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Dreizehntes Kapitel.

Rüstig und Wilhelm auf der Entdeckungsreise. – »Sie denken aber auch an alles!« – Das erste Abenteuer.

 

Noch ehe die Sonne am Firmament erschienen war, hatte Rüstig bereits seinen jungen Reisegefährten geweckt; sie kleideten sich in aller Stille an, um Frau Sebald nicht zu stören. Die Ranzen waren gepackt; jeder enthielt zwei Flaschen Wasser, sorgsam in Kokosblätter gewickelt, damit sie nicht zerbrächen, außerdem gesalzenes Rind- und Schweinefleisch zu gleichen Teilen. In des Steuermanns Ranzen befand sich außerdem der Brotvorrat und noch allerlei Gerät, das vielleicht nützlich werden konnte; um seinen Leib hatte der alte Mann zwei Leinen gewickelt, um, wenn nötig, die Hunde daran zu binden.

Man hing die Ranzen über die Schultern, Rüstig nahm Axt und Flinte und Wilhelm bewaffnete sich mit einem Beil und einem kleinen Spaten. Die Hunde standen schweifwedelnd und des Aufbruchs gewärtig; Rüstig gab ihnen tüchtig zu trinken, auch er und Wilhelm thaten noch einen Trunk aus dem Wasserfaß, dann kehrten sie den Zelten den Rücken und schritten in den Palmenwald hinein, gerade in dem Augenblick, als die Sonne über dem Horizont emporstieg.

»Kannst du mir nun wohl sagen, lieber Wilhelm,« begann Rüstig, als sie eine Weile in dem Gehölz vorgedrungen waren, »wie wir es anstellen müssen, um den Rückweg wieder zu finden? Du siehst, dieser Urwald ist ziemlich dicht und Wege giebt es auch nicht.«

»Nein, Papa Rüstig, das weiß ich wahrlich nicht, ich dachte eben darüber nach, als Sie mich fragten. Der kleine Däumling streute Brotkrumen auf den Weg, das half ihm aber auch nichts, denn die Vögel kamen und pickten alles auf.«

»Dann ist der kleine Däumling herzlich dumm gewesen und wir dürfen's nicht ebenso machen. Wir müssen die Bäume zeichnen.«

»Aber wie?« fragte Wilhelm.

»Indem wir sie anhauen, wie die amerikanischen Waldläufer dies thun. Sie hauen mit scharfer Axt etwa von jedem zehnten Baum im Vorübergehen ein Stück Rinde ab, so daß das helle Holz durchscheint, erst zur Rechten, dann zur Linken. So wollen wir es auch machen; nimm du die rechte Seite, da haut sich's besser, ich nehme die andere, da ich die linke Hand ebenso gut brauchen kann, wie die rechte. Sieh her, immer nur ein dünnes Stück, das Gewicht der Axt thut es allein schon; die Merkzeichen können uns jahrelang als Wegweiser dienen.«

Wilhelm leuchtete dies ein und munter setzten sie, gelegentlich einen Baum anhauend, ihren Weg fort.

»Ich habe aber noch einen andern Freund in meinem Ranzen,« hub der alte Rüstig wieder an, »der uns auch gute Dienste leisten soll.«

»Wer ist denn das?«

»Kapitän Osborns Taschenkompaß. Die angehauenen Bäume zeigen uns den Rückweg, aber sie sagen uns nicht, welchen Kurs wir vorwärts zu steuern haben; vorläufig gehen wir noch recht, das sehe ich an der Lichtung hinter uns, bald aber wird der Wald überall gleich aussehen und dann muß ich zum Kompaß greifen.«

Wilhelm begriff dies ohne weitere Erklärung.

