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Der Blitzschlag. – »Wieder ein Stück Arbeit weniger.« – Rüstigs Geschichte.
Unsere Schiffbrüchigen erfreuten sich noch nicht lange der Ruhe, als ein schwerer Sturm über die Insel hereinbrach und alle Mann jäh aus dem Schlummer schreckte. Durch die Ritzen der Thür und der Fenster leuchtete der Schein der Blitze herein, und die unaufhörlichen Donnerschläge erfüllten aller Herzen mit Schrecken und Besorgnis. Die Kinder, die sich in die Arme der Mutter und Junos geflüchtet hatten, weinten jämmerlich, und die Negerin war nicht minder in Angst als die Kleinen.
»Das ist ja ganz entsetzlich!« sagte Vater Sebald zu dem Steuermann.
Beide Männer hatten ihre Lagerstätten verlassen, getrieben von dem Gefühl, im Notfall gleich bei der Hand sein zu müssen. Sie redeten noch miteinander, als ein ganz ungeheurer Donnerschlag erkrachte.
»Barmherziger Himmel!« rief Rüstig, zugleich aber wurden beide halb betäubt einige Schritte zurückgeworfen; ein Schwefelgeruch erfüllte das Haus und als sie sich wieder ermannten, gewahrten sie, daß alles dicht voll Rauch war; das Geschrei und Gekreisch der Frauen und Kinder vermehrte noch die Schrecken dieses Augenblicks.
»Gott sei uns gnädig!« rief der Steuermann, der sich zuerst erholt hatte und der nun bemüht war, zu erforschen, welcher Art das Unglück war, das sich ereignet hatte. »Der Blitz hat uns getroffen, es muß irgendwo brennen!«
»Frau!« rief Sebald in größter Angst. »Kinder, lebt ihr alle noch?«
»Ja,« antwortete die Mutter, »wir leben alle noch, Tommy ist bei mir, auch Albert und Karoline, aber ich vermisse Juno.«
»Juno!« rief sie laut.
Aber Juno antwortete nicht.
Wilhelm tappte durch den Raum und fand sie regungslos am Boden liegend.
»Juno ist tot, Vater!« rief er entsetzt.
Rüstig eilte herzu, und richtete sie ein wenig auf.
»Fassen Sie an, Herr Sebald,« sagte er, »wir wollen sie aus diesem Qualm hinaus in die frische Luft tragen, vielleicht ist sie nur betäubt.«
Sie trugen die Negerin vor die Thür und legten sie hier nieder; der Regen goß in Strömen herab, aber die Stelle unmittelbar an der Hauswand war ziemlich geschützt.
Rüstig eilte wieder ins Haus, um zu untersuchen, ob der Blitz wirklich gezündet hatte; er fand das Dach an der hinteren Giebelwand an einer Stelle angesengt, der Regen hatte die Flammen jedoch gleich wieder gelöscht. Beruhigt kehrte er zu Sebald und Wilhelm zurück, die sich noch bei Juno befanden.
»Überlassen Sie jetzt das Mädchen mir,« sagte er, »und gehen Sie mit Wilhelm wieder hinein; Ihre Frau ängstigt sich zu sehr, wenn wir sie ganz allein lassen. Da, sehen Sie doch, Juno ist nicht tot, ihre Brust hebt sich, sie wird nun bald wieder zu sich kommen; Gott sei Lob und Dank dafür, denn wir hätten das Mädchen recht sehr vermißt.«
Wilhelm und sein Vater fanden die Mutter ganz aufgelöst vor Angst und Furcht. Die Nachricht, daß Juno von dem Blitzschlag nicht getötet worden sei, wirkte wie eine erfrischende Arznei auf die arme Frau, die sich nun auch bald wieder beruhigen ließ. Wilhelm besänftigte den kleinen Albert, und Tommy war nach wenigen Minuten in den Armen seines Vaters wieder fest eingeschlafen.
