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Wie die Insulaner in große Sorge kamen. – Rüstigs Geschichte.
Der Bau des Fischteiches schritt schnell vorwärts und war am dritten Tage nahezu vollendet. Als die Wälle die nötige Höhe erreicht hatten, warf Rüstig mit der Schaufel Sand und Gestein aus der Tiefe heraus, damit allenthalben genug Wasser vorhanden war und die Möwen und Fregattvögel nicht die Fische erwischen konnten. Vater Sebald aber schaffte noch mehr Felsstücke herbei, um den Teich durch Zwischenwandungen in vier Becken teilen zu können. Diese Wandungen, sowie auch die Umfassungswälle, waren so breit, daß man auf ihnen entlang gehen konnte; dadurch wurde ermöglicht, alle Fische in den Bereich des Netzes oder der Harpune zu bringen.
Es stellte sich heraus, daß man klug gethan hatte, die Herstellung des Fischteiches so zu beschleunigen, denn schon am Tage nach der Beendigung des Baues wurde das Wetter wieder schlecht; Sturm und Regen brausten von neuem über die Insel hin, wenn auch nicht mehr mit solcher Heftigkeit wie zum Beginn und in der Mitte der Regenzeit.
Auch war das Unwetter nicht mehr so anhaltend wie zuvor, es wechselte bald wieder mit heiteren Stunden ab. Während der letzteren fing man eine Menge großer Fische, so daß der Teich bald einen tüchtigen Vorrat davon enthielt.
Jetzt aber begab sich etwas, wodurch den Schiffbrüchigen große Unruhe und schwere Sorge erwachsen sollte, denn eines Abends begann Wilhelm über starken Fieberfrost und heftige Kopfschmerzen zu klagen. Rüstig hatte versprochen, seine Erzählung fortzusetzen, Wilhelm aber fühlte sich zu unwohl, um noch länger aufbleiben zu können. Man brachte ihn zu Bett und am nächsten Morgen erkannte man, daß eine schwere Krankheit sich seiner bemächtigt hatte. Von Stunde zu Stunde wurde sein Zustand schlimmer; endlich zog Rüstig, der die ganze Nacht an dem Bette des Knaben gewacht hatte, den Vater mit sich aus dem Hause.
»Mir ist eingefallen,« sagte er zu dem bekümmerten Manne, »daß Willy gestern ohne Hut in der Sonne arbeitete, und ich fürchte sehr, daß er sich dadurch einen Sonnenstich zugezogen hat. Meiner Erfahrung nach thut in solchen Fällen ein Aderlaß oft gute Dienste; verstehen Sie sich darauf Herr Sebald?«
»Ich habe wohl eine Lanzette in der Medizinkiste,« lautete die Antwort, »aber ich habe noch niemals einem Menschen zur Ader gelassen.«
»Das habe ich auch noch nicht gethan, aber wenn das nötige Instrument vorhanden ist, dann ist es unsere Pflicht, den Versuch zu machen. Wenn Sie meinen, die Hand nicht an Ihr Kind legen zu können, so will ich dies unternehmen, so gut ich kann; im Grunde ist die Sache sehr einfach.«
»Einer von uns muß es thun,« sagte Sebald zögernd.
»Meine Hand wird in diesem Falle wohl die festeste sein,« redete der alte Steuermann weiter. »Wir müssen zu verhindern suchen, daß ihm das Fieber in den Kopf steigt.«
Sebald überlegte eine kleine Weile.
»Ich würde Ihnen dankbar sein, Rüstig, wenn Sie mir es abnähmen,« sagte er dann, »meine Hand könnte zittern, denn es ist mir bange um das Leben meines Kindes.«
Sie gingen ins Haus zurück. Vater Sebald suchte die Lanzette hervor und Rüstig legte eine Binde um Wilhelms Arm. Die Vene schwoll an; mit fester Hand führte er den Schnitt aus und ließ eine nicht unbedeutende Menge Blut ab; die Operation schien den Kranken zu erleichtern. Der Arm wurde verbunden und man wartete den nächsten Tag ab. Der brachte von neuem heftiges Fieber. Rüstig nahm einen zweiten Aderlaß vor und die arme Mutter wachte am Bette des Sohnes in Angst und Thränen.
Viele Tage lang schwebte der Knabe in großer Gefahr; das vorher so fröhliche Haus war jetzt eine Stätte düsterer Sorge und bangen Schweigens.
