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Achtzehntes Kapitel.

Strandgut. – Die Kuh und die Haifische. – Wie kleine Insekten Inseln bauen.

 

Unter den Bergungsarbeiten verstrich der größte Teil des Tages; Vater Sebald, Wilhelm und der Steuermann schafften mit unermüdlichem Fleiß und großer Anstrengung alles aufs Trockene, was an Planken, Kisten und Fässern in ihren Bereich kamen; die schwereren Stücke bewältigten sie gemeinschaftlich mit einer Leine. Als der Tag sich neigte, hatten sie eine ansehnliche Menge Güter und Holzwerk in Sicherheit gebracht, aber noch immer war das Wasser innerhalb und außerhalb der Bucht mit treibenden Gegenständen bedeckt.

»Für heute wollen wir es genug sein lassen,« sagte Rüstig, die kahle Stirn mit dem bunten Taschentuch trocknend, »morgen werden wir mehr schaffen, denn die See wird immer ruhiger und dort hinter jener Wolke lugt bereits die Sonne hervor. Jetzt wollen wir Abendbrot essen und dann zusehen, daß wir uns in der kommenden Nacht bequemer betten, als in der vergangenen.«

Das unversehrt gebliebene Zelt wurde Frau Sebald und den Kleinen eingeräumt, das andere machten die Männer für sich zurecht, so gut sie es konnten. Die Nacht verging ruhig, denn nur eine leichte Brise strich noch über die Insel dahin. Am nächsten Morgen, der wieder hell und klar war, machte man sich aufs neue an die Arbeit; wieder waren eine Menge Gegenstände an den Strand getrieben; es schien, als ob eine Strömung alle Überreste des Schiffes in diese kleine Bucht führte. Um die Frühstückszeit hatten Sebald und Rüstig eine beträchtliche Anzahl von Fässern und Kisten auf dem Trockenen geborgen.

»Sehen Sie doch, Papa Rüstig, was mag das sein?« fragte Wilhelm, indem er auf eine weiße Masse wies, die mitten in der Bucht schwamm.

Rüstig schaute hin. »Das ist unsere arme Kuh,« sagte er, »und wenn du genauer hinsiehst, dann wirst du auch die Haifische bemerken, die drauf und dran sind, sie zu verschlingen.«

»Wahrhaftig,« rief Wilhelm, »und welch eine Menge!«

»Ja, an denen fehlt's hier in dieser Gegend nicht; du siehst, wie vorsichtig man sein muß. Jetzt aber werde ich mich an die Ausbesserung des Bootes machen.«

Damit ging er, um sein Werkzeug zu holen; Sebald und sein Sohn fuhren eifrig im Bergen von Kisten und Fässern fort; sie kamen dadurch in den Besitz so großer Vorräte, daß sie meinten, auf Jahre hinaus gegen Not und Entbehrung geschützt zu sein.

Die Arbeiten am Boote mußten den alten Steuermann mehrere Tage in Anspruch nehmen; Sebald beschloß daher, mit Wilhelm einen Gang nach dem anderen Ende der Insel zu machen, und da seine Frau nichts dagegen hatte, mit Rüstig und Juno allein gelassen zu werden, so führte er diesen Vorsatz auch am dritten Tage nach dem Orkan aus. Wilhelm diente ihm als Führer und in drei Stunden hatten sie den Weg zurückgelegt.

»Ist es hier nicht schön, lieber Vater?« fragte der Knabe, als sie am Rande des Waldes standen und die Landschaft überblickten.

»Ja, hier ist es schön,« antwortete der Vater. »Ich glaubte, es könne keinen herrlicheren Fleck geben, als den, wo wir die Zelte aufführten, aber dieser Ort übertrifft ihn doch noch bei weitem, sowohl was seine Lage, als auch was seine Mannigfaltigkeit betrifft.«

»Jetzt will ich dir unsere Quelle zeigen,« rief Wilhelm, dem kleinen Thal zueilend.

Sie fanden die Grube gefüllt und überlaufend, das Wasser war frisch und klar. Nunmehr lenkten sie ihre Schritte dem sandigen Strande zu, und nachdem sie denselben eine Strecke entlang gegangen waren, ließen sie sich auf einen Korallenfelsblock nieder.

