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Reisevorbereitungen. – Rüstig beendet seine Geschichte und hat Vorahnungen.
Die nächsten Tage brachten eine neue Beschäftigung; die Baumstümpfe, die in dem Zickzackpfad stehen geblieben waren, mußten beseitigt werden, auch war neben dem Vorratshause ein Blitzableiter zu errichten. Es waren dies die letzten der Aufgaben, die noch während der Regenzeit erledigt werden sollten.
Die Schafe hatten junge Lämmer, aber sowohl sie, wie auch die Ziegen begannen jetzt ernstlich Mangel zu leiden, denn ihr Weideland gab nicht mehr genügend Futter her. Während der letzten Woche war kein Tropfen Regen gefallen, die Sonne brannte sengend hernieder und Rüstig äußerte die Ansicht, daß es mit der Regenzeit wohl zu Ende wäre.
Wilhelms Gesundheit war wieder die alte und ungeduldig verlangte er, daß man nunmehr die Entdeckungsreise antreten und ihn mitnehmen sollte. Man hielt lange Beratungen ab und stellte endlich fest, daß Rüstig und Wilhelm die erste Entdeckungsfahrt unternehmen sollten und zwar in südöstlicher Richtung. Diese Entscheidung war am Sonnabend getroffen, am Montag früh sollte die Reise beginnen. Man füllte die Ranzen mit gekochtem Salzfleisch und flachen Brotkuchen, die Juno gebacken hatte. Jeder legte seine Büchse bereit nebst ausreichender Munition; man sorgte für Decken, um nachts darauf zu schlafen, und rollte sie zusammen, um sie bei Tage bequem über die Schulter hängen zu können. Rüstig vergaß auch seinen Kompaß nicht, ebensowenig die Beile, mit denen die Bäume angehauen werden mußten. Unter diesen Vorbereitungen verging der ganze Sonnabend.
Nach dem Abendbrot nahm der alte Steuermann wieder das Wort.
»Ehe wir unsere Fahrt antreten,« sagte er, »will ich meine Geschichte zu Ende bringen. Viel habe ich nicht mehr zu erzählen, da, wie ich schon erwähnte, mein Glück nicht lange anhielt. Ich war stehen geblieben, wo ich einen Anteil an einem Kauffahrer erwarb und nun meinte, mit vollen Segeln in ein Leben voll Wonne und Überfluß Hineinsteuern zu können.
Unser Schiff war bald segelfertig und wir traten mit einem Geschwader die Reise nach Barbados an. Sanders erwies sich als wohlerfahren in allen nautischen Kenntnissen, noch ehe wir in Barbados ankamen, hatte ich von ihm alles gelernt, was ich zur richtigen Führung meines Schiffes brauchte.
Der gute alte Schotte versuchte zu wiederholten Malen, mich wie ehedem in ernste und religiöse Gespräche zu ziehen, mein neuer Rang aber hatte mich stolz und hoffärtig gemacht, und da ich überdies seinen Beistand jetzt nicht mehr brauchte, so vermied ich nicht nur jede Unterhaltung mit ihm, sondern gab ihm auch zu fühlen, daß ich sein Vorgesetzter war.
Wie du siehst, lieber Wilhelm, vergalt ich seine Liebe und Freundschaft mit schwarzem Undank, was in dieser Welt leider nur zu oft geschieht. Sanders fühlte sich durch mein Betragen sehr verletzt und in Barbados erklärte er mir, das Schiff verlassen zu wollen. Ich sagte ihm hochmütig, er möge thun, was ihm beliebe, denn, die Wahrheit zu gestehen, auch ich brannte darauf, ihn loszuwerden, und zwar allein aus dem Grunde, weil ich mich ihm verpflichtet fühlte. Ich muß dies ausdrücklich und zu meiner Schande aussprechen.
Sanders verließ mich also und ich war sehr froh darüber. Es dauerte nicht lange, da hatte mein Schiff seine volle Ladung Zucker und ich wartete nur noch, bis das Geschwader zusammen war, um mit demselben die Heimreise anzutreten. Ich hatte in Barbados vier Geschütze gekauft, die ich an Deck aufstellte; auch für Pulver und Kugeln war Sorge getragen. Das Schiff hatte sich während der Ausreise als ein ganz vorzüglicher Segler bewährt, es übertraf an Schnelligkeit sogar einige der Kriegsfahrzeuge, die das Geschwader begleiteten, und als ich nun meine Geschütze an Bord hatte, da meinte ich, keins der feindlichen Kaperschiffe mehr fürchten zu müssen.
