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Dreißigstes Kapitel.

Wie die Flaggen des Pacific Verwendung fanden. – Rüstig beginnt seine Lebensgeschichte.

 

Man hatte zum Bau des Wohnhauses soviel Bäume gefällt, daß Blätter von allen Größen überall herumlagen; es machte daher den beiden keine Mühe, in kurzer Zeit ein tüchtiges Bündel zu sammeln. Am Strande angelangt, sahen sie, daß Rüstig den Bug des Bootes schon auf den Strand gebracht und auch die Walzen bereit gelegt hatte. Sie griffen herzhaft an und schon nach wenigen Minuten stand das kleine Fahrzeug hoch und trocken auf dem Lande, dreißig Fuß von der Wasserkante entfernt; darauf gruben sie rings unter demselben den Sand fort, bis es zur halben Höhe eingesunken war.

Nun schaufelten sie den Sand wieder heran, bis er an das Dollbord reichte, dann deckten sie das Boot mit den Blättern zu, die sie schließlich noch mit Sand beschwerten, damit der Wind sie nicht davonführe.

»Ich verstehe eigentlich nicht, Papa Rüstig,« sagte Wilhelm, »weshalb wir das Boot so sorgfältig eindecken; der Regen schadet ihm doch nicht.«

»Nein, mein Junge, der Regen nicht, aber die Sonne; wenn sie auch nur gelegentlich scheinen wird, so reichte ihre Hitze doch hin, die Planken in tausend Stücke zu sprengen.«

»Daran dachte ich nicht,« antwortete Wilhelm. »Was kommt nun an die Reihe?«

»Hm,« sagte der Alte, »bis Mittag sind es noch zwei Stunden; wie wär's, Willy, wenn du die Fischleinen holtest und man sein Glück beim Angeln versuchte?«

»Wir drei können aber nicht mit zwei Leinen fischen,« bemerkte Vater Sebald.

»Allerdings nicht, da aber Willy den Fischfang bereits versteht, so bleiben Sie vielleicht bei ihm, während ich hinaufgehe und Holz und Späne für Junos Küchenfeuer sammle. Heute früh konnte sie mit dem nassen Zeug nicht recht fertig werden, wenn man's aber richtig aufstapelt, dann ist es bald trocken. Achten Sie ja darauf, Herr Sebald, daß Sie die Leine nicht zu fest in der Hand halten, sonst könnten Sie ins Wasser fallen, wenn der Fisch einen Ruck giebt. Ich habe Wilhelm auch schon gewarnt, aber dergleichen kann man nicht oft genug wiederholen.«

Auf seinem Wege begegnete er dem Knaben, der mit den Leinen zurückkam, und auch jetzt versäumte er nicht, denselben noch einmal auf die Gefahr beim Angeln aufmerksam zu machen; dann ging er an seine Arbeit, die Schaufeln aus der Schulter und die Räder hinter sich her ziehend, da beides am Strande nicht mehr gebraucht wurde.

Vater und Sohn hatten Glück; im Laufe von noch nicht zwei Stunden fingen sie acht große Fische, die sie über den Bootshaken gehängt nach Hause trugen; auf Rüstigs Rat hatten sie vermittelst des letzteren die Fische aufs Land gezogen, wenn sie zu fürchten hatten, daß die Leinen reißen würden.

Man begrüßte sie mit Freude; es hatte nur gesalzenes Schweinefleisch zu Mittag geben sollen, jetzt aber schob man die Essenszeit noch etwas hinaus, um von den herrlichen Fischen braten zu können.

Kaum hatte man sich ans Mahl gesetzt, da prasselte der Regen wieder auf das Dach hernieder, und bald waren der Sturm, der Donner und die Blitze so heftig, wie am Tage zuvor. Man konnte nicht mehr daran denken, im Freien zu arbeiten. Frau Sebald, Juno und Karoline nahmen ihre Näharbeiten zur Hand und auch für die übrigen hatte Rüstig sehr bald Beschäftigung gefunden.