Draußen aber wurde das Wetter von Tag zu Tag schöner, so daß es beinahe unmöglich war, Tommy innerhalb der vier Pfähle ruhig zu halten; Juno nahm daher jeden Morgen ihn und den kleinen Albert mit sich hinaus und behielt beide bei sich, so lange sie mit Küchenarbeiten beschäftigt war; es war ein Glück, daß Fix jetzt Junge hatte; wenn die Negerin mit den Buben nichts mehr anzustellen wußte, dann brachte sie ihnen die jungen Hündchen zum Spielen. Die sanfte kleine Karoline aber blieb den ganzen Tag bei der Mutter, löste dieselbe in der Beobachtung des Bruders ab und saß mit ihrer Näharbeit stundenlang am Bette desselben.
Der alte Rüstig vermochte trotz seines schweren Herzens nicht müßig zu sein; er hatte sich Hammer und Meißel hervorgesucht und saß nun, wenn seine Dienste im Hause nicht erforderlich waren, unten am Strande, meißelte die Salzpfanne aus dem Felsen und hing seinen trüben Gedanken nach; er hatte für den kranken Knaben eine große Zuneigung gefaßt wegen der liebenswürdigen Charaktereigenschaften und der verständigen Sinnesart desselben, und manche Thräne rann über seine gefurchten Wangen, wenn er daran dachte, daß derselbe seinen Eltern und ihm für immer entrissen werden könnte.
Die Gefahr sollte jedoch vorübergehen; am neunten Tage nahmen sowohl Rüstig, als auch Vater Sebald ein merkliches Nachlassen des Fiebers wahr, und nicht lange mehr währte es, da war es gänzlich gewichen; aber noch mehrere Tage mußten vergehen, ehe Wilhelm sich im Bette aufrichten konnte, und erst nach vollen vierzehn Tagen war er imstande, den Fuß wieder vor die Thür zu setzen. Die Freude der Familie und des alten Rüstig über diese glückliche Wendung war nicht mit Worten zu beschreiben, und innige Dankgebete stiegen für die Rettung des geliebten Knaben zum Himmel empor.
Noch brauchte Wilhelm einige Zeit zur Erholung, und da die Salzpfanne inzwischen fertig geworden war, machten die beiden Männer sich an die Herstellung des Badeplatzes, wobei Juno ihnen willig und eifrig die Felsstücke heranfuhr; auch Tommy wurde als Steinträger angestellt, damit er aus dem Wege war, während die Mutter und Karoline den Genesenden pflegten.
Als Wilhelm sich endlich wieder wie früher im Freien tummeln konnte, da war der Badeplatz fertig und man brauchte sich hinfort nicht mehr der Haie wegen zu ängstigen. Er spazierte mit der Mutter zum Strande hinunter und beschaute sich das Werk, das ihm sehr wohl gefiel.
»Aber nun, Papa Rüstig,« sagte er zu dem alten Mann, der ihn unausgesetzt mit zärtlichen Blicken betrachtete, als sei der Knabe ihm ganz allein wiedergeschenkt worden, »und nun, Papa Rüstig, ist es hohe Zeit, daß die Entdeckungsreise angetreten wird, damit wir erfahren, wie es nach all dem schlechten Wetter mit unserm Eigentum drüben auf der andern Seite bestellt ist.«
»Da hast du recht, mein Sohn, das Wetter ist so schön gewesen, daß wir bald an die Fahrt denken können, allerdings nicht eher, als bis du wieder ganz kräftig bist, denn früher dürfen wir dich mit deiner Mutter hier nicht allein zurücklassen.«
»Mich zurücklassen?« rief Wilhelm beinahe erschrocken. »War denn nicht verabredet, daß ich mit Ihnen gehen sollte?«
»Das wohl, mein guter Junge, aber jetzt hat sich die Sache geändert. Denke doch nur, wenn wir unterwegs schlechtes Wetter kriegten, so daß du in nassem Zeuge herumlaufen und auch wohl gar schlafen müßtest, dann würdest du sicher aufs neue vom Fieber befallen werden, und was fingen wir dann an mitten in der Wildnis und so weit von Hause? Nein, Wilhelm, laß uns verständig sein. Setze dich hier auf den Fels; die frische, laue Brise wird dir wohl thun; aber nicht zu lange, denn noch dürfen wir die Vorsicht nicht außer acht lassen.«
Wilhelm that was sein alter Freund ihm riet, wußte er doch, daß dessen Rat nicht nur aus einem erfahrenen, sondern auch aus einem treuen und liebevollen Herzen kam.
