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Vierunddreißigstes Kapitel.

Das Vorratshaus. – Ein Feiertag. – »Tommy, was thust du da?« – Die Größe Gottes in seinen Werken.

 

Rüstigs Voraussage traf ein; am nächsten Morgen war das Wetter gut und blieb auch so während der folgenden Tage.

Juno war noch immer leidend und angegriffen. Die Folgen des Blitzschlages, der sie getroffen, hielten länger an, als man geglaubt hatte, immerhin aber konnte sie schon wieder die Küchenarbeit und andere leichte Dienste verrichten. Die Errettung aus der Todesgefahr, die ihr so furchtbar nahe gewesen, hatte einen tiefen Eindruck in ihrer Seele hinterlassen. Mehr als einmal fand sie Rüstig, wenn er in der Morgenfrühe seinen Rundgang antrat, unweit des Hauses unter einem Kokosbaume knieend und eifrig betend. Der Alte that dann jedesmal, als bemerke er sie gar nicht, zu sich selber aber sagte er: »Unter jener schwarzen Haut steckt mehr Gutes, als unter mancher weißen, und die Gebete der armen Negerin werden dem Allmächtigen sicherlich ebenso angenehm sein, wie die von Königen und Kaisern.«

Vierzehn Tage lang blieb das Wetter ununterbrochen heiter und trocken; während dieser ganzen Zeit arbeiteten Sebald, Rüstig und Willy an dem Bau des Vorratshauses und zwar so angestrengt und eifrig vom Morgen bis in die sinkende Nacht, daß sie am Feierabend stets so gründlich müde waren, daß selbst Wilhelm nicht daran dachte, den Steuermann um die Fortsetzung seiner Erzählung zu bitten.

Endlich war der Bau vollendet, das Haus stand fertig da, mit sturmsicherem Dach, und ebensolchen Wänden, wenigstens auf drei Seiten, denn die vierte war offen geblieben, um der frischen Luft den Zutritt zu gewähren; auch der Teil unterhalb der vier Fuß über dem Erdboden befindlichen rohen Dielung war mit Geflecht von Kokosblättern eingezäunt und gab einen trefflichen Stall für das Vieh ab.

Der Zickzackpfad war ebenfalls ausgehauen, doch hatte man noch keine Zeit gefunden, die Baumstümpfe zu beseitigen. Man räumte die Vorräte ein, die bis jetzt von der andern Seite herbeigeschafft waren, und konnte nunmehr an andere Arbeiten denken.

Zunächst aber wurde der Tag nach der Beendigung des Baues auf allgemeinen Wunsch für einen Feiertag erklärt. Man sehnte sich nach einer Ruhepause, die man auch reichlich verdient hatte.

Wilhelm fing am Abend zuvor noch einige Fische, und da er auch eine Schildkröte harpunierte und dieselbe mit Hilfe der Räder heimbrachte, so war man auch um ein würdiges Festessen nicht verlegen.

Am Morgen des feierlichen Tages unternahmen die Eltern mit sämtlichen Kindern einen Spaziergang längs des Strandes, während Rüstig der Negerin beim Zurichten der Schildkröte zur Hand ging. Man zeigte der Mutter das Vorratshaus und benutzte zugleich die Gelegenheit, die Ziege mit den vier Zicklein nach der neuen Stallung zu bringen. Da das Wetter so lieblich und verlockend war, dehnte man den Spaziergang noch weiter aus und besichtigte den Garten auf der Landzunge. Hier wunderte man sich darüber, daß die Saat noch nicht aufgegangen war, trotzdem es doch nicht an Regen gefehlt hatte.

»Ich glaubte wirklich, daß die große Feuchtigkeit die Keime bereits hervorgelockt haben würde,« sagte die Mutter.

»Dazu hat es bisher an der Sonnenwärme gefehlt,« erwiderte der Vater, »die aber wird erst genügend vorhanden sein, wenn die Regenzeit vorüber ist.«

»Laß uns hier ein wenig niedersitzen, der Boden ist ganz trocken,« schlug Frau Sebald vor.

Nachdem man Platz genommen hatte, ergriff sie die Hand ihres Gatten und fuhr fort: »Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß man auf solch einer einsamen Insel so glücklich sein könnte. Und wie schnell die Zeit vergeht! Anfangs fürchtete ich, den Mangel an Büchern schwer zu empfinden, allein bis jetzt war noch gar nicht einmal Zeit zum Lesen vorhanden.«

»Eine nützliche Beschäftigung ist stets eine Quelle des Glücks,« antwortete der Vater. »Fleißige Leute sind immer zufrieden und fröhlich, vorausgesetzt, daß ihre Arbeit keine gar zu harte ist, und selbst jemand, der Grund hat, sich unglücklich zu fühlen, erlangt Vergessenheit durch ernsthafte Thätigkeit. Ich bin überzeugt, daß ein müßiger Mensch niemals wahrhaft glücklich sein kann, und daß zuviel Arbeit immer noch besser ist, als Nichtsthun.«

»Du brauchst aber nicht zu glauben, Mama, daß wir fortwährend so viel zu thun haben werden, als jetzt,« bemerkte Wilhelm.

»Freilich nicht,« bestätigte der Vater, »und dann werden unsere Bücher uns noch viel Freude und Erholung gewähren. Ich kann es kaum erwarten, bis ich hinüber auf die andere Seite komme und dort Nachsehen kann, was von den Büchern eigentlich gerettet ist und ob dieselben durch das Wasser sehr gelitten haben; das aber wird vor dem Ende der Regenzeit nicht möglich sein.«

Die Mutter hatte schon eine Zeitlang den kleinen Tommy beobachtet, der sich in einiger Entfernung im Grase zu schaffen machte.