Vater Sebald und Wilhelm drehten dicke Tauenden auf, da Rüstig von den Kabelgarnen derselben dünnere und besser verwendbare Leinen anfertigen wollte. Der Steuermann versah die Bettvorhänge mit Ringen, damit dieselben sich besser auf- und zuziehen ließen, und Tommy erhielt einen Haufen verfilzten Zwirnes, um die Fäden zu schlichten und aufzuwickeln; da er des Nichtsthuns müde war, so machte er sich mit lobenswerter Geduld an diese Arbeit.

Rüstig hatte die neue Einrichtung an den Vorhängen beendet und zweckentsprechend gefunden; jetzt bückte er sich und zog unter der Bettstatt ein großes Bündel hervor, das er langsam zu öffnen begann.

»Jetzt soll Madams Bett hübsch verziert werden,« schmunzelte er; »es gehört sich, daß es feiner aussieht als alle andern.«

Das Bündel enthielt die wollene, rot und weiß gestreifte Schiffsflagge und außerdem noch eine kleinere gelbe, auf der in großen dunkelblauen Buchstaben der Name »Pacific« zu lesen war. Beide Flaggen drapierte der Alte mit Kunst und Geschick rund um Frau Sebalds Bettstatt, wodurch nicht nur diese ein geradezu festliches Aussehen erhielt, sondern auch die rauhe Holzwand verdeckt wurde.

Als er nach Beendigung des Werkes Frau Sebald mit seinen guten alten Augen triumphierend anblickte, drückte diese ihm fröhlich und dankbar die Hand.

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Steuermann,« rief sie; »es ist wirklich zu großartig und paßt gar nicht in diese bescheidene Umgebung.«

»Das war aber die beste Verwendung, die wir für die Flaggen gegenwärtig haben,« entgegnete Rüstig.

»Leider!« bemerkte Sebald leise und gedankenvoll.

Es war finster geworden und man zündete Lichter an.

»Sie haben mir einmal versprochen, Ihre Lebensgeschichte zu erzählen, Papa Rüstig,« nahm Wilhelm das Wort. »Wäre jetzt nicht die beste Zeit dazu?«

»Versprochen habe ich das, und sein Wort muß man halten,« antwortete der Alte. »Wenn du meine Geschichte kennst, dann wirst du sagen, ich sei in meiner Jugend ein rechter Narr gewesen, immerhin aber kannst du manches daraus lernen.«

»Sie machen uns begierig, Steuermann Rüstig,« sagte die Mutter.

»Dann will ich Sie nicht lange warten lassen, Madam,« entgegnete der alte Seemann und begann ohne weitere Umschweife, wie folgt:

»Mein Vater war der Kapitän einer Brigg, die gewöhnlich zwischen England und Hamburg fuhr und nur selten größere Reisen zu machen hatte. Das Schiff war zum dritten Teil sein Eigentum, denn er hatte sein und meiner Mutter kleines Vermögen darin angelegt; die zwei übrigen Drittel gehörten dem Herrn Sigismund, einem reichen Reeder und Werftbesitzer.

Mit seinem Anteil am Ertrage des Schiffes und seinem Gehalt konnte mein Vater nebst seiner Familie ein behagliches Leben führen. Mit dem Reeder stand er im besten Einvernehmen, letzterer war sogar mein Pate gewesen, so daß ich nach ihm meinen Namen trage. Man prophezeite mir daraus allerlei Gutes, denn Herr Sigismund war ein Junggesell, sechzig Jahre alt und ohne nähere Verwandtschaft. Zwar galt er für einen Geizhals, aber auch darin sah man einen günstigen Umstand, da er sein Geld doch nicht mit sich ins Jenseits nehmen konnte.