Draußen hatte die Wut des Sturmes nachgelassen, und als der Tag graute, erschien auch der alte Rüstig mit Juno wieder im Hause. Das Mädchen hatte sich soweit erholt, daß sie, von Rüstig unterstützt, schon wieder gehen konnte. Man brachte sie zu Bett, und dann untersuchten die beiden Männer bei dem schnell zunehmenden Tageslicht den Schaden am Hause noch einmal mit größter Sorgfalt.
Der Blitzstrahl war oben am Giebel hereingefahren, gerade über der Stelle, die man für die Anlage des Herdes freigelassen hatte; er hatte einen Teil des eisernen Kessels abgeschmolzen und, was bei weitem der größte Verlust war, die schwarze Grete, die Ziege, getötet. Die Zicklein waren unversehrt geblieben.
»Der Allmächtige hat uns ganz wunderbar bewahrt!« nahm Sebald ergriffen das Wort.
»Ja, wir können ihm nicht genug danken,« erwiderte Rüstig. »Ich hatte schon ernstlich befürchtet, daß es mit der armen Juno vorbei wäre.«
»Wenn ich mich recht entsinne, dann muß unter den geborgenen Gegenständen sich auch eine große Rolle Kupferdraht befinden,« fuhr Sebald fort. »Erinnern Sie sich nicht auch?«
»Jawohl, ich dachte soeben selber daran; wir müssen uns sobald als möglich einen Blitzableiter anfertigen.«
Es war jetzt heller Tag. Wilhelm ging hinaus, um das Frühstück zu bereiten, und Rüstig holte die Rolle Kupferdraht zwischen den Vorräten hervor, die unter den Bettgestellen verstaut waren.
Draußen vor der Thür rollte er ein langes Ende des Drahtes ab und dann ging er, die Leiter zu holen, welche sich auf dem Bauplatze des neuen Vorratshauses befand. Nach dem Frühstück machten die beiden Männer sich an die Herstellung des Blitzableiters, während Wilhelm die Arbeit Junos übernahm, die noch immer fest schlafend auf ihrem Bette lag.
Rüstig wählte einen in der Nähe des Hauses befindlichen Baum aus und begann an demselben seine Arbeit. Er schlug einen großen Nagel in den Stamm, so tief, daß derselbe ihn zu tragen vermochte; einige Fuß über demselben schlug er einen zweiten ein, sich auf diesen stellend einen dritten und so fort, bis er den Wipfel des Baumes erreicht hatte. Dann stieg er herab, versah sich mit Säge und Beil, klimmte wieder empor und nach kurzer Zeit hatte er die Krone des Baumes abgeschnitten, so daß der Stamm jetzt nur noch einem hohen Pfahl glich.
Sebald schaute dem gewandten alten Mann voll Bewunderung aber auch nicht ohne Besorgnis zu.
»Seien Sie vorsichtig, Rüstig!« rief er; »lassen Sie sich beim Abstieg Zeit.«
»Nur nicht ängstlich,« erwiderte der Steuermann, »ich bin nicht umsonst unzählige Mal den Mast bis zum Flaggenknopf hinaufgeklettert, beinahe noch einmal so hoch als dieser Baum ist.«
Schnell und sicher stieg er herunter und schnitt sich eine kurze Stange zurecht, an deren einem Ende er einen dicken zugespitzten Draht anbrachte. Damit ging es noch einmal nach oben; die Stange wurde so an dem Baumstamm befestigt, daß sie mit ihrer Drahtspitze über denselben hinausragte, sodann befestigte er den Kupferdraht an dieser Drahtspitze, und stieg wieder herab. Sebald grub das untere Ende des Kupferdrahts am Fuße des Stammes in die Erde ein und der Blitzableiter war fertig.
»Wieder ein Stück Arbeit weniger,« sagte der Alte, sich den Schweiß aus dem Gesichte trocknend.