Es dauerte lange, ehe das Geschwader vollzählig war; Wochen konnten bis dahin noch vergehen.
Eines Tages erhob sich ein heftiger Sturm, der einige Schiffe, darunter auch das meine, von den Ankern riß und aus der Bai von Carlisle hinaus in die offene See trieb, so daß wir gezwungen waren, Segel zu setzen und gegen den Wind in die Bai zurückzukreuzen.
Da kam mir ein Gedanke; schon längst war ich des Wartens auf das Geschwader herzlich müde, und da ich mir außerdem sagte, daß meine Rückkunft vor der aller andern Westindienfahrer für mich sehr vorteilhaft sein würde, so beschloß ich, anstatt in den Hafen zurückzukreuzen, zu wenden und mit diesem günstigen Winde allein die Heimkehr anzutreten; zwar mußte ich sodann auf den Schutz der Kriegsfahrzeuge Verzicht leisten, danach aber fragte ich nicht viel, da ich mich auf mein schnellsegelndes Schiff und auf meine Geschütze verließ.
Hierbei vergaß ich jedoch, daß mein Schiff in England als ein im Geschwader und unter Bedeckung segelndes versichert worden war, daß ich der Versicherungssumme verlustig gehen mußte, wenn mich außerhalb des Geschwaders ein Unfall betraf.
Drei ganze Wochen lang ging alles prächtig; es kamen uns nur wenig Schiffe in Sicht, einige machten auch Jagd auf uns, wir liefen ihnen jedoch mit Leichtigkeit davon, und schon rechnete ich ganz bestimmt darauf, noch vor dem Abend in den heimatlichen Hafen einzulaufen, als plötzlich ein französischer Kaper auftauchte und uns zu verfolgen begann.
Es wehte eine steife Brise, ich war genötigt, scharf an den Wind heranzuholen, da hatte ich das Unglück, die Großmarsstange zu verlieren. Damit war mein Schicksal entschieden; der Kaper kam heran, enterte mein Schiff, und schon in jener Nacht lag ich in einem französischen Gefängnis, ein Bettler; die Versicherung meines Schiffes war hinfällig geworden, da ich nicht, wie ausbedungen, im Geschwader gesegelt war.
Ich hatte meine schlimme Lage ganz allein mir selber zu verdanken; jetzt mußte ich die Strafe auf mich nehmen, und diese Strafe war schwer. Denn ich blieb sechs Jahre lang in Gefangenschaft. Dann erst gelang es mir, mit drei andern zu entfliehen; in einem schwedischen Schiffe kam ich in England an, ohne Mittel, ja beinahe ohne Kleider, denn die Lumpen, die ich auf dem Leibe trug, hielten weder Wind, noch Regen, noch Sonnenschein ab.
Es blieb mir natürlich kein anderer Ausweg, als mich wieder nach einer Stellung auf einem Schiffe umzuthun; ich versuchte, als zweiter Steuermann anzukommen, das aber gelang mir nicht, da ich zu zerlumpt und jämmerlich aussah; um nicht zu verhungern, mußte ich mich schließlich wieder als Matrose anbieten.
Im Hafen lag ein schönes Schiff; ich ging an Bord und fragte, ob man noch einen Mann vor dem Mast brauche; der Steuermann ging hinunter zum Kapitän, und als der letztere an Deck kam, wen sah ich da vor mir? Meinen ehemaligen Freund Sanders!
Ich hoffte, daß er mich nicht erkennen möchte, das aber war bereits geschehen; mit ausgestreckter Hand trat mir der wackere Mann entgegen. Nie in meinem Leben habe ich mich so geschämt wie in jenem Augenblick. Sanders bemerkte dies und lud mich zu sich in die Kajüte. Hier erzählte ich ihm alles. Er schien ganz vergessen zu haben, wie schlecht ich mich gegen ihn benommen hatte; er behielt mich an Bord und schoß mir Geld vor, damit ich mich wieder anständig einkleiden konnte. Allein, wenn er sich auch meiner Undankbarkeit nicht mehr erinnern wollte, so konnte ich dieselbe doch nicht vergessen, und wiederholt und demütig bat ich ihn um Verzeihung.
So lange dieser gute Mann lebte, erwies er mir nichts als Güte und Freundschaft. Er machte mich zu seinem zweiten Steuermann und wir verkehrten mit einander wie ehemals. Mein Unglück hatte mich still und bescheiden gemacht, ich lernte Gottes Fügungen recht erkennen und wurde und blieb der Mensch, als den Sie, meine Freunde, mich kennen lernten und heute noch vor sich sehen.
