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Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Sonntag. – Vater Sebald erzählt noch mehr von allerlei Tieren.

 

Wieder war ein Sonntag herangekommen, ein Tag der Ruhe und der Erholung für unsere Insulaner. Alle hatten in der letzten Woche so tüchtig gearbeitet, daß ihnen die Rast dieses Tages zu einer wahren Wohlthat wurde. In der Nachmittagsunterhaltung wurde festgestellt, daß am Montag der Umzug nach dem alten Hause stattfinden sollte.

Das Vieh wollte man hier lassen, da hier die Weide so gut war; nur eine Ziege wollte man mitnehmen, um mit Milch versorgt zu sein; die Zelte sollten stehen bleiben, damit Wilhelm und Rüstig, wenn sie wieder hierherkämen, um nach den Yams, oder nach den Bananen, oder dem Vieh zu sehen, nicht unter freiem Himmel zu schlafen brauchten; auch einiges Kochgeschirr sollte zu ihrer Benutzung zurückbleiben. Das Bettzeug und alles andere war auf dem Wasserwege fortzuschaffen, Herr Sebald aber und seine Familie sollten durch den Wald zurückmarschieren.

Nachdem man hierüber im reinen war, brachte Wilhelm das Gespräch wieder auf die Tiere, da er gar zu gern von diesen erzählen hören mochte.

Der Vater hatte bereits allerlei aus seinen Erfahrungen mitgeteilt, als Wilhelm plötzlich die Frage aufwarf:

»Papa, man hört so oft die Redensart: »Dumm wie ein Esel«. Ist denn ein Esel wirklich ein so dummes Geschöpf?«

»Nein, mein Sohn, der Esel ist vielmehr ein kluges Tier; daß er in den Ruf der Dummheit gekommen ist, daran ist allein sein verstocktes und störrisches Wesen schuld. Man sagt auch nicht nur, »dumm wie ein Esel«, sondern diesem Vergleich müssen auch das Schwein und die Gans dienen. Dadurch geschieht diesen Tieren unrecht, denn sie sind durchaus nicht dumm. Was den Esel anlangt, so giebt es bei uns daheim allerdings keine schön oder auch nur intelligent aussehenden Exemplare, sie sind klein und häßlich, denn es fehlt ihnen sowohl an dem rechten Futter, sowie auch an der rechten Behandlung, daher ist ihr Wesen ein so träges und stumpfes. Unser Klima ist zu kalt für den Esel, im südlichen Frankreich und in Italien, wo es wärmer ist, gedeiht er besser; um ihn jedoch in seiner Vollkommenheit zu sehen, muß man ihn in der heißen Zone aufsuchen; die ist seine eigentliche Heimat, dort ist er nicht nur ein schönes, sondern auch ein windschnelles Tier. Xenophon erzählt in seinen Schriften von Eseljagden und berichtet dabei, daß keins der Pferde es an Schnelligkeit jenen Tieren gleich thun konnte. In Asien, besonders in Palästina und Syrien, standen die Esel in gutem Ansehen und wurden stets den Pferden vorgezogen. Man muß eben ein Tier dort sehen, wo es zu Hause ist, um den richtigen Begriff von seinem Werte zu erlangen.«

»Macht das Klima denn einen solchen Unterschied?« fragte Wilhelm.

»Ganz gewiß; nicht allein die Tiere, auch die Bäume und Pflanzen, sogar der Mensch muß sich den verschiedenen Klimaten anpassen. Die Laskaren, wie die eingeborenen indischen Seeleute genannt werden, sind in den warmen Gewässern ihrer Heimat voll von Lebendigkeit und Kraft, kommen sie aber bis in den englischen Kanal, so blasen sie in die Hände vor Kälte und werden träge, unnütz und furchtsam, mit einem Wort, ganz elende Kerle, mit denen kein Schiffer mehr etwas anfangen kann. Es giebt allerdings auch Tiere, die die verschiedenen Klimate und auch eine veränderte Ernährung ganz gut ertragen können. Da ist z. B. das Pferd, welches, obgleich eigentlich in Arabien zu Hause, auch in der gemäßigten und sogar in der kalten Zone trefflich fortkommt, denn selbst die harten Winter in Rußland und Nordamerika vermag es zu überdauern; ein gleiches gilt von andern unserer Haustiere, von dem Rindvieh, den Schafen, den Schweinen u. s. w. Es ist eine bemerkenswerte Thatsache, daß man in Kanada zur Winterzeit das Rindvieh beinahe vorwiegend mit Fischen füttert.«

»Mit Fischen, Vater? Fressen Kühe wirklich Fische?«

»Ja, mein lieber Sohn, das ist verbürgt; ein pflanzenfressendes Tier verwandelt sich hier vorübergehend in ein fleischfressendes. Es giebt aber noch andere Tiere, die in jedem Klima leben können, wie Wolf, Fuchs, Hase auch und Kaninchen, die Ziegen. Die letzteren werfen in den heißen Ländern ihr wolliges Unterkleid ab und behalten nur die äußere Decke von Grannenhaar; bringt man sie in das kalte Klima zurück, so wächst ihnen sogleich wieder das wärmende Wollhaar.«

»Aber eine Ziege hat doch keine Wolle, Vater?«

»So, meinst du? Werden die kostbaren Kaschmirshawls nicht aus Ziegenwolle verfertigt?«