Alle solche Hoffnungen aber wurden mit einem Schlage vernichtet, als mein Vater, ungefähr ein Jahr nach meiner Geburt sein Schiff bei Texel verlor und dabei mit der ganzen Mannschaft ertrank.

Die Leute glaubten, daß meine Mutter, die damals erst zweiundzwanzig Jahre alt war, genug zu leben haben würde, da das Schiff gut versichert gewesen war. Man erstaunte aber allgemein, als es hieß, die Versicherungssumme käme dem Reeder Sigismund allein zu, da er allein die Unkosten der Versicherung getragen habe.«

»Was ist unter Versicherung zu verstehen?« fragte Wilhelm.

»Man versichert ein Schiff, indem man an eine Versicherungs-Gesellschaft eine bestimmte Summe entrichtet, wogegen die Gesellschaft sich verpflichtet, dem Eigentümer des Schiffes jeden Verlust zu ersetzen, der diesem durch Havarie oder Schiffbruch entstehen kann. In Kriegszeiten beträgt die Summe, die man zu zahlen hat, zehn Prozent, das heißt zehn Thaler für je hundert Thaler des versicherten Betrages. Will man zum Beispiel ein Schiff oder seine Ladung mit hunderttausend Thalern versichern, so müßte man, wenn das Fahrzeug glücklich heimkehrt, der Versicherungs-Gesellschaft eine sogenannte Prämie von zehntausend Thalern zahlen; geht das Schiff jedoch verloren, dann hat die Gesellschaft dem Eigentümer hunderttausend Thaler zu erlegen. Hast du das verstanden?«

»Ja, lieber Vater. Ich verstehe aber nicht, wie eine Gesellschaft sich auf so etwas einlassen kann, denn da während eines Krieges sicherlich sehr viele Schiffe verloren gehen oder vom Feinde gekapert werden, so hat sie ja ungeheure Summen zu erlegen.«

»Du darfst nicht vergessen, daß auf ein gekapertes oder verlorenes Schiff fünfzig oder mehr kommen, die glücklich heimkehren; das Geschäft ist für die Gesellschaften daher unter allen Umständen sehr einträglich. Verzeihen Sie die Unterbrechung, lieber Rüstig.«

»Ich bin Ihnen dankbar dafür,« entgegnete der Steuermann. »Sie haben nicht nur Ihren Sohn, sondern auch mich belehrt, denn die Sache mit der Versicherung war mir nie recht klar gewesen. Ob es sich damals so verhielt, wie die Leute sagten, das weiß ich nicht, wohl aber erinnere ich mich, daß man dem Reeder Sigismund, wenn er nichts davon hörte, schwere Vorwürfe machte und ihn beschuldigte, die arme Wittwe um das Ihrige betrogen zu haben. Meine Mutter mußte sich und mich mit Handarbeiten durchbringen und unter solchen Verhältnissen erreichte ich mein neuntes Lebensjahr.«

»Hat denn Ihr Pate nichts zur Unterstützung für Ihre Mutter gethan?« fragte Sebald.

»Nichts, und das brachte ihn noch mehr ins Gerede. Ich glaube aber, daß gerade dieses Gerede, als dessen Quelle er meine Mutter ansehen mochte, ihn von uns zurückhielt; vielleicht aber war es auch sein Gewissen, denn der Mensch empfindet stets eine Abneigung gegen den, den er geschädigt hat, was doch ganz verkehrt ist, da er nicht an jenem, sondern an sich selber Ärgernis nehmen müßte.«

»Leider liegt eine große Wahrheit in dem, was Sie sagen,« bemerkte Vater Sebald, »dennoch aber ist es seltsam, daß er gar nichts für Sie that.«

»Das ist es, aber sehen Sie, er hing an seinem Gelde, und dann mögen ihn auch wohl die Reedereien der Leute aufgebracht und in Zorn erhalten haben. Aber ich will fortfahren; ich war für mein Alter groß und kräftig, und wenn ich einmal meiner Mutter oder gar aus der Schule entwischen konnte, dann war ich stets am Hafen oder an Bord eines der Schiffe zu finden, denn wie es eine junge Ente mit aller Gewalt nach dem Wasser zieht, so ging es auch mir. Meine Mutter gab sich alle Mühe, meine Gedanken von dieser meiner Leidenschaft abzulenken; sie erzählte mir von den Gefahren und Mühseligkeiten, denen die Seefahrer ausgesetzt sind und endete stets mit dem Tode meines armen Vaters und unter einem Strom von Thränen.

