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Einundvierzigstes Kapitel.

Warum Juno dem kleinen Tommy den Finger in den Hals steckte. – Rüstig und Wilhelm auf der Entdeckungsreise. – Bananen, Guaven, Yams und Papageien.

 

Das Frühstück am nächsten Morgen war so festlich, wie es sich für ein Abschiedsmahl ziemte. Junos Kochkunst hatte in dem gebratenen Fisch ein Meisterstück geliefert, von dem der kleine Tommy so viel und so gierig aß, daß ihm zuletzt eine Gräte im Halse stecken blieb. Man puffte ihm tüchtig den Rücken, die Mutter stand auch keine geringe Angst aus, als Juno aber endlich dem Jungen ihren schwarzen Zeigefinger in den Schlund steckte, da verschwand die Gräte und alles war wieder gut.

Die Ranzen, die Gewehre und die andern Reiseutensilien lagen seit gestern schon bereit; Wilhelm und Rüstig erhoben sich vom Tische, verabschiedeten sich von den Zurückbleibenden und machten sich frisch auf die Reise.

Die Sonne stieg glänzend herauf und das Wetter versprach warm zu werden; in der Ferne glitzerte die wellige Meerflut und die Wipfel der Kokosbäume rauschten in der sanften Brise. Munter schritten die beiden dahin, nachdem sie noch Romulus und Remus gerufen, Fix aber zurückgejagt hatten; sie gingen am Vorratshause vorüber und erstiegen den Hügel dahinter; noch eine kurze Strecke weiter, dann bestimmte Rüstig den Kurs nach seinem Kompaß; man nahm die Beile zur Hand, um den Weg durch den Wald zu bezeichnen, und jetzt erst hatte die Entdeckungsreise ihren eigentlichen Anfang genommen. Eine Zeitlang schritten sie schweigend dahin, nur mit dem Anhauen der Bäume beschäftigt; endlich blieb Rüstig stehen und blickte wieder auf den Kompaß.

»Der Wald ist hier dichter, als ich ihn bisher gesehen,« bemerkte Wilhelm.

»Das ist er,« antwortete Rüstig, »ich glaube, wir befinden uns auch tatsächlich in dem dichtesten Teile desselben, recht im Mittelpunkte der Insel; doch, das wird sich ja herausstellen. Wir müssen uns ein wenig mehr nach Südwest halten, auch wollen wir nun schneller ausschreiten. Der Wald muß bald lichter werden, dann haben wir weniger Arbeit und können uns besser unterhalten.«

Es währte noch eine halbe Stunde, ehe die Bäume spärlicher standen, aber noch immer sahen sie rings um sich nichts als Stämme und hier und da Buschwerk. Es war ein hartes Stück Arbeit, alle paar Augenblicke einen Stamm anzuhauen, und auf den Stirnen der beiden Abenteurer perlte der Schweiß.

»Ich denke, wir machen jetzt erst eine kleine Rast,« schlug der alte Steuermann vor; »die Folgen deiner Krankheit sind doch noch nicht ganz beseitigt, ehedem warst du kräftiger.«

»Es ist wohl nur der Mangel an Übung, der mich so bald ermatten läßt,« entgegnete Wilhelm, sein Gewehr gegen einen Baumstamm lehnend, »ein paar Minuten Ruhe, und ich bin wieder frisch. Wie lange kann es noch dauern, bis wir aus dem Walde sind?«

»Eine kleine halbe Stunde, vielleicht auch nicht so lange. Ich weiß nicht, wie weit der Wald sich in dieser Richtung erstreckt.«

»Und was werden wir Ihrer Meinung nach dann finden?«

»Ja, wenn ich das nur wüßte; was ich zu finden hoffe, ist ein tüchtiges Stück Weidegrund zwischen der Waldgrenze und dem Strande, damit unsere armen Schafe und Ziegen endlich einmal wieder ihr Recht kriegen; wenn das Glück gut ist, dann finden wir auch noch einige andere Baumarten, denn vorläufig haben wir nur Kokosnüsse zu unserer Verfügung, höchstens noch Ricinusbohnen, von denen Tommy damals solch eine Portion verspeiste. Denn wer kann wissen, welche Samenarten im Laufe der Zeit durch Wind und Wogen oder durch Vögel auf dieses Eiland getragen worden sind.«

»Aber gehen denn die Samenarten, die auf solche Weise hierher gelangten, auch stets auf?«

»Warum nicht, mein Junge; ich habe gehört, daß Samenkörner hundert Jahre lang und darüber liegen können und hernach unter günstigen Bedingungen doch noch keimen und wachsen.«

»Das ist schon richtig,« antwortete Wilhelm; »Vater erzählte mir, man habe in den Begräbnisplätzen der Mumien, in den ägyptischen Pyramiden, Weizenkörner gefunden, die dort drei- oder viertausend Jahre lang gelegen hatten und doch noch aufgingen, als man sie in die Erde brachte.«

»Was ist eine Mumie?« fragte der Alte. »Von Ägypten habe ich manches gehört, von Mumien aber nichts.«

»Eine Mumie ist ein menschlicher Körper, den man nach dem Tode vermittelst verschiedener Spezereien einbalsamiert hat, um ihn zu erhalten. Ich habe noch keine Mumie gesehen, aber ich habe davon gelesen und so weiß ich, daß die Ägypter die Leiber ihrer Abgeschiedenen auf solche Weise gegen Verwesung zu schützen suchten. Jetzt aber habe ich mich erholt und nun kann's weiter gehen.«

»Vorwärts denn, mein Junge, je eher wir den Wald hinter uns haben, desto besser.«

Sie setzten ihren Weg fort und kaum war eine Viertelstunde vergangen, da stieß Wilhelm einen Freudenschrei aus.

»Ich sehe dort vor uns den blauen Himmel, Papa Rüstig!« rief er; »jetzt haben wir's bald geschafft, und das ist auch gut, denn mein Arm schmerzt mich bereits von dem ewigen Anhauen.«

»Das will ich wohl glauben,« erwiderte der Alte, »geht mir's doch ebenso; wir dürfen aber noch nicht nachlassen, denn sonst finden wir von der Waldgrenze aus den Weg nicht wieder.«

Nach weiteren zehn Minuten lag der Hochwald hinter ihnen, noch aber umgab sie dichtes Gebüsch, so daß sie nicht zu erkennen vermochten, wie weit der Strand noch entfernt war.

Wilhelm warf sein Beil ins Gras und sich daneben.

»Ich bin froh, daß das überstanden ist,« sagte er, »lassen Sie uns jetzt ein wenig ausruhen, Papa Rüstig.«

Der alte Seemann setzte sich an der Seite des Knaben nieder.

»Auch mich hat heute die Arbeit mehr angegriffen, als an dem Tage, wo wir zuerst durch den Wald gingen,« erwiderte er; »es mag dies an der Witterung liegen. Hierher, ihr Hunde, legt euch!«

»Das Wetter ist doch aber so schön, Papa Rüstig,« antwortete Wilhelm.

»Das ist es, ich wollte auch nur sagen, daß die Regenzeit der Gesundheit nachteilig ist, ich fühle sie wenigstens noch immer in den Gliedern. Früher kannte ich dergleichen nicht, im Alter aber wird man empfindlicher.«

Auf Wilhelms Vorschlag benutzte man die Ruhepause, um zugleich das Mittagsmahl einzunehmen, man hatte dann später eine Flasche Wasser weniger zu schleppen; auch beschlossen sie, die Ranzen auf dieser Stelle liegen zu lassen und auf dem ferneren Wege nur die Gewehre mitzunehmen. Sie ließen sich das Fleisch und die Brotkuchen trefflich schmecken und auch die Hunde erhielten ihren Anteil.

Neugestärkt machten sie sich wieder auf die Beine; während der nächsten zehn Minuten mußten sie sich mühsam einen Weg durch das Dickicht bahnen, dann aber gelangten sie ins Freie.

Das Meer lag eine halbe Seemeile entfernt; bis an das Gestade erstreckte sich ein Wiesenland, auf dem nur hier und da eine Gruppe von Bäumen und einiges Buschwerk zu bemerken war; die ganze Fläche mochte etwa fünfzig Morgen umfassen. Ein eigentlicher Strand war nicht vorhanden, da die felsige Küste sich gleich zwanzig bis dreißig Fuß hoch aus dem Meere erhob; hier und da waren auf diesem Felsenrande große weiße Flecke zu bemerken.

»Da hätten wir ja den so sehr gewünschten Weidegrund,« nahm Wilhelm das Wort; »wenn unsere Herde auch noch zehnmal so groß wäre, hier fände sie Nahrung im Überfluß.«

»Ja,« sagte Rüstig, »wir können von Glück sagen; solch ein Stück Land hat uns gerade gefehlt; jetzt aber laß uns zusehen, was sich hier für Bäume und sonstige Gewächse vorfinden. Da sehe ich gleich ein hellgrünes Blatt aus der Erde schießen, das mir bekannt vorkommt. Richtig, ich habe mich nicht geirrt, das ist die Banane, die eben aus der Erde bricht und bald zehn Fuß hoch sein wird; ihre köstlichen Früchte sollen uns sehr willkommen sein, ihr Stamm giebt außerdem ein gutes Viehfutter ab.«

»Hier ist eine Pflanze, die ich noch nie gesehen habe,« sagte Wilhelm; »diese kleine hier.«

Damit zog er ein Gewächs aus der Erde und hielt es Rüstig hin.

»Die Pflanze kenne ich sehr gut,« antwortete dieser, »die liefert den Cayennepfeffer; schau her, hier setzt sie schon die Schoten an; das giebt etwas für unsere Küche, wo, wie ich glaube, der Pfeffer bereits knapp geworden ist; Juno wird sich freuen. Wir müssen Vögel auf der Insel haben, sonst wüßte ich kaum, wie die Samen dieser Gewächse hierher gelangt sein könnten. Die Banane und dieser Pfeffer werden von mancherlei Vögeln gefressen. Ein Körnchen wurde hierher getragen und keimte auf, dann haben die Pflanzen sich selbst ausgesäet und so entstanden die Gruppen, die hier zerstreut auf dem Weideland stehen. Sieh nur, wieviel Bananen hier auf dieser einen Stelle aus dem Boden sprießen; in wenigen Wochen werden wir bereits einen kleinen Wald hier vorfinden.«

»Was mag das dort für ein Strauch sein, der so struppig aussieht?« fragte Wilhelm.

»Meine Augen sind nicht mehr so gut wie die deinen, laß uns näher herangehen. O, jetzt kenne ich den Strauch, in Westindien nennen sie ihn die Stachelbirne; der soll uns gute Dienste thun.«

»Trägt er denn eßbare Früchte?«

»Das auch, die Dinger sind aber mit Stacheln bedeckt, die man nur schwer wieder aus den Fingern los wird; immerhin schmecken sie nicht übel. Ich dachte soeben aber nur an die vortreffliche Hecke, die er zur Einfriedigung unseres Gartens abgeben wird und die kein Tier durchbrechen kann; der Strauch wächst sehr schnell und bedarf keiner Pflege. Hier steht sehr viel davon, wie ich sehe.«

»Was mag dies hier für eine Pflanze sein, Papa Rüstig?«

»Das weiß ich nicht, mein Junge, ich kann mich nicht erinnern, sie schon gesehen zu haben.«

»Wissen Sie was, Papa Rüstig? Ich werde von allen Pflanzen, die Sie nicht kennen, ein Exemplar mit nach Hause nehmen und dem Vater zeigen, der ist nämlich ein großer Botaniker.«

»Thue das, mein Sohn, der Gedanke ist gut.«

Wilhelm brach einen Zweig von der Pflanze und nahm ihn mit. Sie kamen jetzt zu einer Gruppe von Bäumen, die Rüstig angelegentlich betrachtete.

»Laß mich einmal nachsinnen,« sagte er; »den Baum muß ich kennen, der ist mir schon öfter in andern Ländern begegnet. Jetzt Hab' ich's, Wilhelm, es ist die Guave.«

»Was? Die Guave, von der das schöne Mus bereitet wird?« fragte Wilhelm.

»Dieselbe Guave,« lächelte der Alte.

»Ei, da wird Tommy vergnügt sein, wenn er das hört. Kapitän Osborn setzte uns manchmal Guavenmus vor und dann konnte Tommy niemals genug davon kriegen.«

»Solchen kleinen Jungen wie Tommy geht eine süße Speise über alles; das ist erklärlich und wir dürfen es dem kleinen Kerl nicht verargen; es ist ein guter Stoff in ihm und er wird sicherlich einst ein tüchtiger Mensch werden, verlaß dich darauf, lieber Wilhelm.«

»Das hoffe und glaube auch ich, Papa Rüstig. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir jetzt nach jenen Bäumen an der Küste gehen; ich bin nämlich neugierig, wovon die Felsen dort so weiß sind.«

Sie setzten ihren Weg in der angegebenen Richtung fort.

»Hören Sie doch, Papa Rüstig,« rief der Knabe plötzlich, »was ist denn das für ein Lärm? Das ist ja ein Geschrei und Geschnatter wie von Affen.«

Der Alte blieb stehen und lauschte.