»Tommy, was thust du da?« fragte sie jetzt.

»Ich mache kleine Käfer tot,« antwortete der Junge; »da liegen schon eine ganze Menge.«

»Warum machst du die armen Tierchen tot, sie thun dir doch nichts.«

»Ich kann Käfer nicht leiden.«

»Das ist kein Grund, Tommy; du darfst doch nimmermehr alles umbringen, was du nicht leiden magst. Wenn sie dich beißen oder stechen, dann darfst du sie töten, allein Tiere umzubringen, die einem nichts zu Leide thun, ist eine Grausamkeit. Wer hat diese Käfer erschaffen? Wer hat überhaupt alles erschaffen?«

»Der liebe Gott,« antwortete Tommy nach kurzem Besinnen.

»Ganz richtig, der liebe Gott hat sie erschaffen, damit sie sich ihres kurzen Lebens freuen sollen; er hat alle Tiere erschaffen und sie dem Menschen gegeben, damit der sie zu seinem Nutzen verwende, aber grausam und ohne Not umbringen dürfen wir sie nicht. Hast du das verstanden, Tommy?«

»Juno macht auch die Fliegen tot,« entgegnete der Junge.

»Das ist zuweilen nötig, aber sie tötet die Fliegen nicht, weil sie nichts anderes zu thun hat. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe, Tommy. Es ist doch etwas Wunderbares um die kleinen Gottesgeschöpfe,« wendete Frau Sebald sich an den neben ihr sitzenden ältesten Sohn; »sieh nur dieses winzige Insekt an, das hier auf meinem Finger kriecht, seine Füßchen sind kaum zu zählen.«

Wilhelm betrachtete das Tierchen.

»Ähnliche Insekten habe ich schon in Büchern abgebildet gesehen,« erwiderte er; »wie schnell es sich bei seiner Kleinheit fortbewegen kann; es ist wirklich wunderbar.«

»Ja, Wilhelm,« nahm der Vater das Wort, »sobald wir auch nur die kleinste Einzelheit der Schöpfung genauer betrachten, dann ergreift uns Staunen und Bewunderung; wohin wir auch blicken mögen, überall finden wir Stoff zum Nachdenken. Durch nichts wird uns die weise Güte des Allmächtigen mehr vor die Augen geführt, als durch die Sorgfalt, mit der er auch die unbedeutendsten Geschöpfe für ihren Lebensberuf ausgerüstet hat. Dieses kleine Tierchen ist eins von den vielen Millionen seinesgleichen, denen eine bestimmte Lebensdauer zugemessen ist, während welcher sie einen bestimmten Zweck zu erfüllen haben. Es ist ein Insekt der kleinsten Art, ein Nichts in der unermeßlichen Schöpfung, und dennoch ist jeder der fast unsichtbaren Teile seines winzigen Körperchens genau so künstlich mit Muskeln und Sehnen, mit harten und weichen Teilen ausgerüstet, wie die Gliedmaßen unseres eigenen Leibes. So wollte es der Schöpfer, gegenüber dessen Größe wir uns so klein fühlen müssen, als wären wir selber nur Insekten.

Noch auf eins möchte ich dich aufmerksam machen, mein Sohn, was uns die Unendlichkeit seiner schöpferischen Kraft auf das deutlichste erkennen läßt. Unter all den Millionen von Menschen, die bis jetzt gelebt haben, hat es nie zwei gegeben, deren Gesichter oder Leiber einander völlig gleich gewesen wären; und wenn es dir möglich wäre, die Blätter der Bäume aller Wälder der Erde zu betrachten und zu vergleichen, du würdest keine zwei Blätter von genau derselben Größe und Gestalt finden.«

»Das glaube ich, Vater,« antwortete der Knabe, »ich habe auch oft schon solche Versuche gemacht. Es giebt aber Tiere, die einander so ähnlich sind, daß man sie nicht unterscheiden kann – Schafe zum Beispiel.«

»Meinst du? Du allerdings kannst sie nicht unterscheiden, frage aber einmal einen Schäfer, der Hunderte von Schafen unter seiner Obhut hat, er wird dir bald beweisen, daß er jedes einzelne genau kennt; es muß also doch eine Verschiedenheit vorhanden sein, wenn dieselbe auch nicht gleich jedem in die Augen fällt. Ebenso verhält es sich mit allen andern Geschöpfen.

Und weiter, lieber Wilhelm; welche menschliche Kunst kann die Vollkommenheit erreichen, die sich in Form und Bau selbst des kleinsten Dinges zeigt, das aus der Hand des Schöpfers hervorging? Sieh dir diese kleinen Blumen an, achte auf die Schönheit ihrer Farben und ihrer Gestalt; sieh, in welchem Überfluß sie hier überall den Boden bedecken, und doch wie vollkommen ist jede einzelne!«

Jetzt kam Rüstig herbei und setzte sich zu der Gesellschaft. Auch er lauschte aufmerksam den Belehrungen Vater Sebalds und flocht ab und zu ein verständiges Wort über seine eigenen Ansichten und Erfahrungen ein.

So redeten sie noch lange miteinander und wurden weiser und besser durch die Betrachtung der Größe Gottes in seinen Werken.


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