Wir Menschen sind verkehrte Geschöpfe, denn es drängt uns, immer gerade das zu thun, was uns verboten ist. Wenn meine Mutter mir nicht so unaufhörlich den Gedanken an die See auszureden versucht hätte, dann wäre ich möglicherweise ganz ruhig zu Hause geblieben. Aber ich war ein stolzer und starrköpfiger Geselle; mag sein, daß ich das von meinem Vater geerbt habe, denn meine arme Mutter war demütig genug.

Ich konnte es nicht ertragen, wenn andere Jungen etwas vollführten, das ich nicht fertig brachte; dies trieb mich oft zur Waghalsigkeit und es war, wie die Leute sagten, ein Wunder, daß ich dabei nicht schon hundertmal den Hals gebrochen hatte. Meine Mutter mußte fortwährend hören, welchen Gefahren ich entgangen war; dann schalt sie zuerst, hernach aber beschwor sie mich händeringend, solche Streiche zu unterlassen, und schließlich ging sie in ihre Kammer und weinte und betete, denn ich war ja all ihre Hoffnung, all ihr Trost und das einzige Band, das sie noch an diese Welt fesselte.

Oftmals, in stillen Stunden, habe ich darüber nachgedacht, wie gefühllos und selbstisch ich damals gewesen sein muß. Freilich war ich noch zu jung, um zu erkennen, was für Schmerz ich ihr verursachte, und wie die Angst um mich ihr Tag und Nacht keine Ruhe ließ. Kinder haben keine Empfindung für so etwas, sonst würden sie sicher anders handeln, denn unsere Herzen verhärten sich erst, wenn wir älter werden.«

»Das ist ein richtiges Urteil,« bemerkte Sebald. »Wenn die Kinder wirklich wüßten, wie sehr die Eltern unter ihren Unarten und ihrem Ungehorsam leiden, wie sie sich grämen, wenn sie Böses in ihnen aufkeimen sehen, dann würden sie sich bemühen, besser und folgsamer zu sein.«

»Diese Erkenntnis kommt immer erst, wenn es zu spät ist,« fuhr Rüstig in seiner Erzählung fort. »An einem stürmischen Tage trieb ich mich wieder am Hafen herum; das Wasser der Elbe war hoch und unruhig, eine Trosse, mit der ein Schiff am Bollwerk festgelegt war, brach und traf mit ihrem zur Seite geschnellten Ende einen auf dem Landungsfloß stehenden Mann so heftig, daß er ins Wasser stürzte.

Ich hörte das Geschrei der Zuschauer und sah, wie die Leute vom Bollwerk und von den Schiffen dem Verunglückten Leinen zuwarfen, die derselbe jedoch nicht zu fassen vermochte. Ich ergriff das Ende einer solchen Leine, die man soeben wieder aufgeholt hatte und sprang damit ins Wasser.

Es war die höchste Zeit gewesen, denn der Mann wollte gerade untersinken, als ich ihm das Tau in die noch einmal wild umher greifende Hand gab. Er packte zu, wie nur ertrinkende Leute zupacken können; man holte ihn an das Bollwerk heran und bald darauf kam ein Boot von einem der Schiffe und sammelte uns beide auf. Im nächsten Gasthof wurden wir zu Bett gebracht, bis trockene Kleider für uns beschafft waren, und dann stellte sich heraus, daß der Gerettete mein Pate, der Rheder Sigismund war.

