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Vierundvierzigstes Kapitel.

Rüstig macht einen Vorschlag.

 

Aller Beratungen und Beschlüsse ungeachtet aber verging noch mancher Tag, ehe unsere Schiffbrüchigen ihre Unthätigkeit überwinden konnten; einesteils wollten sie noch immer nicht von der Hoffnung lassen, die Brigg könne noch einmal zurückkommen, andernteils lugten sie immer aufs neue in der Richtung der Nachbarinsel über die See, stets gewärtig, eine Flotte von Kanus zu erblicken, voll von feindlichen und blutdürstigen Kriegern.

Eines Morgens, als sie in der Nähe des Schildkrötenteiches mit dem Fernrohr das Meer absuchten, nahm Sigismund Rüstig das Wort.

»Es geht nun wirklich nicht länger,« sagte er zu Vater Sebald, »daß wir unsere Zeit so nutzlos vergeuden; wir müssen uns die Gedanken an die Brigg endlich einmal aus dem Kopfe schlagen. Machen wir uns lieber auf einen Besuch der Wilden gefaßt, denn daß die kommen werden, ist so ziemlich sicher, und wenn ich mir vorstelle, daß sie uns während der Nacht überfallen und die Madam und die Kinder in ihren Betten ermorden könnten –«

»Gott stehe uns bei!« rief Sebald, die Hände vor sein Gesicht schlagend.

»Gott wird uns auch beistehen, Herr Sebald, aber nur, wenn auch wir unsere Schuldigkeit thun, denn wir können nicht erwarten, daß er unsertwegen ein Wunder thun soll. Das Geschick hat uns grausam mitgespielt, aber es ist hohe Zeit, daß wir uns endlich von dem Schlage erholen und wieder brav die Hände rühren.«

»Ganz dasselbe habe auch ich gedacht, Papa Rüstig,« bemerkte Wilhelm, »und zwar nicht erst heute, sondern schon seit vielen Tagen.«

»Gedacht haben wir das wohl alle,« entgegnete der Vater; »ich wenigstens habe keine Nacht die Augen zugethan, sondern unablässig über unsere Lage nachgegrübelt, aber den rechten Ausweg fand ich nicht.«

»Ich denke, ich kann Ihnen heute einen Vorschlag machen, der vielleicht Ihre Zustimmung erhält,« sagte Rüstig.

»So lassen Sie hören, alter Freund,« erwiderte Sebald, indem er sich auf einen Stein niederließ. »Lassen Sie uns noch einmal Rat halten; Sie haben als der Älteste und Erfahrenste zuerst das Wort.«

»Ich bin der Meinung,« hub Rüstig an, »daß wir in möglichster Eile unsern Wohnort wechseln; in dem Hause sind wir jede Nacht einem Überfall ausgesetzt, ohne uns wirksam dagegen wehren zu können.«

»Zugegeben,« sagte Vater Sebald. »Was aber bleibt uns übrig? Sollen wir nach der andern Seite der Insel zurückkehren?«

»Das erscheint mir nicht ratsam,« entgegnete Rüstig; »hören Sie mich weiter an. Wir haben auf dem südlichen Teil der Insel wertvolle Entdeckungen gemacht; ich denke hierbei nicht an die verschiedenen Früchte, die nur während des Sommers ein wenig Abwechslung in unsere Ernährung bringen; wichtiger ist schon das Weideland für unser Vieh, die Hauptsache aber sind die Yams, von denen wir während der Winterzeit leben können. Wir müssen dieselben unter allen Umständen gegen die Schweine schützen, wir hatten uns dies auch vorgenommen, aber bis jetzt ist leider noch kein Anfang damit gemacht worden. Ein Zaun von Pfählen wird uns zuviel Zeit kosten, hinreichend wäre auch schon ein tiefer Graben und eine Hecke, aber selbst diese Arbeit würde uns zu beschwerlich werden, wenn wir immer hin und zurück laufen müßten; auch können wir Frau Sebald und die Kinder hier nicht allein lassen. Das Wetter ist jetzt schön und wird auch Monate hindurch so bleiben; mein Rat ist daher, wir errichten unsere Zelte auf jener Seite und siedeln mit der ganzen Familie über; dann können wir ruhig arbeiten und werden uns dort vorläufig auch sicherer befinden, als hier.«

»Ein guter Plan, Rüstig,« sagte Vater Sebald, und Wilhelm war derselben Meinung.