»Bald werde ich wieder so gesund sein wie zuvor,« meinte er; »der liebe Gott ist recht gut gegen mich gewesen.«
»So höre ich dich gern reden, mein Junge,« nickte der Alte, »wir haben Gott viel zu danken, denn wir hätten deinen Verlust kaum ertragen können. Jetzt aber will ich noch eine Schildkröte holen, denn wir müssen dich vorläufig noch gut füttern, damit du wieder hübsch rund wirst.«
Am Abendbrotstisch herrschte heute die alte, heitere Stimmung.
»Es ist lange her, seit Sie uns zuletzt von Ihren Abenteuern erzählten, Papa Rüstig,« bemerkte Wilhelm lächelnd, nachdem alle gesättigt waren; »ich würde mich freuen, wenn Sie in Ihrer Erzählung jetzt fortfahren wollten; ich verspreche Ihnen auch, heute recht lange wach zu bleiben.«
»Da muß ich dir wohl den Gefallen thun,« antwortete Rüstig, »aber kannst du mir auch sagen, wo ich stehen geblieben bin? Mein Gedächtnis wird schon etwas schwach.«
»Sie waren soeben in Graef Reynits angelangt, und zwar in Begleitung Ihrer beiden Wilden.«
»Richtig, mein Junge. Als uns der holländische Bauer kommen sah, trat er aus seinem Hause und fragte uns, wer wir seien. Wir sagten ihm, daß wir englische Kriegsgefangene wären und daß wir uns den Behörden ausliefern wollten. Darauf nahm er uns die Schießgewehre und Munition ab und sagte, er wäre hier die Behörde, was auch richtig sein mochte.
»Ohne Waffen werdet ihr nicht wieder fortlaufen, dafür sage ich gut,« fuhr er fort. »Nach dem Kap schicken kann ich euch nicht, wenigstens nicht vor so und soviel Monaten; wenn ihr daher gefüttert sein wollt, dann müßt ihr auch arbeiten, so lange ihr bei mir seid.«
Wir antworteten ihm, daß wir uns herzlich gern nützlich machen wollten, worauf er uns einen kleinen Stall als Wohnung anwies und uns auch durch ein Hottentottenmädchen etwas zu essen bringen ließ.
Sehr bald stellte sich heraus, daß wir es mit einem sehr jähzornigen und brutalen Menschen zu thun hatten; wir mußten unaufhörlich und hart arbeiten und erhielten dabei nur schlechte und schmale Kost. Er hatte viele Sklaven auf seinem Gehöft, und wenn ein Mangel an Lebensmitteln für dieselben eintrat, was sehr oft geschah, dann unternahm er mit den benachbarten Bauern Jagdpartieen und erlegte Quaggas, deren Fleisch die Neger dann essen mußten.«
»Was sind Quaggas?« fragte Wilhelm.
»Ein Quagga ist ein wilder Esel, der ein weißes, schwarzgestreiftes Fell hat, ähnlich wie das Zebra; das Tier sieht hübsch genug aus, aber sein Fleisch ist abscheulich und nur für Hottentotten genießbar. Trotzdem kriegten auch wir schließlich nichts als Quaggafleisch zu essen, während er mit seiner Familie sich von Hammel- und Antilopenfleisch nährte, welch letzteres von ganz vorzüglichem Geschmack ist.
Wir baten ihn, uns eine Büchse zu leihen, damit wir uns selber Wildbret verschaffen könnten; als Antwort aber mißhandelte er Romer so unbarmherzig, daß der arme Junge zwei Tage lang nicht arbeiten konnte. Die Hottentotten waren noch viel übler daran, denn die wurden Tag für Tag ausgepeitscht, und zwar mit einer Knute von Rhinoceroshaut, die bei jedem Hiebe tief ins Fleisch schnitt. Unter solchen Umständen wurde uns das Leben eine Last; wir mußten arbeiten, bis wir beinahe liegen blieben und dabei wurde unsere Behandlung von Tag zu Tag schlechter.
Endlich faßten wir den Entschluß, diesen Zustand nicht länger zu ertragen, und eines Abends that Hastings dem Bauer rund heraus diese unsere Meinung kund.