Alle waren des Lobes voll über meine That, deren man sich, ich sage dies nicht aus Eitelkeit, bei einem so jungen Burschen sicherlich nicht versehen hatte. Die Matrosen brachten mich im Triumphzuge zu meiner Mutter; als die erfahren hatte, was ich gethan, umarmte sie mich immer von neuem, bald über meine Rettung jubelnd, dann wieder in Thränen ausbrechend, wenn sie daran dachte, welcher Gefahr ich entronnen war und in welche weiteren Gefahren meine Tollkühnheit mich noch stürzen würde.«

»Aber gescholten wurden Sie doch von Ihrer Mutter nicht,« warf Wilhelm ein.

»O nein, mein Junge, sie mußte sich wohl sagen, daß ich nur meine Pflicht gegen meinen Nächsten gethan und nebenbei auch Böses mit Gutem vergolten hatte, aber sie sprach dies nicht aus. Am nächsten Tage erschien der Rheder in unserer Wohnung; er fragte nicht ohne einige Verlegenheit nach seinem Paten, um den er sich so lange nicht gekümmert hatte. Meine Mutter empfing ihn freundlich, da sie wohl einsah, welche Vorteile uns aus diesem Besuche erwachsen konnten; ich aber, der so oft hatte anhören müssen, wie sehr der Rheder sich gegen meine Eltern versündigt habe, verhielt mich ihm gegenüber ganz kühl. Gewiß, ich freute mich ja, ihn gerettet zu haben; aber diese Freude erwuchs, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, nicht aus dem Bewußtsein, recht gethan zu haben, sie war vielmehr eine Empfindung befriedigter Rache, denn ich hatte ja dem Manne, der sich gegen mich vergangen, nunmehr Verpflichtungen gegen mich auferlegt. Du siehst, lieber Wilhelm, daß meine Handlungsweise nicht sehr verdienstvoll gewesen war, da sie dergleichen Gefühle in mir erweckte.«

»Ich glaube, daß ich unter ähnlichen Umständen ganz ebenso gedacht haben würde wie Sie,« antwortete der Knabe offenherzig.

»Wer weiß. Böses mit Gutem zu vergelten, ist Christenpflicht; hätte ich Herrn Sigismund in dieser Absicht gerettet, dann hätte ich vielleicht Lob verdient. Als ich aber den Sprung ins Wasser that, da wußte ich gar nicht, daß er es war, und es fragt sich sehr, ob ich mein Leben gewagt hätte, wenn die Sache anders lag.«

»Es scheint mir, lieber Rüstig, daß Sie sich zu streng beurteilen,« sagte Vater Sebald. »Sie sind ungerecht gegen sich selber.«

»Das Herz des Menschen ist voll von Trug und Bosheit, lieber Herr,« entgegnete der Alte. »Der Beweggrund zu meiner Handlungsweise war gut, aber die Empfindungen, die hernach in mir erwachten, nahmen meiner That jegliches Verdienst.

Der Besuch des Rheders war nur kurz; er versprach meiner Mutter, fortan für mich zu sorgen, und einen Schiffsbauer aus mir zu machen. Die gute Frau weinte vor Freude und als wir wieder allein waren, drückte sie mich ans Herz und sagte, jetzt wäre sie ganz glücklich, da ich doch nun nicht zur See zu gehen brauchte.

Herr Sigismund hielt Wort; er unterstützte meine Mutter, so daß sie nicht mehr so angestrengt zu arbeiten brauchte; die Nachbarn kamen und wünschten ihr Glück, sie aber erzählte allen, die es hören wollten, daß sie allein mir zu danken habe, wenn nun die Zeit der Trübsal und der Entbehrungen überwunden sei.«

»Hat Sie dies nicht sehr glücklich gemacht?« fragte Wilhelm.

»Ja, lieber Sohn, aber es machte mich auch hochmütig. Ich konnte meine Abneigung gegen den Rheder nicht überwinden. Es peinigte mich, meine Mutter ihm verpflichtet zu wissen und mit Zähneknirschen dachte ich daran, daß ich Kleider tragen mußte, die er gekauft, und eine Schule besuchte, die er bezahlt hatte. Dazu kam, daß ich nun nicht mehr am Hafen, auf den Werften und an Bord der Schiffe herumlungern durfte wie früher. Ich sah nicht ein, daß die strengere Zucht nur zu meinem Besten diente, ich wurde mürrisch und unzufrieden, weil mir, wie ich glaubte, keine Freude mehr gegönnt war.

Unter solchen Umständen war es kein Wunder, daß die Lehrer meine Leistungen in der Schule für ungenügend erklärten; Herr Sigismund erschien persönlich in der Klasse und verlangte meine strenge Bestrafung. Dies empörte mich so, daß ich den Entschluß faßte, davonzulaufen und zur See zu gehen.

Ich war thöricht, sehr thöricht, und das sind alle Knaben, die in ihrer halsstarrigen Verblendung meinen, besser als ihre Eltern und Lehrer zu wissen, was ihnen frommt; und denke nur, Wilhelm, um welche Vorteile diese Thorheit mich aller Wahrscheinlichkeit nach gebracht hat.

Ich sage, aller Wahrscheinlichkeit nach, denn kein Mensch kann ja wissen, wie seine Zukunft sich gestalten wird. Es war mir die Gelegenheit geboten, Kenntnisse und Bildung zu erwerben, ich hatte ferner die Aussicht, später Herrn Sigismunds Geschäft zu übernehmen, vielleicht auch sein großes Vermögen zu erben, so daß ich heute ein reicher und geachteter Mann wäre, umgeben von allen Bequemlichkeiten des Lebens, vielleicht auch im Besitz eines braven Weibes und lieber Kinder; statt dessen sitze ich hier auf einer entlegenen, wüsten Insel, ein armer, alter, abgenutzter Seefahrer.

Ich hebe dies hervor, lieber Wilhelm, um dir zu zeigen, wie ein unüberlegter falscher Schritt in der Jugend einen Menschen für immer aller Aussichten berauben kann, so daß er, anstatt mit günstigem Winde den Ocean des Lebens zu durchschiffen, bis an sein Ende mit Gegenströmungen, Stürmen und Klippen zu kämpfen hat.«

»Eine gute Lehre, Freund Rüstig,« bemerkte Vater Sebald.

»Das ist es; es soll damit aber nicht gesagt sein, daß ich mit meinem Lose unzufrieden wäre, wenngleich ich die Irrtümer meiner Jugend beklage. Meinen Lebensweg hat Gott gelenkt und sein Wille soll auch bis zum Ende geschehen.«

Frau Sebald hatte mit großer Teilnahme zugehört.

»Wie man auch sonst über Ihr Unglück urteilen mag, lieber Freund,« sagte sie jetzt, »uns ist daraus eine unschätzbare Wohlthat erwachsen, denn denken Sie doch, wenn Sie nicht zur See gegangen und an Bord des Pacific gewesen wären zu der Zeit, als die Mannschaft uns im Stiche ließ, was hätte aus uns werden sollen?«

»Der Gedanke, daß solch ein alter, abgenutzter Mensch wie ich sich noch so brauchbar erweisen durfte, erfüllt mein Herz mit Freude und Dank. – Inzwischen aber ist die Schlafenszeit herangekommen, ich muß daher wohl für heute aufhören und die Fortsetzung meiner Geschichte auf morgen abend verschieben.«

»Ganz wie Sie wollen, Steuermann,« sagte Vater Sebald. »Bringe die Bibel her, lieber Wilhelm.«

Man las den Abendsegen, zog die Vorhänge zu, und bald lag alt und jung in festem Schlaf.


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