriff stockte; starr vor Staunen standen sowohl die Wilden, als auch die beiden tapferen Verteidiger; da krachte ein neuer Donnerschlag – die Bäume splitterten und stürzten, das Erdreich wurde von Kugeln aufgepflügt und die Wilden sanken in Massen zu Boden.
»Das sind die Geschütze eines Schiffes, Vater!« jauchzte Wilhelm, »wir sind gerettet!«
»Es kann nichts anderes sein,« antwortete Sebald in höchstem Erstaunen. »Wir sind gerettet, durch ein Wunder gerettet!««
Die Wilden standen ratlos, starr vor Entsetzen; sie wußten nicht, wie ihnen geschah, denn immer von neuem erhob sich der fürchterliche Donner in der Ferne, immer von neuem pfiffen, krachten und schmetterten die Kartätschen und die Vollkugeln durch den Kokoswald und rissen ganze Haufen von ihnen auf einmal in den blutigen Tod. Endlich wendeten sie sich mit Jammergeheul zur Flucht, sie rannten den Kanus zu; keiner, der sich noch wegschleppen konnte, blieb zurück.
Sebald sprang von dem Gerüst herab, um seine Frau zu umarmen, diese aber lag bereits auf den Knieen und hatte die Hände in heißem Dankgebet zum Himmel erhoben.
Wilhelm kletterte so schnell er konnte zum Ausguck empor; noch einmal krachten draußen die Geschütze, da schwenkte er den Hut und stieß einen lauten Jubelruf aus.
»Ein großer Schoner, Vater!« schrie er hinab, »er feuert auf die Wilden, die in ihre Kanus klettern wollen – sie stürzen und liegen überall herum, einige sind ins Wasser gesprungen – ein Boot voll bewaffneter Matrosen kommt heran, es ist schon dicht am Strande, unten beim Garten! Drei Kanus, voll von Wilden, paddeln fort – der Schoner feuert auf sie – zwei Kanus sind gesunken! Das Boot hat den Strand erreicht und die Seeleute kommen in Eile hierher!«
Schleunigst kletterte der Knabe von seinem Beobachtungspunkt herunter.
Im Hofe angelangt, riß er die Sperrhölzer von der Thür. Er war noch damit beschäftigt, als draußen schon die schweren Schritte der Befreier herankamen. Er riß die Thür auf und lag im nächsten Augenblick in den Armen des Kapitäns Osborn.