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Elftes Kapitel.

Gefährliches Wasser. – »Besser das Schwein, als eins der kleinen Kinder.« – Ein gutes Tagewerk. – Ein wertvoller Baum.

 

Inzwischen hatte Juno sich mit den Kindern an die Bucht hinab begeben, dort ihre Kleider bis zu den Knieen aufgeschürzt und die Kleinen, eins nach dem anderen, in die klare Flut getaucht, als das einfachste Verfahren, dieselben zu waschen. Darauf kleidete sie die Kinder an und brachte sie der Mutter, dann war sie Wilhelm behilflich, das Frühstücksgeschirr zurecht zu setzen. Als alles sauber auf dem Erdboden zwischen den beiden Zelten ausgebreitet war, erhielt Wilhelm von dem Vater die Erlaubnis, den Steuermann wecken zu dürfen.

Er trat in das Zelt und berührte den Alten an der Schulter. Der erwachte sogleich und richtete sich auf.

»Haben Sie ausgeschlafen, Papa Rüstig?« fragte der Knabe freundlich.

»Ja, Wilhelm, mein Junge, ich habe das Versäumte tüchtig nachgeholt. Jetzt aber will ich mich beeilen und für alle Mann das Frühstück zurechtmachen.«

»Ja, Papa Rüstig, thun Sie das,« lächelte Wilhelm.

Rüstig war im Nu angekleidet, denn er hatte sich vor dem Niederlegen nur seiner Jacke entledigt. Er trat hinaus und sah zu seinem großen Erstaunen die ganze Familie bereits um den fertig hergerichteten Frühstücksplatz versammelt.

Frau Sebald kam ihm sogleich entgegen.

»Guten Morgen, lieber Rüstig,« sagte sie, ihm mit freundlichem Lächeln die Hand reichend, ein Gruß, den der Alte in seiner treuherzigen und bescheidenen Weise erwiderte.

»Sie haben tüchtig geschlafen, Freund Rüstig,« rief nun auch Vater Sebald, »und nach Ihren Anstrengungen von gestern wollten wir Sie nicht unnötig und vor der Zeit wecken.«

»Dafür danke ich Ihnen; recht froh aber bin ich, daß Madam so wohl auf ist, auch sehe ich es gern, daß Sie schon so gut ohne mich fertig werden können.«

»Ach, lieber Rüstig,« entgegnete Frau Sebald, »davon sind wir leider noch weit entfernt; ohne Sie und Ihren Beistand, wo wären wir da jetzt wohl?«

»Ja,« fügte ihr Gatte hinzu, »ein Frühstück können wir zur Not schon ohne Sie bereiten, aber wenn wir Sie nicht gehabt hätten, mein wackerer Freund, dann, glaube ich, hätten wir heute für ein Frühstück keine Verwendung mehr gehabt.«

Man setzte sich nach kurzem Dankgebet nieder, und während sich alle erquickten, berichtete Wilhelm dem Steuermann von der Fahrt an Bord; er zählte die Gegenstände auf, die sie mitgebracht hatten und kam dann auch darauf zu sprechen, daß Juno den Kindern ein so angenehmes Bad in der Bucht verschafft hatte.

Da aber horchte der alte Rüstig hoch auf.

»Das darf Juno um Gottes willen nicht wieder thun,« sagte er ernst, »wenigstens nicht, bevor ich einen sicheren Badeplatz hergerichtet habe. Es wimmelt bei diesen Inseln von Haien, daher ist es sehr gefährlich, ins Wasser zu gehen.«

Frau Sebald war ganz blaß geworden.

»Mein Gott,« rief sie, »welchem Unglück sind wir da entgangen!«

Und schaudernd drückte sie die ihr zunächst befindlichen Kinder an sich.

»Das mögen Sie wohl sagen, Madam,« nickte Rüstig; »freilich, an der Luvseite der Inseln, wo auch wir uns befinden, sind die Haie weniger zahlreich, als im Lee der Eilande; immerhin aber ist solch eine stille Bucht ein Lieblingsaufenthalt dieser Bestien; Juno darf daher bei Leibe nicht wieder mit den Kindern ins Wasser gehen, bis ich eine gesicherte Stelle abgezäunt habe. Sie muß sich damit noch eine Weile gedulden, denn vorläufig haben wir noch dringendere Arbeit; auch müssen wir uns entscheiden, ob wir hier an diesem Orte bleiben wollen oder nicht.«

»Warum sollten wir denn nicht hier bleiben?« riefen mehrere Stimmen zugleich.

»Weil wir unseren Wohnort danach wählen müssen, ob wir in seiner Nähe Trinkwasser finden, oder nicht. Wenn wir auf dieser Seite der Insel kein Wasser entdecken, dann sind wir gezwungen, unsere Zelte anderswo aufzuschlagen.«

Sebald pflichtete dem Steuermann bei.