»Schon recht,« entgegnete Sebald, »aber bei dem Vorratshause muß auch ein Blitzableiter angebracht werden, sonst könnten wir eines Tages um unser bißchen Hab und Gut kommen.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden,« nickte Rüstig.
»Der Zweck eines solchen Blitzableiters ist dir bekannt, Wilhelm, nicht wahr?« fragte der Vater den Knaben, der aus dem Hause getreten war und die Arbeit Rüstigs beobachtet hatte.
»Ich denke doch, Papa; der Blitzstrahl wird durch Metall angezogen und wird daher von jetzt an, anstatt in das Haus, in die Metallspitze dort oben und dann an dem Kupferdraht hinunter in die Erde fahren. Du hast mir das schon früher einmal erklärt.«
»Und du hast es behalten, was die Hauptsache ist,« bemerkte Rüstig. »Dort kommt übrigens wieder Regen heraufgezogen und ich meine, daß es mit unserer Arbeit für heute zu Ende ist. Ich will mich schnell noch aufmachen und sehen, wo unser Vieh steckt; hoffentlich haben wir nicht noch mehr verloren. Vielleicht begraben Sie, Herr Sebald, mit Wilhelm inzwischen die arme Ziege; wenn Sie sich sputen, werden Sie damit noch fertig, ehe der Sturm da ist.«
Vater und Sohn folgten der Weisung des Alten, schleppten die Ziege aus dem Hause und begruben sie unter dem Blitzableiter. Sie waren kaum damit fertig, da erschien auch Rüstig schon wieder; er brachte die andere Ziege mit, die inzwischen ebenfalls Junge geworfen hatte.
»Der Herr nimmt, aber er giebt auch,« rief er fröhlich, ein paar Zicklein weisend, die er in den Armen trug. »Ich hatte schon gefürchtet, daß die armen Dinger, die jetzt mutterlos sind, wegen Mangel an Nahrung eingehen müßten, jetzt aber bringe ich hier eine Amme, die nun alle vier nähren kann. Es wird ihr zwar schwer werden, aber es hilft nichts, wir werden sie desto reichlicher füttern.«
Man führte die Ziege ins Haus, band sie auf der Stelle fest, die vorher die schwarze Grete inne gehabt hatte, und dann ging man zu Tisch.
Juno war aufgestanden; sie sagte, daß sie sich, etwas Kopfweh abgerechnet, wieder ganz wohl fühle.
Wie Rüstig vorausgesehen, erneuerte sich der Sturm mit großer Heftigkeit, so daß an eine Arbeit im Freien nicht gedacht werden konnte. Auf Wilhelms Bitte fuhr der alte Steuermann daher in seiner Lebensgeschichte fort.
»Unser Schiff lief in die Tafelbai ein und ging daselbst zu Anker,« berichtete er. »Man schickte uns an Land und sperrte uns in ein unweit des Regierungsgartens gelegenes Gefängnis. Ich kann wohl sagen, daß man uns dort nicht allzu schlecht behandelte, auch die Bewachung war keineswegs streng, da man überzeugt zu sein schien, daß eine Flucht aus diesen Mauern unmöglich sei. Wir fühlten uns trotzdem nicht wohl, denn man hatte uns angekündigt, daß wir bei der ersten Gelegenheit nach Holland gebracht werden sollten, und das war eine schlimme Aussicht für uns.
Wie ich schon erwähnte, waren einige der anderen Schiffsjungen des Ostindienfahrers meine Genossen in der Gefangenschaft, es verstand sich daher von selber, daß wir möglichst zusammenhielten. Zwei dieser Jungen, der schon genannte Jack Römer und Will Hastings, waren meine besonderen Freunde; als wir eines Tages eng aneinander gekauert in einer Ecke hockten – denn es war Winter und wir suchten uns zu wärmen – machte Römer die Bemerkung, daß es doch sehr leicht wäre, hier fortzulaufen, wenn man nur wüßte, wohin.