»Affen sind das nicht, wohl aber Papageien; ich sehe zwar noch nichts, aber das Geschrei ist mir bekannt.«

Als sie in der Nähe der Bäume anlangten, erhob sich mit großem Geräusch und Geschrei eine gewaltige Schar von Vögeln aus deren Wipfeln, Hunderte von Papageien, deren blaues und gelbes Gefieder in der Sonne schillerte und glänzte.

»Da!« lachte der Alte; »sagte ich's nicht? Die sollen uns manche schöne Mahlzeit liefern.«

»Kann man denn Papageien essen?«

»Ei gewiß, ich denke noch mit Vergnügen an die Ragouts und Pasteten, die ich in Westindien und in Südamerika von diesen Vögeln gegessen habe. Aber halt, Wilhelm, ich bemerke da ein Blatt, das ich doch näher betrachten muß; komm mit.«

»Der Boden wird hier sumpfig,« bemerkte der Knabe.

»Ja, hier giebt's viel Wasser; desto besser für unser Vieh, dem wir hier mit Leichtigkeit Wasserlöcher graben können. Doch hier haben wir ja die Blätter; das nenne ich einen guten Fund, den besten, den wir heute gemacht; jetzt brauchen wir uns nicht mehr darüber zu grämen, daß wir keine Kartoffeln haben.«

»Was sind denn das für Pflanzen, Papa Rüstig?«

»Das sind Yams, mein Junge, Yams, die in den tropischen Ländern die Stelle der Kartoffeln vertreten.«

In diesem Augenblick stürzten die Hunde hastig in das Dickicht der Yamsblätter hinein und begannen heftig zu bellen; zugleich wurde ein zorniges Geschnauf und Gegrunze hörbar.

»Was ist das,« rief Wilhelm, der sich niedergebückt hatte, um die Yamspflanzen zu untersuchen und nun erschreckt zurückfuhr.

Rüstig brach in ein herzliches Gelächter aus.

»Es ist nicht das erste Mal, daß die dir einen Schreck einjagen, mein Junge,« sagte er.

»Unsere Schweine? Sollten das wirklich unsere Schweine sein, Papa Rüstig?«

»Natürlich, sie stecken hier in den Yams und mästen sich nach Herzenslust.«

Er klatschte in die Hände und ließ ein lautes Hallo hören; das Grunzen und das Rascheln unter den breitblättrigen Pflanzen nahm zu und dann brachen nicht nur sechs, sondern dreißig Schweine, große und kleine, aus dem Dickicht hervor, die mit großer Schnelligkeit und quiekend und lärmend über das Weideland trabten und dann im Walde verschwanden.

»Wie wild die schon geworden sind,« sagte der Knabe, den Tieren nachblickend.

»Ja, und sie werden mit jedem Tage wilder werden; wir müssen die Yams sobald als möglich mit der Stachelbirne einzäunen, sonst bleibt für uns davon nichts übrig.«

»Sie werden die Hecke aber niedertreten, ehe sie noch emporwächst.«

»Das müssen wir verhindern; wir ziehen erst einen Zaun von Kokospfählen und pflanzen die Stachelbirne dahinter; wenn die Pfähle verrottet sind, dann ist die Hecke so groß geworden, daß kein Tier mehr durchschlüpfen kann. Jetzt laß uns nach der Wasserkante gehen.«

Bei den Felsen angelangt, gewahrten sie, daß die weiß gefärbten Stellen auf denselben von Vogelmist herrührten; unsere Wanderer befanden sich an den Brutstätten der Möwen und anderer Seevögel, die jahraus jahrein hier nisteten und ihre Jungen aufzogen.

»Ich sehe doch aber keine Nester,« bemerkte Wilhelm, »nicht einmal die Spuren davon.«

»Diese Vögel bauen auch keine Nester,« belehrte ihn der Alte, »sie kratzen eine flache Vertiefung in die dünne Erddecke des Gesteins und hier legen und bebrüten sie ihre Eier, wobei immer ein Vogel dicht neben dem andern sitzt; die Zeit ist bald da, wo das Brutgeschäft wieder beginnt, dann aber werden auch wir uns einstellen und uns mit Eiern versehen, die gar lecker zu essen sind.«

»Was für eine Menge guter Dinge haben wir heute schon entdeckt,« rief der Knabe; »wir können mit den Ergebnissen unserer Forschungsreise sehr zufrieden sein.«