Nachdem Kapitän Sanders gestorben war, blieb ich noch einige Zeit auf meinem Posten, dann wurde ich entlassen. Seitdem habe ich auf vielen Schiffen gedient, zumeist als Matrose; überall wurde ich gut behandelt und ich kann wohl sagen, auch geachtet; auch glücklich und zufrieden habe ich mich gefühlt, denn ich hatte einsehen gelernt, daß Geld und Gut mich nur zu Thorheiten verführt und schließlich noch um Ehre und Seligkeit gebracht haben würden.
Jetzt kennst du die Geschichte des alten Sigismund Rüstig, mein lieber Wilhelm, und ich will hoffen, daß sie dir zur Lehre und Warnung gereichen möge. Ich bin ein alter Mann, der nach all den Dingen, die diese Welt den Menschen bieten kann, nichts mehr fragt; mein einziger Wunsch ist, in Frieden zu sterben und mich noch nützlich zu machen, bis es Gott gefällt, mich abzurufen.«
»Nützlich gemacht haben Sie sich wahrlich, das haben wir alle erfahren,« sagte Frau Sebald bewegt; »möge Gott Sie noch recht lange leben lassen und Ihnen ein hohes und glückliches Alter schenken.«
»Wie Gott will, Madam,« antwortete Rüstig, »in der Regel aber werden Seeleute nicht sehr alt. Ich könnte mir kaum etwas Besseres denken, als mein Leben auf dieser kleinen Insel zu beschließen. Sie alle sind darin anderer Meinung, und das ist auch nur natürlich. Ich dagegen bin alt, ein Greis, der vom Leben nichts mehr zu erwarten hat; ich habe weder Angehörige, noch Kinder; alles, was ich noch bedarf, ist Arbeit, um mir die Zeit zu vertreiben, und Gottes Wort, um mich sterben zu lehren. Sie sind jung gegen mich, Sie erwarten noch viel von der Zukunft. Um Ihretwillen hoffe und wünsche ich daher, daß man hier nach uns suchen und uns finden möge, damit Sie wieder in die Welt zurückkehren können, nach der Sie sich sehnen. Ich dagegen verbrächte gern den Rest meiner Tage in dieser Abgeschiedenheit, und in Gedanken weile ich schon oft bei meinem Grabhügel, über dem die Palmenkronen wehen und die Winde vom Ocean dahinfahren. Ich weiß nicht, ob es ein Vorgefühl ist, aber gerade in letzter Zeit habe ich mich sehr oft mit diesem Bilde beschäftigt.«
»Mein bester Freund, solchen Gedanken dürfen Sie nicht nachhängen,« entgegnete Vater Sebald, der dem Alten mit Rührung zuhört hatte; »wir werden, so Gott will, diese Insel bald wieder verlassen und Sie mit uns, denn Sie gehören zu uns und nie wieder dürfen wir uns trennen. Dann geben Sie Ihr seefahrendes Leben auf und sitzen bei uns in der traulichen Ecke am Kamin, oder vor der Thür in der Sonne, wo immer es Ihnen am besten gefällt. Es soll Ihnen die Ruhe und Bequemlichkeit werden, die Sie so reichlich verdient haben, und mein und der Meinigen Bestreben wird es immer sein, Ihr Alter heiter und friedlich zu gestalten. Sollte es anders kommen, so wird es wahrlich meine Schuld nicht sein.«
»Auch nicht die meine, lieber Rüstig,« fügte Frau Sebald hinzu, »ich würde sehr unglücklich sein, wenn ich mich jemals wieder von Ihnen trennen müßte.«
Ich danke Ihnen, Madam, und auch Ihnen, Herr Sebald, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die freundlichen Absichten, die Sie mir altem Manne gegenüber hegen; wir Menschen machen wohl Pläne, über uns aber ist einer, der unsere Geschicke entscheidet, und wie er es fügt, so ist es recht. – Wilhelm, mein guter Junge,« setzte der Alte hinzu, »wir müssen morgen früh mit dem Hahnenschrei von hier aufbrechen, und da wir zuvor noch alle miteinander frühstücken wollen, so meine ich, je eher wir zu Bett gehen, desto besser wird's sein.«
»Dem muß ich beipflichten,« lächelte der Vater; »reiche mir die Bibel herüber, lieber Wilhelm.«