»Ich wollte, wir fänden die Zeit zu einem Entdeckungsgange,« sagte er.

»Diese Zeit finden wir schon noch, vorläufig aber müssen wir das schöne Wetter benutzen, um vom Schiffe zu holen, was wir holen können. Und so wollen wir auch jetzt uns nicht unnütz aufhalten. Wir drei Männer – ich zähle hier Wilhelm mit, denn er ist schon so verständig wie ein Mann – müssen sogleich wieder an Bord; Sie und Wilhelm bringen die Sachen an Deck, ich schaffe sie an Land und Juno trägt sie hierher.«

Es geschah, wie der Steuermann vorgeschlagen hatte, und als die Mittagszeit herankam, da befanden sich alle kleineren Segel, das transportable Taugut, Fässer, Sägen und anderes Handwerkszeug, dazu eine Menge Planken von verschiedenem Holz am Strande. Nach dem Mittagessen begann die Arbeit von neuem. Sie landeten die Tische und Stühle aus der Kajüte, alle vorhandenen Kleidungsstücke, einige Kisten mit Lichten, zwei Säcke mit Reis, zwei Säcke mit Kaffee, zwei Fässer voll Schiffsbrot und mehrere große Stücke Salzfleisch; sie mußten letzteres stückweise fortbringen, da die ganzen Fleischfässer für sie zu schwer waren. Auch der Schleifstein und des Kapitäns Medizinkiste wurden nicht vergessen.

Als der Steuermann nach dem letzten Transport wieder an Bord kam, sagte er:

»Unser armes Boot wird schon wieder sehr undicht, es muß ausgebessert werden, und da Juno noch nicht die Hälfte des Krams nach dem Zeltplatz geschafft hat – viele Stücke sind zu schwer für eine Person – so wollen wir es heute dabei bewenden lassen und nur noch darauf bedacht sein, das Vieh an Land zu schaffen, ehe es dunkel wird. Die Tiere schwimmen zu lassen, erscheint mir nicht ratsam, immerhin aber wollen wir dies mit einem Schwein versuchen. Ich will eins heraufholen, inzwischen können Sie und Wilhelm den Hühnern die Füße binden und sie ins Boot schaffen; die Kuh bringen wir nicht von Bord, die liegt noch immer und wird auch wohl nicht wieder aufstehen; ich habe sie ausreichend mit Heu versorgt, und wenn es schließlich nicht anders wird, dann schlachte ich sie und wir pökeln sie ein.«

Rüstig stieg in die Luke hinab und kam bald wieder mit einem Schwein herauf, das er an den Hinterbeinen ergriffen und sich über den Rücken gehängt hatte; er trat zur Reeling und warf es über Bord. Das Tier plätscherte zuerst ratlos in dem ungewohnten Element umher, dann aber richtete es die Schnauze nach dem Lande und schwamm schnurstracks davon.

»Es findet seinen Weg, ohne daß wir ihm Bescheid gesagt haben,« bemerkte Rüstig, der mit seinen beiden Gefährten dem Tiere nachschaute; gleich darauf aber rief er: »Das habe ich mir gedacht – jetzt haben wir's verloren!«

»Wieso?« fragte Sebald.

»Sehen Sie das schwarze, spitze, dreieckige Ding über dem Wasser, das so schnell auf das Schwein zuschießt? Das ist die Rückenflosse eines Haifisches. Da – da hat er's schon!«

Das Schwein ließ einen erstickten Schrei hören, dann war es in dem weiß aufschäumenden Wasser verschwunden.

»Fort ist es,« sagte Rüstig, »aber besser das Schwein, als eins der kleinen Kinder.«

Sebald stand ganz erschrocken.

»Das Untier ist vielleicht in der Nähe gewesen, als Juno die Kleinen badete,« rief er.

»Jedenfalls war es nicht weit ab,« erwiderte Rüstig; »na, ein Schwein hat er, damit aber muß er sich begnügen, denn mehr kriegt er nicht. Kommen Sie, wir wollen den anderen vier Schweinen die Füße binden, sonst kriegen wir sie nicht fort.«

Man schaffte die Schweine ins Boot, und während Rüstig mit ihnen zur Insel ruderte, brachten die beiden anderen die Schafe und Ziegen aus dem Zwischendeck herauf. Der Steuermann war bald wieder da.

»Das wird die letzte Fahrt für heute,« sagte er, »und, wenn ich mich noch auf das Wetter verstehe, auch für morgen und übermorgen; denn dort drüben am Horizont zieht sich eine dicke Wolkenbank zusammen. Wir wollen nicht vergessen, auch einen Sack mit Futterkorn für das Viehzeug mitzunehmen, dann können wir dem Wrack für einige Tage Lebewohl sagen. Die Kuh hat Wasser und Heu genug, ich glaube aber kaum, daß wir sie hernach noch lebend vorfinden werden.«

Diese letzte Ladung war eine sehr schwere; das Boot ging tief und leckte stark, trotzdem langte man glücklich in der Bucht an. Wilhelm trieb die Ziegen und die Schafe zum Zeltplatz; die Schweine und die Hühner hatten sich schon vorher davongemacht und waren im Buschwerk verschwunden; das aber hatte man vorausgesehen. Der Strand sah aus wie ein Stapelplatz, so dicht war er mit all den geretteten Gegenständen bedeckt.