»Das ist's eben,« entgegnete Hastings, »sollen wir vielleicht bei den Hottentotten oder bei den Kaffern Zuflucht suchen? Und wenn die uns wirklich aufnehmen, was dann weiter? Wir können doch nicht auch Neger und Wilde werden.«
»O,« sagte ich, »wenn es auf mich ankommt, dann lebte ich lieber als Wilder in der Freiheit, als kriegsgefangen hier in dem Kerker.«
Das war unsere erste Unterredung über diese Sache, hernach sprachen wir noch sehr oft davon, und da sich unter den holländischen Schildwachen auch einige befanden, die englisch verstanden, und da ich andererseits mich auch auf plattdeutsch mit ihnen einigermaßen verständigte, so erfuhren wir allerlei von ihnen, was uns nützlich werden konnte, denn die Soldaten hatten verschiedentlich Dienst an der Grenze der Kolonie verrichten müssen.
So vergingen zwei Monate, während welcher wir unsern Plan immer von neuem besprachen und die Schildwachen soviel als thunlich ausfragten. Endlich stand unser Entschluß fest, wir wollten entfliehen.
Das war nun nichts als eine große Dummheit und wiederum ein Beweis dafür, wie unfähig solche Jungen sind, die Leitung ihres Geschickes selbst in die Hand zu nehmen. Denn was konnten wir denn durch die Flucht erreichen? Wir kamen dadurch nur in neue Gefahren und in noch größere Not und hatten dabei nicht die geringste Aussicht, wirklich davon zu kommen. Besser hätten wir gethan, wenn wir ruhig in unserm Gefängnis geblieben wären und geduldig abgewartet hätten; allein es ist ein wahres Wort, man kann auf junge Schultern keine alten Köpfe setzen.
Wir sparten uns einen kleinen Proviantvorrat vom Munde ab, kauften uns lange holländische Messer, banden unsere Kleider in Bündel zusammen und als eines Abends die Gefangenen eingeschlossen wurden, gelang es uns, unbemerkt in dem finstern Hofe zurückzubleiben. Hier lag ein langer Pfahl, auf den wir schon vorher unser Augenmerk gerichtet hatten; wir stellten ihn gegen die Mauer, kletterten daran empor, schwangen uns jenseit wieder hinab und eilten, so schnell uns die Füße tragen wollten, dem Tafelberge zu.«
»Weshalb mußte gerade der Tafelberg Ihr nächstes Ziel sein?« fragte Wilhelm.
»Das will ich dir sagen, mein Junge. Hastings, der der älteste und auch der schlaueste von uns dreien war, meinte, daß die Schluchten jenes Berges uns die sichersten Verstecke gewähren würden; dort wollten wir uns eine Weile aufhalten und dabei versuchen, uns Gewehre und Schießbedarf zu verschaffen. Wir waren nämlich nicht ohne Geldmittel, denn als unser Schiff zuerst von den Franzosen genommen wurde, hatte der Kapitän ein Fäßchen voll Rupien unter Offiziere und Mannschaften verteilt und zwar im Verhältnis der Heuer, die jedem von uns bereits zustand; er meinte, es wäre besser, daß seine Leute das Geld bekämen, als daß es ein Raub der Franzosen würde. Im Gefängnis hatten wir fast nichts davon ausgegeben, denn Branntwein und andere Getränke waren uns verboten und an das Rauchen und Tabakkauen hatten wir Jungen uns noch nicht gewöhnt.