»Das können wir, aber wir sollen auch Gott danken für seine Güte, der uns in der Wildnis so reichlich den Tisch deckt und uns die Mittel giebt, mit jedem Jahr unsere Hilfsquellen zu vergrößern.«

»Wissen Sie, Papa Rüstig, wir hätten doch wohl besser gethan, unser Haus an dieser Stelle zu erbauen.«

»Da irrst du, mein Junge; erstens haben wir hier nicht das gute Quellwasser, und dann würde uns der zugängliche Strand fehlen; denke doch nur an den Fisch- und Schildkrötenteich. Nein, Wilhelm, unser Vieh mag hier weiden, wir können hier auch die Yams und die Früchte der Bäume und der andern Gewächse einsammeln, auch unsern Anteil an den Vogeleiern holen, aber unsere feste Wohnung muß dort sein, wo sie jetzt ist.«

»Sie haben recht, Papa Rüstig; nur ist der Weg hierher etwas weit.«

»Heute kam er dir so vor, bist du aber daran gewöhnt, und ist er erst gangbarer, dann wird er dir nicht mehr so weit erscheinen; auch bleibt uns ja noch der Wasserweg. Wir wollen uns doch gleich die Landungsgelegenheit näher ansehen.«

Sie schritten eine Strecke am Rande des Felshanges entlang, bis sie zu einer Stelle kamen, wo die Klippe niedriger wurde, und hier gewahrten sie ein kleines, in das Felsgestade einschneidendes Becken, das durch eine enge Einfahrt mit dem Meere in Verbindung stand.

»Sieh doch, Wilhelm,« rief Rüstig erfreut, »was für einen prächtigen Bootshafen wir hier gefunden haben! Hier können wir mit der größten Behaglichkeit unsere Jolle voll Yams laden und damit heimsegeln, vorausgesetzt, daß wir dort eine südliche Durchfahrt durch die Riffe finden; ohne eine solche wäre der Umweg ein zu großer, bis jetzt aber habe ich danach noch nicht gesucht.«

»Ja,« sagte Wilhelm, »einen besseren Hafen kann man sich nicht denken; wie aber sollen wir ihn finden, wenn wir uns von der See her diesem Strande nähern?«

»Sehr einfach, mein Junge, wir richten hier einen Flaggenmast auf.«

Dem Knaben leuchtete dies ein. Mit hellen Blicken musterte er das Gestade rings um das kleine Seebecken; dann blieb sein Auge auf einem Gegenstand in der Tiefe der klaren Flut haften.

»Papa Rüstig, sehen Sie doch,« sagte er, »was ist das für ein Ding dort auf dem Grunde des Wassers?«

»Das ist ein Seekrebs, der ebenso gut schmeckt wie der Hummer. Ob ich wohl noch einen Hummertopf machen kann? Ich will's gelegentlich versuchen, damit lassen sich die Tiere in Menge fangen.«

»Und was ist das krause Zeug da auf den Steinen unter dem Wasser?«

»Das ist eine kleine Sorte von Austern, ähnlich wie unsere Austern daheim, nur viel wohlschmeckender.«

»Da hätten wir also wieder einige kostbare Leckerbissen für unsern Tisch,« bemerkte Wilhelm; »wie reich sind wir doch!«

»Ja, ja,« meinte der Alte lächelnd, »erst aber müssen wir die Leckerbissen fangen, denn ohne Arbeit und Mühe ist auf dieser Welt nichts zu haben. Wohl bringt die Erde alles hervor, was wir Menschen brauchen, aber der Allmächtige hat auch gesagt: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.«

Der Knabe blickte eine Weile nachdenklich vor sich hin.

»Es bleibt uns noch gut drei Stunden Tageslicht,« sagte er dann; »wollen wir uns nicht auf den Heimweg machen und den Eltern erzählen, was wir alles gesehen und gefunden haben? Ich denke mir schon die Freude der Mutter, wenn sie uns kommen sieht.«

»Einverstanden, mein Junge; wir können mit unserm Tagewerk zufrieden sein. Gehen wir heim; das nächste Mal können wir uns meinetwegen eine Woche lang hier aufhalten, wenn's nötig ist. Früchte giebt's noch nicht, da wären also nur die Yams, die aber möchte ich gern vor den Schweinen sicher wissen. Aber komm, wir wollen das mit dem Vater besprechen.«

Auf dem Rückweg zur Waldgrenze pflückte Wilhelm noch von verschiedenen Gewächsen Zweige ab, um dieselben dem Vater vorzulegen. Mit Leichtigkeit fanden sie den Ort, wo sie ihre Ranzen und die Beile niedergelegt hatten und dann gingen sie durch den Wald zurück, den Merkzeichen folgend, die sie am Morgen in die Baumstämme gehauen hatten. Als sie am Hause anlangten, fehlte noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang; der Vater und die Mutter saßen vor der Thür und Juno spielte am Strande mit den Kindern, die dort fröhlich nach bunten Muscheln suchten. Nach einer herzlichen Begrüßung legte Wilhelm dem Vater die gesammelten Pflanzenexemplare vor.