»Warum aber haben wir den Spaten mitgenommen, Papa Rüstig? Gestern früh war davon doch noch keine Rede gewesen.«

»Das will ich dir sagen, lieber Junge; ich erwähnte nichts davon, um deine gute Mutter nicht unnötig ängstlich zu machen, jetzt aber gestehe ich dir, daß ich selber in großer Besorgnis bin, weil ich nicht weiß, ob wir auf dieser Insel Trinkwasser finden werden. Ist das nicht der Fall, dann darf auch unsers Bleibens hier nicht sein; denn wenn wir auch im Sande so tief graben können, bis wir auf Wasser stoßen, so ist dieses Wasser doch zu brackisch, das heißt mit Seewasser vermischt, als daß wir auf die Dauer davon trinken könnten, ohne krank zu werden. Unser Wasservorrat ist nur noch gering, und wenn wir schlechtes Wetter kriegen, dann können wir auch vom Wrack kein Wasser mehr holen. Nun ist es aber möglich, daß wir an einen Ort kommen, wo sich trinkbares Wasser in der Erde vermuten läßt, und darum haben wir den Spaten mitgenommen.«

»Sie denken aber auch an alles, Papa Rüstig,« sagte Wilhelm bewundernd.

»Ach nein, mein Sohn, aber in unsrer gegenwärtigen Lage grüble ich über manche Dinge nach, die deinem Vater und deiner Mutter vielleicht nicht in den Sinn kommen; die haben ja nie gewußt, was es heißt, ganz allein auf sich selber angewiesen zu sein; aber ein Mann wie ich, der sein ganzes Leben auf See zugebracht hat, der schiffbrüchig gewesen ist, der Drangsale, Schwierigkeiten und Gefahren aller Art überwinden mußte, wo es oft hieß, hilf dir selbst, oder stirb, ein solcher Mann weiß eher Rat, teils aus eigener Erfahrung, teils weil er gehört und sich gemerkt hat, was andere gethan haben, wenn sie in den verschiedenartigsten Klemmen saßen. Die Not macht erfinderisch, lieber Wilhelm, das ist ein wahres Wort, denn die Not schärft die Überlegung und damit den Verstand; ich sage dir, Sohn, es ist ganz wunderbar, was Menschen, und namentlich Seeleute, geleistet haben, wenn sie zu ihrer Erhaltung allein auf ihr bißchen Witz angewiesen waren.«

Wilhelm dachte lange über das Gehörte nach.

»Wohin soll dieser Weg uns führen?« fragte er dann.

»Direkt nach der Leeseite der Insel; ich hoffe, wir werden noch vor der Dunkelheit dort anlangen.«

»Warum gebrauchen Sie hier das Wort Leeseite?«

»Weil bei diesen Eilanden der Wind fast immer nur von einer Seite weht; wir landeten auf der Luvseite und haben daher jetzt den Wind im Rücken; das spürst du sogar hier im Walde, halte nur einmal den Finger hoch.«

»Ich spüre nichts,« lächelte Wilhelm mit erhobenem Finger.

»Mache den Finger naß und versuch's noch einmal.«

Wilhelm benetzte den Finger mit der Zunge.

»Aha!« sagte er, »jetzt fühle ich es; woher kommt das?«

»Die Seite, gegen welche der Wind weht, wird kühl.«

Während Rüstig dies sagte, fingen plötzlich die Hunde an zu knurren. Dann stürzten sie laut bellend in das Dickicht.

»Was kann das sein?« fragte Wilhelm erschrocken.

»Bleibe hier stehen,« sagte Rüstig, sein Gewehr schußfertig machend, »ich will vorgehen und sehen, was es giebt.«

Vorsichtig, mit gespanntem Hahn, umschritt er das Gebüsch. Die Hunde bellten immer wütender; da raschelten plötzlich aus einem Haufen Kokosblätter die vier Schweine hervor, die sie ans Land gebracht hatten; die Tiere grunzten und galoppierten davon, verfolgt von den bellenden Hunden.

»Unsere Schweine sind's gewesen,« berichtete Rüstig lächelnd, als er sich wieder zu Wilhelm gesellte. »Hätte ich doch nie geglaubt, daß ein zahmes Schwein mich noch einmal beinahe in Schrecken setzen würde. Hier, Romulus! Komm her, Remus! Wollt ihr zurück, ihr Hunde! Das war unser erstes Abenteuer, nicht wahr, Willy?«

»Ich will nur hoffen, daß die folgenden ebenso ungefährlich verlaufen,« antwortete der Knabe. »Ich muß gestehen, daß die Sache mich doch sehr beunruhigt hatte.«