»Ich denke,« nickte der Alte. »Es ist ja möglich, daß jene beiden Weibsleute ihre Insel gar nicht erreicht haben, da sie nicht nur die Strömung, sondern auch tagelang den Wind gegen sich hatten; ist es aber doch geschehen, dann müssen wir uns auf einen Besuch der Wilden gefaßt machen, die dann vor allen Dingen über das Haus herfallen werden.«

»Aber, Papa Rüstig, sollen wir denn unser Heim und alles, was wir hier so mühsam angelegt haben, auf immer verlassen?« fragte Wilhelm ganz traurig.

»Nein, mein Sohn, nicht auf immer; ich komme jetzt nämlich zu dem zweiten Teil meines Vorschlages. Wenn wir die Jamplantage gesichert und sonst auch drüben alles wohnlich eingerichtet haben, dann können wir die Madam und die Kinder ohne Sorge dort lassen und hier an die Arbeit gehen. Wir müssen, wie wir ja bereits besprochen haben, das jetzige Wohnhaus aufgeben und das im Walde versteckt liegende Vorratshaus als Wohnung wählen und es nach Kräften in Verteidigungszustand setzen, denn wenn die Regenzeit wieder naht, dann können wir nicht in den Zelten bleiben. Das Vorratshaus wird unsere Festung sein, wenn die Wilden uns angreifen sollten; ein Mann, hinter Pallisaden geborgen und mit Schießgewehr versehen, richtet mehr aus, als zwanzig Wilde mit ihren Speeren und Keulen, und so kann es uns mit Gottes Hilfe wohl gelingen, die Feinde in die Flucht zu schlagen.«

Wilhelm und sein Vater zollten dem Vorschlag des alten Steuermannes ihren Beifall. Der erstere betonte nur noch, daß man ohne Verzug an die Ausführung gehen müsse.

»Das soll auch geschehen,« sagte Rüstig. »Zuerst werden Wilhelm und ich die Durchfahrt durch das Riff suchen und im Boot nach dem neuentdeckten Hafen rudern; ist dies geschehen, dann holen wir die Zelte und alles übrige; Frau Sebald und die Kinder spazieren mit Ihnen durch den Wald und ergreifen Besitz von der Sommerwohnung, die wir inzwischen aufgebaut haben. Ehe wir dann an die Errichtung der Pallisaden gehen, müssen wir nach der andern Seite hinüber, um Nägel und dergleichen zu holen; auch können wir, wenn wir einmal dabei sind, unsere dortigen Vorräte gründlich besichtigen.«

»Nun wollen wir aber auch nicht einen Tag, nicht eine Stunde mehr verlieren, Freund Rüstig!« rief Sebald voll Eifer; »wir haben leider schon viel zu lange gezögert. Womit beginnen wir heute?«

»Beim Frühstück müssen wir Ihrer Frau unsere Beschlüsse mitteilen, hernach machen Wilhelm und ich uns auf die Suche nach der Durchfahrt. Sie bleiben hier und verpacken die Zelte und was sonst noch nötig ist. Um die Mittagszeit sind wir hoffentlich wieder da.«

Sie gingen zum Hause zurück; ein jeder fühlte sich jetzt, wo eine Entscheidung getroffen war, von einer Last befreit; sie wollten alles thun, was in ihren Kräften stand, die drohende Gefahr abzuwenden, dann durften sie auch vertrauensvoll hoffen, daß der Allmächtige ihnen seinen Beistand in der Not nicht versagen würde.


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