»Dies hier,« sagte Vater Sebald, »ist eine sehr bekannte Pflanze und ich wundere mich darüber, daß sie Freund Rüstig fremd geblieben sein sollte; es ist nämlich Hanf.«

»Hanf habe ich immer nur in Gestalt von Tauwerk gesehen,« erwiderte der Alte. »Auch Hanfsamen kenne ich allenfalls.«

Sebald lächelte. »Nun, wenn wir eines Tages Bedarf an Hanfwaren haben sollten, dann kann ich angeben, wie dieselben herzustellen sind,« sagte er. »Was hast du noch da, Wilhelm?«

»Dies hier, ein kurioses Gewächs.«

»Das ist die Eierpflanze, sie trägt blaue Früchte, die in den Tropen gegessen werden sollen.«

»Ganz recht,« nickte Rüstig, »sie werden mit Pfeffer und Salz gebraten, heißen dann Bringal und schmecken schauderhaft.«

»Das kann ich mir denken; diese Pflanze aber solltest du eigentlich kennen, Willy.«

»Ich würde sie für Wein halten,« antwortete der Knabe.

»Und Wein ist's auch, das heißt, eine wilde Abart; die Trauben sind eßbar und vielleicht keltern wir noch einmal einen Tischwein daraus. Eure Forschungsreise hat uns viel Gutes und Neues gebracht, wofür wir recht dankbar sein müssen. Hier aber kommt Juno mit dem Abendessen; wir wollen hineingehen, es wird gleich finster werden.«

Der Abend bot noch Gelegenheit, die Aufgaben für die nächsten Wochen zu überlegen; man kam überein, zuerst das Boot wieder auszugraben und dann das südliche Ende des Riffs zu erforschen, ob dort eine Durchfahrt zu finden wäre, woran kaum zu zweifeln sei; wenn dies geschehen, dann sollten Vater Sebald, Wilhelm, Rüstig und Juno durch den Wald nach dem neuentdeckten Weideland wandern, ein Zelt mitnehmen und bei dem Bootshafen den Flaggenmast aufrichten. Diese Arbeit würde einen ganzen Tag dauern, ihnen jedoch gestatten, am Abend wieder daheim zu sein, damit Frau Sebald und die Kinder nicht während der Nacht allein blieben. Sodann sollten Rüstig und Wilhelm Säge, Beile und Spaten und auch den Wagen ins Boot laden und damit nach dem neuen Hafen auf der Südseite segeln; das Boot blieb dann dort und die beiden Seefahrer kehrten auf dem Landwege wieder heim.

Es wurde ferner beschlossen, die Jamplantage zu umzäunen und bei der Gelegenheit die Schafe und Ziegen durch den Wald zur neuen Weide zu treiben; auf dem alten Weideland gedachte man später Heu für die nächste Regenzeit zu machen. Rüstig und Wilhelm sollten dünne Bäume für den Zaun fällen und Vater Sebald ihnen bei der Einfriedigung der Plantage zur Hand gehen.

Alles dieses würde ungefähr einen Monat beanspruchen, unterdessen konnten Frau Sebald und Juno den Garten von Unkraut reinigen und das Pflanzen der Stachelbirnenhecke vorbereiten.

Hernach aber mußte man sich daran machen, die noch immer auf der andern Seite lagernden, der See entrissenen Güter zu untersuchen, soviel als möglich davon heranzuschaffen und im Vorratshause unterzubringen; auch sollten die Forschungsreisen weiter ausgedehnt werden, so daß Vater Sebald schließlich eine Karte der Insel anfertigen konnte, eine Arbeit, auf die er sich gut verstand.

Das waren die Pläne für die schöne Jahreszeit, die jetzt begann; allein der Mensch denkt und Gott lenkt, das sollte wieder einmal recht deutlich erkennbar werden in der Unterbrechung, die diese Pläne unserer Schiffbrüchigen erlitten, wie in dem nächsten Kapitel erzählt werden soll.


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