»O, entschuldige lieber Vater, daran dachte ich nicht.«

»Die Haarbedeckung der meisten Tiere verdichtet sich in demselben Maße, wie sie sich den nördlichen Klimaten nähern. Dazu verändert sich auch oft ihre Farbe; Wölfe und Füchse, Hasen und Kaninchen werden im hohen Norden ganz weiß. Aus unserm Wiesel wird in Rußland und andern kalten Ländern das schöne schneeweiße Hermelinchen.«

»Es ist doch eine weise Einrichtung der Vorsehung, daß die Tiere, die dem Menschen am meisten nützen, auch in allen Zonen gedeihen und leben können,« sagte Wilhelm, »allein, ich kann es nicht recht verstehen, aus welchem Grunde ein so böses Tier wie der Wolf nicht auf sein eigentliches Klima beschränkt geblieben ist, wie der Löwe und der Tiger und andere reißende Tiere.«

»Diese und ähnliche Fragen hat schon mancher aufgeworfen,« antwortete Vater Sebald, »und nicht mit Unrecht. Es ist sicherlich wahr, daß die Schäfer den Wolf als den ärgsten Feind ihrer Herde betrachten können, und auch der Landmann hat recht, wenn er ausruft: »Wozu sind nur die Disteln auf der Welt und all das andere tausendfältige Unkraut?« Aber, mein lieber Sohn, der Mensch soll eben im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen, der Mensch soll sich die Arbeit sauer werden lassen und er soll in steter Wachsamkeit gegen die ihn umlauernden Gefahren auf der Hut sein. Wäre es anders, dann könnte der Landmann sein Feld bestellen, der Schäfer die Herde hinaustreiben und dann könnten beide hingehen und sich auf die faule Bärenhaut legen. So aber soll es nicht sein; die Arbeit an sich ist die größte Wohlthat für den Menschen; ohne die tägliche Übung aller körperlichen und geistigen Kräfte würde die Menschheit nicht gesund sein; ohne Gesundheit aber giebt es kein Glück auf Erden.«

»Jetzt verstehe ich, lieber Vater, und ich danke dir für diese schöne Erklärung. Willst du uns aber nicht noch etwas von anderen Tieren erzählen?«

»Noch eine Bemerkung möchte ich machen. Tiere, die nur in einer bestimmten Gegend der Erde zu Hause sind, gehören von Rechts wegen auch in keine andere Gegend, weil sie nur für ihre Heimat geschaffen sind und weil nur diese ihnen die geeignetste Nahrung liefert. Sieh dir z. B. das Kamel an, ein Tier, das ausdrücklich für das Land geschaffen ist, in welchem der Mensch es zuerst fand; ohne das Kamel wäre ein regelmäßiger Verkehr zwischen Asien und Afrika gar nicht möglich. Man nennt es das Schiff der Wüste, denn die Wüste ist ein Meer von Sand. Seine Füße sind so geformt, daß es mit Leichtigkeit über diesen Sand hinschreiten kann; es begnügt sich mit der kümmerlichsten Pflanzennahrung und hat die Fähigkeit, in einer Art von zweitem Magen soviel Wasser mit sich zu führen, als sein Körper in Gegenden, wo kein Trinkwasser sich vorfindet, zu seiner Erhaltung bedarf. Hier haben wir also ein Tier, welches einer bestimmten Gegend ganz wunderbar angepaßt ist; in andern Ländern, z. B. bei uns daheim, hätte das Kamel keinen Wert.«

»Es giebt aber auch Tiere genug, von denen der Mensch gar keinen Nutzen hat,« bemerkte Wilhelm.

»Gewiß, mein Sohn, wenigstens dem Anschein nach, und es giebt auch wiederum Tiere genug, die dem Menschen schaden, auf diese aber paßt meine vorherige Bemerkung; wir müssen uns eben unserer Haut wehren und die schädlichen Tiere nach Kräften bekämpfen und ausrotten, gerade wie wir es mit der Distel und mit dem andern Unkraut des Feldes thun. Aber wenn auch viele Tiere uns anscheinend keinen Nutzen bringen, so tragen sie dazu bei, die Schönheit und Mannigfaltigkeit der Natur zu erhöhen. Erinnere dich der Giraffe, die du einmal in der Heimat gesehen hast. Wie eigentümlich ist der Körperbau dieses Geschöpfes! Es lebt in seiner afrikanischen Heimat von den Blättern und Zweigen eines hohen Baumes, Mimose genannt, und wenn es nicht eine solche Schulterhöhe und einen so langen Hals hätte, dann könnte es diese Nahrung nicht erreichen. Kein anderes Tier frißt von der Mimose, und so hat es fast den Anschein, als ob die Giraffe und dieser Baum für einander geschaffen wären; beide aber tragen dazu bei, die Abwechslung der afrikanischen Landschaft reichhaltiger zu machen, und zwar in Gegenden, wo es noch nicht viel Menschen giebt. Überall wimmelt die Erde von Tieren der verschiedensten Art, sie fristen in Frieden ihr Dasein, solange sie den Menschen nicht in den Weg kommen. Sobald der Herr der Schöpfung aber von ihren stillen Gründen Besitz ergreift, müssen sie weichen oder von seiner Hand fallen, denn das ist ihre Bestimmung nach dem Willen des Schöpfers. Es ist aber spät geworden, wie ich jetzt wahrnehme, wir wollen daher unsere Unterhaltung schließen und uns zur Ruhe begeben.«


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