Der geriet darüber in eine ganz unbändige Wut; er rief zwei Sklaven herbei und befahl denselben, Hastings an das Rad eines der Ochsenwagen zu binden, und indem er sich hoch und teuer vermaß, dem Jungen das Fleisch vom Leibe zu hauen, lief er ins Haus, um die Rhinocerosknute zu holen.
Die Sklaven ergriffen Hastings und banden ihn, wie ihnen befohlen war, denn sie wagten nicht, ungehorsam zu sein.
»Wenn der Kerl mich durchpeitscht,« rief Hastings uns zu, »dann ist es mit uns allen vorbei! Unser Schicksal muß sich jetzt entscheiden; lauft und verbergt euch hinter dem Hause, und wenn er mit der Peitsche kommt, dann eilt hinein und bemächtigt euch der Gewehre, die stets geladen an der Wand hängen. Dann kommt mir zu Hilfe und haltet ihn zurück, bis ich wieder los bin, das übrige wird sich dann schon finden. Thut, was ich euch sage, ich beschwöre euch, sonst peitscht er mich zu Tode und euch schießt er hernach als entsprungene Kriegsgefangene über den Haufen, wie er es neulich erst mit den beiden Hottentotten gethan hat.«
Da uns dies einleuchtete, so besannen wir uns nicht lange und schlüpften hinter das Haus, und als der Holländer auf Hastings losging, der an den etwa achtzig Schritte vom Hause entfernten Wagen gebunden war, da drangen wir in seine Wohnung ein.
Die Bauerfrau lag krank im Bett, um die in der Stube herumhockenden Kinder kümmerten wir uns nicht. Wir ergriffen zwei Gewehre und ein großes Messer und erschienen wieder auf dem Schauplatze, gerade als der Holländer seinem Opfer den ersten Hieb versetzt hatte; derselbe war so fürchterlich gewesen, daß dem armen Hastings beinahe die Besinnung verging.
Wir rannten mit lautem Geschrei herzu; er drehte sich um, sah uns und wollte uns mit geschwungener Knute entgegen stürzen; da aber legten wir die Gewehre auf ihn an und er blieb stehen.
»Noch einen Schlag,« schrieen wir ihm zu, »und wir schießen Euch tot!«
Der Kerl stand und rührte sich nicht, und während Romer ihn vor der Büchse behielt, sprang ich an ihm vorüber und zerschnitt die Riemen, mit denen Hastings an das Rad gefesselt war.
Sobald dieser sich wieder frei fühlte, haschte er nach einem schweren hölzernen Hammer, der zum Eintreiben von Pfählen benutzt wurde, und versetzte damit dem Bauern einen solchen Schlag auf den Kopf, daß derselbe wie tot niederstürzte.
»Da,« rief er dabei, »das ist für den Peitschenhieb!«
Wir wußten nicht, ob der Mann nur betäubt, oder ob er tot war, der Sicherheit wegen aber banden wir ihn an das Wagenrad und eilten dann in das Haus zurück, um uns noch mit Munition und andern Dingen, die wir etwa brauchen könnten, zu versehen. Dann zogen wir die drei besten Pferde des Bauern aus dem Stall, legten jedem derselben einen Sack mit Futterkorn auf, schwangen uns auf den bloßen Rücken der Tiere und jagten vom Gehöft hinunter.
Da wir uns sagen mußten, daß man uns verfolgen würde, so wendeten wir uns zuerst ostwärts, der Kapgegend zu; dann aber, als wir auf steinigen Boden kamen, der keine Spuren hinterließ, steuerten wir wieder nördlich, dorthin, wo das Land der Buschmänner lag. Bald nach dieser Kursänderung wurde es dunkel; wir ritten die ganze Nacht hindurch, und obwohl wir verschiedentlich das Gebrüll der Löwen vernahmen, so kam uns doch keiner derselben in den Weg. Bei Tagesanbruch ließen wir die Pferde verschnaufen und gaben ihnen etwas Korn, und auch wir stärkten uns an den Lebensmitteln, die wir aus dem Bauernhause mitgenommen hatten.«
»Wie lange waren Sie bei dem Holländer in Graef Reynits?« fragte Wilhelm.
»Nahezu acht Monate, und während dieser Zeit hatten wir nicht nur die holländische Sprache, sondern auch notdürftig das Reiten erlernt, was uns jetzt gut zu statten kam.