»Das nenne ich ein gutes Tagewerk, Herr Sebald,« sagte Rüstig, indem er lächelnd um sich blickte. »Das kleine Boot hat wirklich seine Pflicht gethan, ehe es nun aber wieder verwendet wird, muß ich es gründlich ausbessern.«

Alle freuten sich nicht wenig, als jetzt Juno mit einem großen Topf Kaffee herbei kam, und während sie sich stärkten, erzählten sie der Frau Sebald das traurige Ende des armen Schweins. Die gute Mutter drückte ihr Kleinstes fest an sich und als sie dann aufblickte, rollte ihr eine Thräne über die Wange. Auch Juno war ganz ergriffen bei dem Gedanken an die Gefahr, der die Kinder und sie am Morgen entgangen waren.

»Morgen giebt's viel zu thun,« bemerkte Sebald; »es wird Arbeit kosten, all das geborgene Gut gehörig unterzubringen.«

»An Arbeit wird es uns fürs erste überhaupt nicht fehlen,« antwortete Rüstig. »In etwa zwei Monaten beginnt die Regenzeit und bis dahin müssen wir, wenn irgend möglich, unter Dach und Fach sein.«

Sebald sann eine kleine Weile nach.

»Wo müssen wir zuerst Hand anlegen, Rüstig?« fragte er dann.

»Zuerst werden wir noch ein Zelt oder zwei zu errichten haben, um einen geschützten Ort für unsere Güter zu schaffen; das wird uns einen Tag zu thun geben; wir gewinnen dadurch auch einen Überblick über das, was wir haben und was wir noch brauchen.«

»Sehr richtig, und dann?«

»Dann, Herr Sebald, unternehmen wir eine Expedition ins Innere der Insel, um den Grund und Boden auszusuchen, auf dem wir unser Haus zu erbauen haben.«

»Können wir denn ein Haus bauen?« fragte Wilhelm erstaunt.

»Gewiß, Freund Willy,« lächelte der Alte, »und schneller und besser, als du glauben magst. Die Kokospalme ist ein so wertvoller Baum, wie es keinen zweiten giebt. Er liefert das beste und zugleich das leichteste Bauholz, so daß wir drei mit den zum Hausbau nötigen Balken ohne Mühe umspringen werden.«

»Ich wußte nicht, daß die Kokospalme so wertvoll ist,« bemerkte Frau Sebald, »wollen Sie mich darüber belehren?«

»Herzlich gern, Madam; wir haben da also zuerst das Holz, um das Haus damit zu bauen; wir haben ferner die Rinde, aus deren Fasern sich Taue und Leinen, ja sogar auch Netze verfertigen lassen; wir haben die großen Blätter, das Haus damit zu decken, auch stellt man Hüte und Körbe daraus her; die Frucht kennen Sie, deren Kern sehr gut zu essen ist; die jungen Nüsse enthalten eine wohlschmeckende und gesunde Milch; aus dem Nußkern preßt man Öl und die Nußschalen kann man trefflich zu Gefäßen von mancherlei Art verwenden; aus dem Stamm in der Nähe der Krone zapft man einen Saft, den man sowohl frisch als gegoren genießen kann; in letzterem Zustande möchte ich ihn jedoch weniger empfehlen, denn er berauscht gar leicht. Die Kokospalme liefert dem Menschen so ziemlich alles, was er zum Leben braucht; ich wüßte keinen anderen Baum, von dem man ein Gleiches sagen könnte.«

»Ich danke Ihnen, lieber Rüstig,« erwiderte Frau Sebald, »alles dieses war mir bisher gänzlich unbekannt.«

Auch Wilhelm hatte aufmerksam zugehört.

»Es ist ein wahres Glück,« sagte er, »daß hier so viel von diesen herrlichen Bäumen wachsen.«

»Ja, Willy, daran fehlt's nicht,« nickte der Alte, »darüber freue auch ich mich; wären ihrer nur wenige gewesen, dann hätten wir nicht daran denken dürfen, sie zu fällen. Denn ebenso gut wie wir können auch andere Leute Schiffbruch leiden, die dann vielleicht ganz nackt und bloß auf diesen Strand geworfen werden, und somit einzig und allein darauf angewiesen sind, sich von den Früchten dieser Bäume zu nähren.«

»Jetzt aber ist es Zeit, zu Bett zu gehen,« bemerkte Vater Sebald. »Willy, geh und hole deiner Mutter die Bibel.«


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