»Das ist kein Wunder; reißende Tiere, oder gar wilde Menschen sind auf dieser Insel freilich nicht zu erwarten, aber ganz unmöglich ist es trotzdem nicht, daß sich solche vorfinden. In einer unbekannten Gegend muß man immer auf das Schlimmste vorbereitet sein; Unruhe und Furcht sind jedoch zwei ganz verschiedene Dinge; ein Mann, der beunruhigt oder besorgt ist, wird trotzdem der Gefahr mutig ins Auge blicken, während ein Mann, der sich fürchtet, sicher davonläuft.«

»Ich glaube nicht, daß ich jemals davonlaufen und Sie im Stich lassen würde, Papa Rüstig, und wäre die Gefahr auch noch so groß.«

»Davon bin ich fest überzeugt, mein Junge; man muß aber auch nicht tollkühn sein. Jetzt will ich den Hahn wieder in Ruh setzen und dann kann's weiter gehen. Ehe ich's aber vergesse, lieber Willy: Du wirst wahrscheinlich noch oft in deinem Leben mit einem Gewehr herumlaufen, thue dies niemals und unter keinen Umständen mit gespanntem Hahn; ich habe mehr Unglücksfälle durch solch unverantwortlichen Leichtsinn entstehen sehen, als du glauben möchtest. Nur unmittelbar vor dem Schuß spannt man den Hahn, vergiß das nie! Jetzt muß ich auf den Kompaß sehen, wir haben verschiedene Wendungen gemacht und da verlor ich die Richtung. So, jetzt weiß ich Bescheid; kommt, Hunde!«

Sie setzten ihren Weg noch eine Stunde lang fort, dann machten sie Rast, um einen Imbiß zu sich zu nehmen; die Hunde streckten sich neben ihnen nieder.

»Gieb den Tieren kein Wasser,« sagte Rüstig, »auch kein Salzfleisch; sie müssen sich mit Brot begnügen.«

»Sie sind aber doch so durstig; darf ich ihnen wirklich keinen Tropfen geben?«

»Keinen Tropfen; erstens brauchen wir das Wasser für uns selber und zweitens ist es nötig, daß sie Durst leiden. Laß dir übrigens raten, Willy, und trinke auch du nur immer ganz wenig Wasser auf einmal; den Durst zu stillen, genügt es, und je mehr du trinkst, desto mehr möchtest du trinken.«

»Dann darf ich auch nicht so viel Salzfleisch essen.«

»Sehr richtig; je weniger, desto besser, bis wir Wasser finden und unsere Flaschen wieder füllen können.«

»Wir haben doch aber unsere Äxte, damit können wir einen Kokosbaum umhauen und uns die Milch aus den jungen Nüssen verschaffen.«

»Das können wir freilich, und das ist noch ein Glück; doch wäre die Kokosmilch auf die Dauer kein zuträgliches Getränk. Jetzt aber müssen wir weiter, oder bist du müde?«

»Nicht im geringsten, wohl aber bin ich dieser ewigen Kokospalmen müde und möchte gern wieder die Grenze des Waldes sehen.«

»Nun, dann komm,« sagte Rüstig, »meiner Meinung nach haben wir jetzt ungefähr die Hälfte der Insel durchmessen.«

Sie setzten ihren Weg fort und nun gewahrten sie, daß der Boden nach und nach hügeliger wurde; stellenweise ging es sogar recht beträchtlich bergan.

»Das ist ein gutes Zeichen,« meinte der alte Steuermann, »wir haben jetzt eher Aussicht, Wasser zu finden.«

Der Weg wurde immer beschwerlicher, nicht nur wegen der Bodenerhebungen, sondern auch weil das Unterholz hier dichter stand. Wilhelm begann Zeichen von Ermattung zu zeigen.

»Wieviel Meilen haben wir wohl schon zurückgelegt?« fragte er.

»Ungefähr acht Seemeilen.«

»Nicht mehr?«

»Mehr als zwei Meilen die Stunde haben wir nicht vor uns gebracht, denn das Anhauen der Bäume hält auf. Mir scheint aber, als würde der Wald da vorn bereits lichter.«

Auch Wilhelm machte diese Wahrnehmung und mit frischem Mute verdoppelten sie ihre Schritte. Nach wenigen Minuten hatten sie den Gipfel eines Hügels erreicht. Wilhelm, der einige Schritte voraus war, blieb stehen und rief freudig: »Das Meer, Rüstig! Ich sehe das Meer!«


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