Während wir uns ausruhten, berieten wir zugleich, was nun zu beginnen sei. Wir waren überzeugt, daß die Holländer uns erschießen würden, wenn sie uns einholten, und nachsetzen würden sie uns gewiß; außerdem fürchteten wir, daß der Schlag mit dem Hammer dem Bauern das Leben gekostet hatte; war dies der Fall, dann machte man uns den Prozeß und hing uns an den Galgen, so wie wir uns in Kapstadt sehen ließen; wir befanden uns daher in einer bösen Klemme.
Endlich kamen wir überein, durch das Land der Buschmänner bis zu dem nordwärts vom Kap gelegenen Küstenstrich vorzudringen. Nachdem wir aus diese Weise den Plan für die nächsten Tage festgestellt hatten, legten wir uns nieder und durchschliefen den Tag bis zum Abend, dann suchten und fanden wir Wasser für uns und die Pferde und machten uns mit dem Beginn der Dunkelheit wieder auf den Weg.
Zwei Wochen lang zogen wir so durch das Land, bis unsere Pferde beinahe aufgerieben waren; es war ein Glück, daß wir endlich auf einen Stamm Gorraguas stießen – ich glaube wenigstens, daß sie sich so nannten –, gute, sanftmütige Leutchen, die uns freundlich behandelten und uns viel Milch zu trinken gaben. Ohne Abenteuer war die Zeit nicht vergangen. Als wir eines Tages ein kleines Gehölz passierten, brach ein Rhinoceros aus dem Dickicht hervor und stürzte auf mein Pferd los, das der Gefahr nur dadurch entging, daß es sich um sich selber drehte und so hinter das Rhinoceros zu stehen kam; das aber trabte davon, ohne sich weiter um uns zu kümmern. Täglich schossen wir unser Wildbret, manchmal war's ein Gnu – eine sonderbare Kreatur, ein Mittelding zwischen Antilope und Stier –, manchmal war's auch ein Hartebeest oder ein Springbock; von all diesen Tieren gab es im Überfluß.
Bei den gastfreundlichen Negern hielten wir uns drei Wochen auf, während welcher Zeit sich unsere Pferde wieder erholten, dann machten wir uns von neuem auf die Reise, hielten uns jetzt aber mehr in südlicher Richtung, da die Gorraguas uns mitgeteilt hatten, daß gegen Norden die wilden Kaffern hausten, die uns sicherlich umbringen würden, wenn wir zwischen sie gerieten.
Wir wußten jetzt thatsächlich nicht mehr, was wir anfangen sollten. Wir waren ohne bestimmten Plan aus der Kapstadt fortgelaufen und nun gerieten wir mit jedem Tage in größere Bedrängnis. Zuletzt hielten wir als einzigen Ausweg nur noch den einen Gedanken fest, wieder nach dem Kap zurückzukehren und uns dort auszuliefern, denn wir hatten die fortwährenden Anstrengungen und Gefahren herzlich satt.
Dabei gab es allerdings zu bedenken, daß der Bauer in Graef Reynits von dem Schlage mit dem Hammer wahrscheinlich den Tod gehabt hatte, aber Hastings suchte uns zu beruhigen, indem er sagte, das sei lediglich seine Sache und er würde für alles aufkommen; so verabschiedeten wir uns denn von den Gorraguas, die höchst zufrieden und dankbar waren, als wir ihnen alle unsere entbehrlichen Knöpfe schenkten, und wendeten die Köpfe unserer Pferde gen Südosten, nach der Gegend, wo die See liegen mußte.
Jetzt muß ich ein sehr trauriges Erlebnis berichten. Wir waren seit zwei Tagen wieder auf der Fahrt; der Weg führte uns durch mannshohes Gras, da stießen wir plötzlich auf einen Löwen, der gerade dabei war, ein Gnu zu zerreißen.
Romer befand sich ungefähr zwanzig Schritte voraus; der unerwartete Anblick des Löwen erschreckte ihn dermaßen, daß er sein Gewehr auf das Tier abschoß, obgleich wir fest verabredet hatten, dies niemals zu thun, da es thöricht und tollkühn sei, ein so gewaltiges Tier zu reizen und herauszufordern.
Der Löwe wurde durch den Schuß leicht verwundet; er stieß ein Gebrüll aus, das man sicher eine Meile weit hören konnte, zugleich sprang er mit einem furchtbaren Satze auf Romer zu und schleuderte ihn mit einem Schlage seiner Pranke aus dem Sattel und in ein nahes Gebüsch. Unsere Pferde wendeten sich um und ergriffen, vor Entsetzen schnaubend, die Flucht, da der Löwe Miene machte, nunmehr uns anzugreifen. Er unterließ jedoch, uns zu folgen, unsere Pferde aber jagten trotzdem blindlings davon und erst in großer Entfernung gelang es uns, sie zum Stehen zu bringen.
