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Solche Errungenschaften: auf dem Theater, im Orchester, in der Stimmbildung würden manchen vielseitigen Geist befriedigen. Wagner genügen sie nicht, und die Seinen verachten sie, denn was er statt dieser Spezialia erstrebte, war ja: eine neue Art Drama, eine neue allgemeine Kunst, eine neue Kultur, ja wahrhaft eine »neue Menschheit«. Jetzt, zwei Menschenalter nach den entscheidenden Schriften müßten sich Anzeichen wohl erspähen lassen, Wirkungen eines Geistes, der sich stets als neunzehntes Jahrhundert, stets als Bringer eines nahen Heiles gegeben. Fehlen solche Zeichen, so muß das gegen sein Werk oder es muß gegen seine Lehre sprechen. Aber schon zehn Jahre nach Wagners Tode klagte sein Apostel Chamberlain: die deutschen Dichter hätten sich nie für Bayreuth aufgeopfert, und die Bühnendichter »stehen der Bayreuther Bewegung fremd, häufig sogar feindlich gegenüber.« Und um dieselbe Zeit bedauerte Frau Wagner in einem Briefe, »daß eine solche Kunst so wenig gestaltendes Leben im Herzen des Volkes gewonnen hat«.
Wagner forderte die Emanzipation des Musikers vom Librettisten, und daß die Dichter für die Musiker oder diese für sich selbst Dramen schreiben sollten. Ist dies in sechzig Jahren geschehen? Ohne Antwort ist der Ruf verhallt. Die Opern, die seitdem in Europa entstanden, sind entweder, wie in alter Zeit, von Textschreibern verfaßt, oder sie sind nach fertigen, ganz unabhängig entstandenen Dichtungen komponiert worden. Seltene Ausnahmen, wenn nämlich der Musiker selbst seine Dichtung zu verfassen suchte, oder statt eines Librettisten ein wirklicher Dichter die Dichtung für Musik geschrieben. Ob Wagner die Gefolgschaft gewisser neuster melodramatischer Versuche annehmen wollte, scheint problematisch.
Im übrigen stellt das Wiedererwachen der »Kunstsymphonie« (von Brahms und Bruckner ab), stellt die Renaissance der Kammermusiken, stellten der Deutsche Bach-Verein, der Gluck-Verein andere Reaktionen gegen Wagner dar.
Das Drama der Zukunft, das Wagner prophezeit und für das er selbst im Ringe mindestens ein Beispiel geben wollte: jene Darstellung eines Volksmythos durch Zusammenwirken der Künste, ist in sechzig Jahren nicht einmal versucht worden Bungerts unpopuläre Odyssee wäre auszunehmen.. In ganz Europa ist die Entwicklung des Dramas vielmehr den umgekehrten Weg gegangen, eben jene sechzig Jahre sind erfüllt vom sogenannten naturalistischen Drama: dem deutlichsten Gegenpol sowohl des »Gesamtkunstwerkes« als der mythischen Dichtung. Statt den Mythos festlich zu vertonen, wurde die Gegenwart und ihr Alltag in möglichst kühler Sprache dargestellt: Ibsen, Tolstoi, Strindberg, die deutschen Nachfolger; von einer anderen Seite: Anzengruber.
Was sich dann als sogenannte neue Romantik im Drama der Wagnerischen Welt anzuähneln scheint oder trachtet, entspricht ihr nur durch äußerliche Symptome. Einige Epigonen folgen seiner Schwüle ohne seine Kraft, andere Künstler überragen diesen Theatraliker durch dramatische Elemente. Im ganzen wird, jenseits von allen Schulen, ein Wille zu dramatischer Selbstzucht deutlich, die Wagner immer fremd blieb. Wollte man einen Stammvater nennen, so wäre es Wagners Antipode: Hebbel. Dazu dringt das letzte große Werk mythischer Art, Hebbels Nibelungen, allenthalben tiefer vor, und ist doch durch Auffassung und Stil die schärfste Waffe gegen Wagners Nibelungen Diese, fünfzehn Jahre später beendet, wurden auch als Dichtung nach Hebbel veröffentlicht.. Das jüngste Drama, das ethisch und monoman, karg und monologisch sein will, flieht Wagners Schwüle und Ausschweifung.
Auch die speziellen Wagner-Forderungen finden keine Schüler. Wagner nannte die Jamben schlechthin (nicht bloß als Unterlagen für Musik) »fünffüßige Ungeheuer, beleidigend für das Gefühl,« die zur »vollständigen Marter werden, weil ihr klappernder Trott dem Hörer endlich Sinn und Verstand raubt« (vgl. Iphigenie, Tasso). Der Stabreim, den er statt dessen proklamierte, ist in sechzig Jahren höchstens von Dichtern vom Range Jordans übernommen worden. Ferner zeigen Wagners Einfluß die Ebers, Baumbach, Julius Wolff und andere Butzenscheiben-Dichter. Darüber hinaus sind die Einflüsse höchstens bei Nichtdeutschen zu finden, was wiederum für die Deutschheit des Werkes kennzeichnend ist: Baudelaire, Wilde, d'Annunzio. –
Weit über die Grenzen des Dramas ist den Jüngeren die Wagnerische Kunst- und Weltbetrachtung fremd geworden. »Durch Kunst vom Leben erlöst werden«: dies Stichwort klingt in ihre Ohren nicht mehr. Sie wollen durchaus nicht vom Leben erlöst, sie wollen vom Leben getragen werden. Die »tragische« Weltansicht, die Wagner auf der ganzen Linie seiner Werke vorspielt und deren Mangel an Notwendigkeit dargelegt wurde; deren Erhaltung der junge Nietzsche die letzte Hoffnung und Gewähr für die Zukunft nannte: sie ist den Jüngeren, ist den Entzauberten so fremd geworden, wie sie dem reiferen Nietzsche wurde. Nicht weil Nietzsche Wagner verdrängte, sondern weil er so tief war, diese Gegenwart und manche Zukünfte vorweg zu nehmen.
Anmut und Heiterkeit, die Wagner am fremdesten blieben, etwas von dem, was im Gesang der Rheintöchter tönte, ein Leben ohne verminderten Septimenakkord, eine hellere Welt wird unser, fremd dem Krampfe, der Brunst entrückt. Uns ist das klarste Sternbild wieder aufgegangen: