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»So wird's gemacht, Willy.« – Cabo Tormentoso. – Von Portugiesen, Holländern, Engländern, Mauren und andern Leuten.
Wenn du noch nicht zu schläfrig bist, lieber Willy,« sagte der alte Rüstig, »dann möchte ich wohl heute abend noch mit dir den Strand absuchen und sehen, ob wir nicht ein paar Schildkröten umdrehen können; die Zeit des Eierlegens ist bald vorüber und dann kriegen wir sobald keine wieder zu sehen.«
Wilhelm sagte freudig zu.
»Wir müssen warten, bis es ganz finster geworden ist; Mondschein giebt es nicht viel, und das ist um so besser.«
Sie warteten, bis die Sonne untergegangen war, dann gingen sie zur Wasserkante hinunter und setzten sich dort ruhig auf einen Stein. Es währte nicht lange, da sahen sie eine Schildkröte über den Sand kriechen; Rüstig stand leise auf, gab Wilhelm einen Wink und beide schlüpften zum Wasser hinunter, um dem Tiere die Flucht in das nasse Element abzuschneiden.
Kaum hatte die Schildkröte sie bemerkt, da strebte sie in größter Eile dem Meere zu, schon aber hatte Rüstig sie an einem Vorderfuß ergriffen und gleich darauf lag sie zappelnd auf dem Rücken.
»So wird's gemacht, Willy,« lächelte er; »wenn du es noch ein paarmal gesehen hast, dann kannst du's auch; du mußt dich dabei aber vorsehen, daß die Schildkröte dich nicht beißen kann, denn das Stück, das sie einmal mit ihren scharfen Kiefern gefaßt hat, das muß auch heraus. Diese also hätten wir, denn trotz alles Zappelns kann sie sich nicht wieder auf den Bauch werfen und sie müßte umkommen, wenn wir uns nicht weiter um sie kümmerten; laß uns nun noch eine Strecke wandern und sehen, ob wir nicht noch mehr abfangen können.«
Sie schlenderten langsam am Strande dahin; das Glück war ihnen günstig, denn als sie gegen Mitternacht heimkehrten, hatten sie nicht weniger als sechzehn Schildkröten umgekehrt.
»Das wird vorläufig genug sein,« meinte der Alte. »Wir haben nun einen Vorrat von frischem Fleisch, der für viele Tage ausreicht. Gelegentlich gehen wir wieder auf die Jagd, damit wir noch mehr erbeuten. Die sechzehn aber kommen morgen in den Teich.«
»Es wird schwer halten, die großen Tiere fortzuschaffen,« meinte Wilhelm bedenklich.
»Das soll uns nicht viel Mühe machen,« entgegnete Rüstig; »wir legen ein Stück altes Segeltuch auf den Sand, schieben das Tier darauf und schleifen es dann, wohin wir es haben wollen.«
»Noch eine Frage, Papa Rüstig: warum fangen wir keine Fische? Die könnten wir ja auch in den Teich setzen.«
»Die würden nicht lange drin bleiben, lieber Willy, oder wenn sie drin blieben, dann kriegten wir sie so leicht nicht wieder heraus; wir wollen uns aber noch einen richtigen Fischteich anlegen, später, wenn wir nichts Notwendigeres mehr Vorhaben. Schon oft habe ich daran gedacht, ein paar Fischleinen zu machen, aber noch immer kam ich nicht dazu, denn nach solch einem harten Tagewerk, bin ich stets zu müde; wenn aber unser Haus erst steht, dann sollst du Angelschnüre haben, soviel du willst.«
»Die Fische beißen auch im Dunkeln, nicht wahr?«
»Ei, gewiß, es angelt sich während der Nacht besser als bei Tage.«
»Ach, lieber Papa Rüstig, wenn ich Sie freundlich bitte, dann machen Sie mir recht bald eine Angelschnur, nur eine einzige, nicht wahr? Ich kann dann des Abends ab und zu noch eine Stunde fischen, was mir eine große Freude sein würde. Tommy quält fortwährend um Bratfisch und ich weiß, daß auch Mama das Salzfleisch nur noch ungern ißt, auch fürchtet sie, daß es Karoline nicht gut bekommen möchte. Sie glauben gar nicht, wie sie sich über die Kokosnüsse gefreut hat, die Sie ihr neulich brachten.«
»Na, dann muß ich zusehen, daß ich ein paar Fischleinen zurecht mache,« sagte der Alte, »und zwar gleich morgen abend. Dazu brauche ich ein Endchen Licht. Ich begleite dich aber, wenn du auf den Fischfang gehst. Wir haben übrigens bis jetzt abends noch nicht viel Licht gebrannt.«
»Nein, weil wir immer froh gewesen sind, wenn wir recht zeitig zu Bett gehen konnten,« antwortete Wilhelm. »Soviel ich weiß, müssen noch einige Kisten mit Lichten drüben auf der andern Seite sein. Was fangen wir aber an, wenn die verbraucht sind?«
»Dann brennen wir Kokosnußöl, davon werden wir immer genug haben.«
Sie waren vor ihrem Zelte angelangt und wenige Minuten später schliefen sie den Schlaf der Gerechten. –
In der Frühe des nächsten Morgens wurden die gefangenen Schildkröten in den Teich gesetzt, und um die Mittagszeit hatten Wilhelm und Juno die Umfassung desselben fertiggestellt. Vater Sebald war mit seinem Umgraben ebenfalls zu Ende, und da seine Frau mit Juno am Nachmittag Wäsche zu waschen hatte, so kam man überein, daß die beiden Männer und Willy die Kartoffeln auspflanzen sollten.
Der alte Rüstig ging mit dem Spaten noch einmal das ganze Ackerland durch, während Sebald und sein Sohn die Kartoffeln zerschnitten, wobei darauf geachtet werden mußte, daß jedes Stück auch ein Auge hatte, wie man die Vertiefung nennt, aus welcher der Trieb herauswächst. Hierbei plauderten sie allerlei.
»Vater,« sagte Wilhelm im Laufe der Unterhaltung, »als wir von Kapstadt aus wieder in See gingen, versprachst du mir, zu erzählen, warum die Südspitze von Afrika das Kap der guten Hoffnung genannt wird; auch wolltest du mir erklären, was eine Kolonie ist. Möchtest du dies jetzt thun?«
»Gern, mein lieber Sohn; höre aufmerksam zu und wenn du etwas nicht genau verstehst, dann mußt du mich fragen, damit ich es dir noch einmal wiederhole. Das Meer ist heute das gemeinschaftliche, freie Gebiet aller seefahrenden Nationen, es gab aber eine Zeit, wo einzelne Völker dasselbe allein für sich zu beanspruchen geneigt waren, darunter in erster Linie die hochmütigen Engländer. Diese Zeit ist heute vorbei. Die ersten Seefahrer der neueren Zeit waren die Spanier und die Portugiesen. Die Spanier entdeckten Südamerika, die Portugiesen Ostindien. Damals, also vor mehr als dreihundert Jahren, besaß das später auf dem Meere so mächtige England nur wenige Schiffe, es konnte sich daher in seinen Unternehmungen mit Spanien und Portugal nicht messen. In ihren Bestrebungen, den Seeweg nach Ostindien zu finden, gelangten die Portugiesen an die Südspitze Afrikas. Die Schiffe in jener Zeit waren nur klein und unvollkommen und in der genannten südlichen Gegend wehten so heftige Stürme, daß die Entdeckungsreisenden das Kap anfänglich nicht zu umschiffen vermochten, sie nannten dasselbe daher Cabo Tormentoso oder das stürmische Kap. Endlich gelang es ihnen dennoch, und nun tauften sie in ihrer Freude die südliche Spitze Afrikas Cabo da Buona Speranza oder das Kap der guten Hoffnung. Sie langten glücklich in Indien an, ergriffen Besitz von vielen Landstrichen daselbst und begründeten einen überseeischen Handel, der eine Quelle großen Reichtums für das Mutterland wurde. Hast du soweit alles verstanden?«
»Ja, lieber Vater.«
»Du kennst den Lebenslauf eines Menschen,« fuhr Sebald fort. »Ein Mann wird geboren, erlangt das reife Alter und damit volle Kraft, wird alt, verwelkt und stirbt. Genau so ist es mit den Völkerschaften der Erde. Die Portugiesen befanden sich damals als Nation im Alter ihrer Reife und Vollkraft; andere Nationen aber wuchsen zu gleicher Kraft empor, unter ihnen die Holländer, und diese waren auch die ersten, welche den Portugiesen den ostindischen Besitz streitig machten; nach und nach entrissen sie ihnen jene Kolonien und damit auch den überseeischen Handel. Nach diesen kamen die Engländer, wiederum als Räuber und sie sind noch heute im Besitz des größten Teils von Ostindien. Portugal, einst die kühnste und unternehmendste Nation der Welt, ist heute ein Ländchen ohne jede Bedeutung; auch Holland besitzt nicht mehr den Schatten seiner früheren Macht; Englands Stunde wird auch einst schlagen, denn schon wankt hier und da der Boden unter seinen Füßen.«
»Aber warum sind denn die Völker so eifrig bestrebt, sich Kolonien zu verschaffen?« fragte Willy.