Wir schauten zurück und sahen nun, wie der Löwe am Rande des Grasdickichts davontrabte und dabei Romers Pferd mit sich schleppte, was ihm anscheinend nicht die geringste Mühe verursachte. Wir warteten, bis er nicht mehr zu sehen war, dann ritten wir langsam zurück bis zu der Stelle, wo Romer gefallen war. Wir fanden ihn bald, aber der arme Junge war tot; der Schlag des Löwen hatte ihm den Schädel zerbrochen.
Da wir nicht daran denken konnten, ihn zu begraben, so bedeckten wir den Leichnam mit Buschwerk und ritten weiter. Wir waren tief ergriffen; ich weinte wohl eine ganze Stunde lang ohne Unterbrechung und Hastings redete kein Wort, bis es endlich Zeit war, den Pferden Ruhe zu gönnen.
Ich habe anzuführen vergessen, daß die Gorraguas uns noch besonders davor warnten, nicht während der Nacht zu reiten, ein Rat, dem wir auch Folge leisteten, da er gewiß gut war. Daß dieses traurige Abenteuer mit dem Löwen uns bei Tage zustieß, war ein unglücklicher Zufall; viel größeren Gefahren waren wir bei unsern nächtlichen Wanderungen entgangen, denn es hatte sich verschiedentlich herausgestellt, daß die Löwen oft vom Abend bis zum Morgen auf unserer Fährte gewesen waren.
Drei Tage nach Romers Tode sahen wir zum ersten Male wieder den Ocean, und es war uns zu Mute, als hätten wir einen lieben alten Freund wiedergefunden. Gern hätten wir uns von jetzt an längs der Küste gehalten, wir fanden aber bald, daß es hier weder genügend Wildbret noch auch Brennmaterial gab, um die nächtlichen Feuer zu unterhalten, und so waren wir gezwungen, uns wieder von der Küste zu entfernen.
Wir kamen durch eine weite, wüste Ebene, wo wir weder Wild noch Wasser antrafen, und schon hatten wir zwei Tage lang keine Nahrung über unsere Lippen gebracht, als plötzlich hinter einer Felsengruppe ein Strauß hervorbrach und eiligst die Flucht ergriff.
Hastings trieb sein mattes Pferd an, um dem Vogel nachzusetzen, er mußte jedoch bald einsehen, daß dies ein vergebliches Bemühen war.
Ich war bei der Felsengruppe zurückgeblieben, und als ich zufällig umherschaute, da entdeckte ich zu meiner großen Freude im Sande das Straußennest mit dreizehn großen Eiern darin. Auf meinen Ruf kehrte Hastings schleunigst zurück, wir sprangen ab, zündeten ein Feuer an und rösteten zwei der Eier in der Glut; das war Hilfe in der Not gewesen.
Vier geröstete Eier nahmen wir als Proviant mit auf die weitere Reise; drei lange, schreckliche Wochen hatten wir noch zu überstehen, dann endlich erblickten wir eines Morgens in dunstiger Ferne vor uns den Tafelberg. Laut aufjubelnd trieben wir unsere abgehetzten Pferde zu einer letzten, großen Anstrengung an, in der frohen Hoffnung, noch vor Abend wieder behaglich in dem holländischen Gefängnis zu sitzen; allein unser Erstaunen war grenzenlos, als wir, dem Meere näherkommend, auf allen Schiffen, die auf der Rhede lagen, die englische Flagge erblickten. Ein englischer Soldat, dem wir begegneten, erklärte uns diese unverhoffte Erscheinung. Die Kapkolonie befand sich bereits seit sechs Monaten im Besitz der siegreichen Engländer.
Das war eine hochwillkommene Nachricht. Wir ritten in die Stadt hinein und meldeten uns auf der Hauptwache. Der Gouverneur ließ uns vor sich kommen, hörte unsere Geschichte an und schickte uns zum Admiral, der uns an Bord seines eigenen Schiffes nahm.
Jetzt aber bin ich an einer Stelle angelangt, die zum Abbrechen wie gemacht ist, und da du auch bereits sehr müde bist, wie ich sehe, mein lieber Wilhelm, so wollen wir in Gottes Namen zur Ruhe gehen.«