Es war aber noch ein anderer Grund vorhanden, der uns bewog, den Tafelberg aufzusuchen. Wenn Gefangene ausbrachen, dann wurden Streifpatrouillen ausgeschickt, die das ganze Innere der Kolonie abzusuchen hatten; lagen wir daher während der ersten Zeit im sicheren Versteck, dann konnten wir später, wenn die Nachforschungen aufgehört hatten, unangefochten das Land durchwandern. Die Soldaten hatten uns viel von den Löwen und von den andern wilden Tieren erzählt, die das Land unsicher und das Wandern gefährlich machten, und wenn die Holländer uns nicht fänden, dann würden sie, so meinte Hastings, sicher annehmen, daß diese wilden Bestien uns aufgefressen hätten. Man sieht also, daß wir doch nicht so ganz ins Blaue hineinliefen, obschon wir noch ganz dumme Jungen waren.«
»Da muß ich Ihnen zustimmen,« lächelte Frau Sebald, »denn sicherlich war es eine große Dummheit, in ein unbekanntes Land hinaus zu rennen, das nicht nur voll von wilden Tieren, sondern auch von wilden Menschen war.«
»Sie haben recht, wie immer, Madam,« erwiderte der alte Seemann höflich, »und nun sollen Sie auch erfahren, was uns begegnete, als wir noch nicht drei Stunden unterwegs waren. Zuerst blieben wir in einem Rennen, bis uns endlich der Atem ausging, und dann liefen wir noch immer so schnell wir nur konnten, nicht nur geradeswegs auf den Berg zu, sondern ein wenig seitwärts nach Südwest, in der Richtung nach der sogenannten Falschen Bai, um vorerst aus dem Bereich der Stadt zu kommen. Du erinnerst dich doch noch wohl, daß ich dir die Falsche Bai zeigte, als wir das Kap der guten Hoffnung passierten?«
»Ja wohl, ich erinnere mich sehr gut, Papa Rüstig.«
»Wir mochten ungefähr zwei Stunden auf dem Marsche gewesen sein und begannen uns bereits sehr müde zu fühlen, als im Osten der Tag zu grauen anfing; wir sahen uns nach einem Orte um, wo wir uns verstecken konnten, und hatten bald eine Höhle gefunden, deren Eingang nur eng war, deren Inneres aber gut ein halbes Dutzend solcher Jungen beherbergen konnte; wir krochen also hinein.
Die Höhle war ganz trocken; wir machten es uns bequem und legten unsere Bündel unter die Köpfe, in der Absicht, jetzt erst ordentlich auszuschlafen; daraus aber sollte nichts werden, denn kaum begannen wir einzuschlummern, da hörten wir draußen ein solches Gekreisch und Gebell, daß wir blitzschnell auffuhren und uns vor Schreck und Entsetzen gar nicht zu lassen wußten. Wir konnten uns gar nicht denken, wer diesen fürchterlichen Lärm vollführte.
Endlich wagte es Hastings, vorsichtig die Nase hinaus zu stecken; gleich darauf ließ er ein leises Lachen hören. Jetzt krochen auch Romer und ich zur Öffnung und da sahen wir ungefähr hundertundfünfzig große Paviane, die sich in der allerdrolligsten Weise herumtummelten; die Bestien waren viel größer als wir und hatten Zähne wie die Löwen.
Einige davon waren Weibchen, die ihre Jungen auf dem Rücken trugen, trotzdem aber ebenso komische Sprünge und Balgereien vollführten wie die andern.
Endlich wurde das Treiben der Tiere so spaßhaft, daß wir uns nicht länger halten konnten und in ein lautes Gelächter ausbrachen; wir hätten sobald auch nicht zu lachen aufgehört, wenn nicht plötzlich das grinsende Gesicht eines der größten der Paviane ganz dicht vor uns erschienen wäre. Er mußte von dem die Höhle überhängenden Felsen herabgesprungen sein.
Erschrocken prallten wir zurück, denn das Gebiß des Tieres war fürchterlich und auch der Blick seiner Augen keineswegs vertrauenerweckend. Er stieß einen schrillen Ruf aus, auf den die ganze Herde eiligst herankam.