»Viele Menschen würden ungläubig den Kopf schütteln,« begann der Vater, »wenn man ihnen sagte, daß diese Insel und außer ihr noch eine ganze Menge anderer Inseln im großen Ocean das Werk winzig kleiner, mit bloßem Auge kaum erkennbarer Insekten seien.«

»Diese Insel das Werk kleiner Insekten?« wiederholte Wilhelm verwundert.

»Nicht anders. Gieb mir das Stück Koralle dort her. Bemerkst du hier überall die Hunderte von kleinen Löchern? Nun, jedes derselben diente einst einem kleinen Insekt zur Wohnung; je größer die Zahl dieser Insekten wurde, desto mehr nahm auch der Korallenzweig an Größe zu.«

»Das ist mir wohl verständlich; wie aber soll es möglich sein, daß diese Insel von den Korallentierchen aufgebaut wurde?«

»Nicht nur diese Insel, sondern auch alle andern Inseln der Südsee verdanken ihre Entstehung den Korallentierchen. Die Anfänge der steinartigen Korallengebilde geschehen im tiefen Grunde des Meeres, wo weder Wind noch Wogen die Thätigkeit der Insekten stören; nach und nach, im Laufe ungezählter Jahre, wachsen die Gebilde aus der Tiefe herauf bis in die Nähe der Oberfläche, sie bilden dann Riffe, wie jene dort draußen, über denen die weiße Brandung steht; jetzt hört ihr Wachstum auf, teils weil Wind und Wogen die oberen Teile immer wieder abbrechen, teils weil die Insekten im Trockenen überhaupt nicht leben können.«

»Wie aber wird aus solchen Riffen eine Insel?«

»Sehr natürlich und einfach, lieber Sohn; nehmen wir an, ein Stück Treibholz, ein Baumstamm, mit Muscheln und Seetang bewachsen, setzt sich auf einem Korallenriff fest; der im Lee davon befindliche Teil des Riffes erhält dadurch einen gewissen Schutz, die Korallentierchen bauen hier ihre kalkartigen Gehäuse bis an die Oberfläche, es bildet sich somit eine flache Felsplatte. Die Seevögel, die stets nach einem Ruheplatz inmitten der Flut ausschauen, haben diesen Fleck bald gefunden; ihre Exkremente erhöhen im Laufe der Zeit den Ort, und andere schwimmende Gegenstände werden hier festgehalten. Nun kommen auch Landvögel, vom Winde verschlagen, hierher und aus den Samenkörnern, die sich in ihren Entleerungen befinden, wachsen nach und nach allerlei Pflanzen, Sträucher und Bäume empor.«

»Das ist mir einleuchtend,« sagte Wilhelm, der aufmerksam den Belehrungen des Vaters lauschte.

»Das wäre der Anfang einer Insel,« fuhr dieser fort, »und nun ist die Insel selber nur noch eine Frage der Zeit. Im Lee des natürlichen Bollwerks dehnen die Korallengebilde sich immer weiter aus. Du siehst, wie zahlreich die Riffe auf dieser Seite unserer Insel sind, wo dieselben gegen die Gewalt der Stürme Schutz haben; auf der Wetterseite, von der wir kamen, sieht es ganz anders aus. Die Koralleninseln vergrößern sich daher stets nach der dem Wetter abgekehrten Seite; mit der Zeit nisten die Seevögel darauf und vermehren auf diese Weise das Erdreich. Dann treibt eine Kokosnuß heran und setzt sich fest; sie schlägt Wurzel und wird ein Baum, der jedes Jahr seine großen Blätter abwirft, die sich wiederum in Erde verwandeln; aus seinen Früchten entstehen neue Bäume und so geht es fort, bis nach vielen, vielen Jahren eine Insel entstanden ist wie die, auf der wir uns befinden. Ist das nicht wunderbar, lieber Sohn?«

Wilhelm nickte und saß eine Zeit lang in Gedanken versunken; auch sein Vater blickte schweigend über die See hinaus. Endlich erhob sich der letztere.

»Komm, Wilhelm,« sagte er, »wir müssen uns auf den Heimweg machen; in drei Stunden wird es Nacht sein.«


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