»Weil diese sehr viel zum besseren Gedeihen des Mutterlandes beitragen. In ihrer Kindheit, um mich so auszudrücken, verursachen sie allerdings nur Kosten, bald aber wird ihr Nutzen überwiegend, indem zwischen ihnen und dem Mutterlande ein Austausch von Erzeugnissen stattfindet, bei welchem letzteres am meisten gewinnt, da es allein das Recht hat, alle Bedürfnisse der Kolonien zu befriedigen. Du siehst, lieber Sohn, dieses Verhältnis ist mit dem zwischen Eltern und Kindern bestehenden sehr gut zu vergleichen. Zuerst ist die Kolonie das Kind, das vom Mutterlande erhalten wird; es wächst heran, wird kräftig und vergilt nun die aufgewendeten Mühen und Kosten reichlich; aber der Vergleich geht noch weiter. Wenn solch eine Kolonie stark genug geworden ist, um auf eigenen Füßen stehen zu können, dann wirft sie das Joch der Unselbständigkeit ab und erklärt sich für unabhängig, gerade wie ein Sohn, der ein Mann geworden ist, nun des Vaters Haus verläßt und sich eine eigene Existenz gründet.«
»Oder wie ein Vogel, der aus dem Nest fliegt, sobald er flügge geworden ist,« sagte Wilhelm.
»Ganz recht, lieber Sohn,« lächelte der Vater, »ich sehe, daß du mich verstanden hast.«
»Aber nun, lieber Vater, möchte ich noch eine andere Frage beantwortet haben. Du sagtest, daß die Nationen ebenso heranwachsen und vergehen wie die einzelnen Menschen. Wird England eines Tages auch wieder so klein und unbedeutend werden wie Portugal?«
»Um eine Beantwortung zu dieser Frage zu finden, brauchen wir nur einen Blick in die Weltgeschichte zu thun; wir lernen daraus, daß dies das Geschick aller Nationen ist. England, von dem es heißt, daß in seinen Besitzungen die Sonne nicht untergeht, wird keine Ausnahme machen. Die Anzeichen des Verfalles werden lange übersehen, wie auch wir in unseren Körpern die Samenkörnlein des Todes nicht gleich spüren; dennoch kommt die Zeit, wo wir sterben müssen, und ebenso geht es den Nationen. Meinst du, daß die Portugiesen sich in ihrer Blütezeit träumen ließen, daß sie einst wieder so unbedeutend werden würden? Und so, mein lieber Sohn, wird auch England wieder aufhören, ein mächtiges Reich zu sein.«
»Da will ich nur hoffen, daß es noch recht lange dauert, ehe es mit unserm deutschen Vaterlande soweit kommt,« sagte Willy.
»Das hofft jeder Deutsche, der sein Vaterland liebt. Du hast schon in der Schule gelernt, daß zur Zeit des großen römischen Reiches die Bewohner Germaniens Wilde und Barbaren gewesen sind. Heute ist das römische Reich verschwunden, man kennt seine ehemalige Größe nur noch aus der Geschichte und aus den Ruinen von Bauwerken, die sich innerhalb seiner früheren Grenzen vorfinden, während Germanien eine der ersten Stellen unter den civilisierten Nationen einnimmt. Sieh dir Afrika an, dort wohnen auch fast nur Wilde und Barbaren; wer aber kann wissen, welche Zukunft diesen bevorsteht?«
»Aber Vater,« rief Wilhelm, »können die Neger vielleicht auch eine große Nation werden?«
Der Vater lächelte. »Genau so werden auch die Römer in der Zeit ihres Glanzes gefragt haben: Was! Aus den germanischen Barbaren sollte eine große Nation werden?«
»Aber die Neger, Vater, – die sind ja schwarz!« wandte Wilhelm ein.
»Allerdings, aber das hat damit nichts zu schaffen. Die Mehrzahl der Mauren ist ebenso dunkel wie die Neger, dennoch waren die Mauren einst eine große Nation und nicht nur das, sondern auch das gebildetste Volk ihrer Zeit, voll von Ehre, Großmut, Gesittung und Ritterlichkeit. Sie eroberten Spanien und beherrschten es viele hundert Jahre lang; sie brachten Künste und Wissenschaften in das damals noch ziemlich barbarische Europa, und waren nicht nur tapfer und heldenmütig, sondern auch reich an den Tugenden des Friedens. Hast du niemals etwas über die Mauren in Spanien gelesen?«
»Nein, Vater, ich würde mich aber freuen, solch ein Buch in die Hand zu bekommen.«
»Ja,« nickte der Vater, »es ist eine Geschichte voll der interessantesten Begebenheiten und Abenteuer, so unterhaltend wie kaum eine andere. Ich besitze das Buch, ob es sich aber in den Bücherkisten befindet, die wir geborgen haben, das weiß ich nicht; gelegentlich, wenn wir Zeit haben, wollen wir danach suchen.«
»Ich glaube, es sind zwei Bücherkisten an Land gespült worden,« bemerkte Wilhelm.
»Das wäre wenig; an Bord des Pacific befanden sich fünfzehn.«
Vater Sebald erhob sich.
»Mit dem Kartoffelschneiden wären wir fertig,« sagte er; »laß uns nun dem Steuermann helfen, sie aufzusetzen, und dann wollen wir einige von den Sämereien einsäen.«