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Sechzehntes Kapitel.

Sturmvorboten. – Rüstigs Selbstgespräch am Meeresstrande.

 

In zwei Stunden hatten sie die Strecke zurückgelegt, auf die sie zuvor viermal soviel Zeit verwenden mußten.

»Wir werden bald am Ausgang des Waldes sein,« meinte Wilhelm; »ich fühle bereits den Wind; mir scheint aber, als wäre der Himmel merkwürdig finster.«

»Dieselbe Bemerkung wollte auch ich machen,« entgegnete Rüstig. »Es sollte mich nicht wundern, wenn ein Unwetter im Anzuge wäre; je eher wir daher zu Hause sind, desto besser, sonst ängstigt sich deine Mutter unnütz um dich.«

Je mehr sie sich der Grenze des Waldes näherten, desto stärker wurde der Wind, desto unheimlicher das Knarren der schwankenden Stämme und das Rauschen in den Blätterkronen, und als sie endlich das Freie erreicht hatten, da lag der ganze Himmel dunkel und schwarzgrau vor ihnen; sein strahlendes Lichtblau war verschwunden.

»Das giebt einen Sturm,« sagte Rüstig; »ein Glück, daß wir zur Stelle sind und die Zelte noch nach Kräften versichern können.«

Eiligen Laufes folgten sie den bellend vorausspringenden Hunden; Sebald und Juno kamen ihnen aus den Zelten entgegen und wenige Augenblicke später lag Wilhelm in den Armen der Mutter.

»Ich freue mich, daß Sie wieder da sind,« sagte Sebald, dem Alten die Hand schüttelnd; »ich fürchte, es wird schlechtes Wetter geben.«

»Das wird's, Herr Sebald, wir haben eine unruhige Nacht zu erwarten; wir werden einen jener Stürme kriegen, die der Regenzeit voran zu gehen pflegen. Wir bringen aber gute Nachrichten mit und dieser Sturm soll uns nur ein Ansporn sein, sobald als möglich diese Gegend zu verlassen. Einige Wochen schönes Wetter haben wir hernach noch zu erwarten. Jetzt aber bitte ich Sie, ebenso Juno und Wilhelm, mit mir zum Strande zu kommen; wir müssen unser Boot aufs Trockene ziehen, und zwar so hoch hinauf, daß die Wogen es nicht erreichen können, denn die kleine Jolle ist vorläufig noch unser größter Schatz.«

Während er noch sprach, hatte er bereits die Säge ergriffen und aus den überflüssigen Enden der Spieren drei Walzen geschnitten, mit deren Hilfe das Boot den Strand aufwärts gerollt und zwischen dem Gebüsch in Sicherheit gebracht wurde.

»Mit dem Ausbessern des Fahrzeuges muß ich warten, bis das Wetter dies gestattet,« bemerkte Rüstig. »Ich hoffte noch einmal an Bord zu kommen, es sind da noch manche Dinge, die ich gern gehabt hätte, auch wollte ich nach der armen Kuh sehen; damit aber ist's wohl vorbei.«

Er schaute sinnend in das heraufziehende Wetter.

»Von uns wird keiner den Pacific mehr betreten,« fuhr er fort. »Hören Sie nur, Herr Sebald, wie hohl der Sturm schon in der Ferne braust und wie die weißen Möwen unheimlich kreischen, als verkündeten sie die letzte Stunde des unglücklichen Schiffes. Aber wir dürfen hier nicht länger stehen, wir müssen die Zelte noch mehr zu befestigen suchen; sie werden einen gewaltigen Winddruck auszuhalten haben und es wäre nicht gut, wenn Madam und die Kinder während des Orkans obdachlos würden.«

Sie eilten zurück; vor den Zelten trat Tommy ihnen mit wichtiger Miene entgegen.