Ich hatte schon gesagt, daß die Höhle groß genug war, um sechs solcher Jungen, wie wir waren, zu beherbergen; dieselbe stand aber noch mit einer zweiten Höhle in Verbindung, auf die wir bisher nicht geachtet hatten, da ihr Eingang sehr eng war. Jetzt machte Romer den Vorschlag, uns dort hinein zurückzuziehen, und zugleich kroch er mit dem Hinterteil zuerst durch die Öffnung; Hastings raffte sein Bündel auf und folgte ihm, dasselbe that auch ich und kaum befand ich mich in Sicherheit, als die Paviane auch schon in die vordere Höhle hineindrangen.
Vor allen Dingen machten sie sich über Romers Bündel her; sie öffneten es, stopften den darin enthaltenen Proviant in ihre Backentaschen und was sie für ungenießbar erachteten, das zerrissen sie in tausend Fetzen.
Als sie damit fertig waren, kamen zwei an die innere Höhlenöffnung, um zu sehen, wo wir geblieben waren. Der eine streckte seinen langen Arm herein, um uns zu fassen, Hastings aber versetzte ihm einen Hieb mit dem Messer, so daß er das Glied schleunigst wieder an sich zog. Es war spaßhaft anzusehen, wie er die verwundete Hand den Kameraden zeigte und dann das Blut mit der Zungenspitze kostete; die andern aber erhoben ein lautes Geschnatter, was von den im Freien gebliebenen Affen erwidert wurde; dann streckte ein anderer seinen Arm zu uns herein und empfing denselben Denkzettel wie der erste.
Endlich versuchten zwei und drei auf einmal, uns herauszuziehen, wir aber schlugen alle Angriffe mit unsern Messern tapfer ab. Dieses Scharmützel dauerte ungefähr eine Stunde, dann verließen die Tiere die Höhle, hielten sich aber unter Heulen und Schreien draußen ganz in der Nähe des Einganges.
Uns war dabei nicht gut zu Mute und Romer wünschte sich ganz unverhohlen in das Gefängnis zurück; das war mir aus der Seele gesprochen, aber was halfen alle Wünsche? Wir saßen hier fest und durften uns nicht von der Stelle wagen, sonst hätten uns die Paviane ohne Zweifel in Stücke gerissen. Es blieb uns nichts übrig, als zu warten, bis den Affen die Sache langweilig wurde und sie den Ort verließen.
Der Kampf und die Aufregung hatten uns durstig gemacht und wir lechzten nach Wasser. Es vergingen aber noch zwei Stunden, ehe uns Erlösung wurde; nach Ablauf dieser Zeit ließ eins der Tiere einen schrillen Schrei vernehmen und sogleich hörten wir die ganze Herde davonrennen. Eine Weile warteten wir noch, dann kroch Hastings zuerst hinaus und lugte vorsichtig ins Freie; die Paviane waren verschwunden, nur ein Hottentott war zu sehen, der in einiger Entfernung sein Vieh weidete. Eilfertig schlüpften wir hervor ans Tageslicht, seelenvergnügt darüber, diese Gefahr so glücklich überstanden zu haben.
Das war unser erstes Abenteuer, lieber Wilhelm; bald sollten ihrer noch mehr folgen, aber ich meine, daß es jetzt wohl Zeit wäre, zu Bett zu gehen. Wie mir scheint, werden wir morgen schönes Wetter haben, Herr Sebald, es kann aber auch anders kommen; denn mit solcher Wetterschätzung ist es immer ein eigen Ding.«
»Sie glauben gar nicht, Papa Rüstig, wie sehr ich darauf brenne, zu erfahren, was Ihnen noch weiter zugestoßen ist,« sagte Wilhelm.
»Das wirst du schon noch hören, lieber Junge, aber alles zu seiner Zeit, und jetzt ist's Zeit zum Schlafen, es wäre denn, daß du noch mit mir auf den Fischfang gehen wolltest.«
Wilhelm ging mit Freuden auf diesen unerwarteten Vorschlag ein.
»Gut,« sagte der Alte, »hier sind die Leinen; ich wünsche Ihnen angenehme Ruhe, Madam; gute Nacht, Herr Sebald.«