»Nun, Tommy,« sagte Wilhelm, der den Kleinen noch nicht begrüßt hatte, »wie geht es dir?«

»Sehr gut geht es mir,« antwortete der Knirps, »und auch Mama geht es sehr gut; ihr brauchtet gar nicht zurück zu kommen, ich habe alles besorgt.«

»Das glaube ich dir, Tommy,« sagte Rüstig, dem Kleinen liebevoll über das Haar streichend, »ich weiß ja, daß du ein brauchbarer Bursche bist; deshalb sollst du uns jetzt auch helfen, Tauwerk und Segeltuch aus dem Vorratszelt zu holen, wir wollen nämlich Mamas Zelt noch dichter machen, damit ihr und den Kindern der Regen nicht auf die Köpfe kommt; gieb die Hand her und komm mit.«

Die Befestigung der Zelte gab unsern Schiffbrüchigen alle Hände voll zu thun, so daß es bereits ziemlich spät war, als man sich endlich zum Abendbrot niedersetzen konnte. Während desselben berichtete Rüstig über die Expedition, und das Abenteuer mit den Schweinen entlockte allen ein fröhliches Gelächter.

Nach dem Untergang der Sonne wurde das Wetter immer drohender; schon wehte eine starke Brise, an der felsigen Küste brachen sich die Wogen mit Donnergetose und in der Bucht rollte die weißschäumende Brandung schon weit den Strand herauf. Die ganze Familie hatte sich zur Ruhe begeben, nur Rüstig war draußen geblieben, um, wie er sagte, das Wetter noch ein wenig zu beobachten. Der alte Seemann schritt dem Strande zu und lehnte sich gegen das Boot, das außerhalb des Bereiches der wilden Wasser stand; hier verweilte er, das scharfe graue Auge in die Ferne gerichtet, die schwarz über dem dunklen Ocean lag, nur hier und da ein wenig aufleuchtend, wenn eine riesige Woge sich in ein Feld blendenden Schaumes auflöste.

»Ja,« sagte er zu sich selber, »die Winde und die Wogen sind berufen, den Willen des Ewigen zu vollbringen – wenn der Sturm sich erhebt, dann bäumen sich auch die Wogen empor, wenn der eine heult und braust, dann brüllen und tosen auch die anderen; sie gehen in ihrem Ungestüm und in ihrer Gewalt Hand in Hand. Hätten sie sich nur eine Woche früher aufgemacht, wo wären dann jene geblieben, die jetzt hier auf meine schwache Hilfe angewiesen sind? Der Vater, die Mutter, die Kinder, der Säugling an der Brust und ich, der grauköpfige Alte, wir alle lägen jetzt tief auf dem Meeresgrunde, des Auferstehungsrufes am jüngsten Tage gewärtig; aber des Ewigen Wille hielt die wilden Gewalten zurück und durch seine Hand wurden wir gerettet. – Werden jene Planken, die uns so wunderbar hierher trugen, bis morgen Zusammenhalten? Ich glaube es nicht. Was ist das Werk der Menschenhände, und machten es eiserne Bänder und kupferne Bolzen noch so fest, im Vergleich mit der Kraft der Elemente? Wenn morgen die Sonne aufgeht, dann werden die Trümmer des stolzen Schiffes ein Spiel der Brandung hier an der Küste sein. Aber auch das wird uns zu gute kommen; das Wasser wird die Arbeit verrichten, die wir nicht bewältigen konnten; es wird das Holzwerk des Schiffes uns zum Gebrauche zerstückeln und die Güter aus dem Raume ans Land werfen, die zu bergen unsere schwachen Kräfte nicht hinreichten, und so werden wir neuen Grund haben, dem Herrn dankbar zu sein.«

Ein jäh aufleuchtender Blitz blendete das Auge des Alten auf einige Momente.

»Bald wird der Sturm in voller Gewalt daher kommen,« murmelte er; »ich muß nach den Zelten sehen.«

Während er seine Schritte zurücklenkte, prasselte der Regen in dichtem Guß hernieder und der Wind wurde immer mächtiger. In wenigen Augenblicken wurde die Finsternis so dicht, daß er kaum den Weg finden konnte. Der Regen blendete ihn vollständig, und da er jetzt doch nichts beginnen konnte, so kroch er ins Zelt, setzte sich nieder und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Die anderen hatten ihre Betten aufgesucht, aber mit Ausnahme Tommys und der übrigen Kinder ihre Kleider nicht abgelegt; auch Frau Sebald saß wachend in ihrem Zelt; ihr war bange ums Herz, aber sie hütete sich, dies zu zeigen, es gewährte ihr Beruhigung, daß Juno gleichfalls wach und angekleidet geblieben war.


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