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Sei Märtyrer oder Sieger! Beides hat seine Wollust. Wagner spielte den Märtyrer und suchte doch immer zu siegen. Seine Propaganda ist musterhaft. »Daß der Welt nicht zu helfen ist in ihrer stupiden Blindheit, – dieser Welt, der jedesmal erst die Augen aufgehen, wenn ihr Schatz verloren ist, – das weiß ich, glauben Sie mir!«
Dreiundzwanzigjährig beendet er die erste Oper. Der Regisseur ist gegen das Stück. Sogleich fängt Wagner an zu propagieren und schildert in einem Briefe dem mächtigen Manne sehr beredt alle Vorzüge des Stückes und die Leichtigkeit der Aufführung. Dreißigjährig, im ersten vollen Ruhm, geht er sogleich öffentlich gegen eine abfällige Kritik vor, Einspruch erhebend gegen »geflissentliche Verdächtigungen künstlerischer Absichten und den Ton absprechender Geringschätzung«. Im nächsten Jahre gibt er zum ersten Male seine Werke auf eigene Kosten heraus.
Achtundzwanzigjährig in Paris schreibt er, des Geldes wegen, Novellen, die übrigens entzückend sind. Daß er diese benutzt, um seine Ideen zu propagieren, ist verständlich. Wie aber, wenn er den Künstler, den er am tiefsten geliebt, wenn er Beethoven, redend eingeführt, zum Wagnerianer machte? – »Wenn ich eine Oper machen wollte,« läßt er Beethoven aus seinem Grabe heraus verkünden, »die nach meinem Sinne wäre, würden die Leute davonlaufen. Denn da würde nichts von allem, Duette, Terzette und all dem Zeug, zu finden sein.« Schon bei der durchschimmernden Gleichwertung des jungen Wagner mit dem alten Beethoven stutzt man. Dann fragt man sich: ist Fidelio so geschrieben? Oder, wenn anders Fidelio ein Kompromiß war: welche Aufzeichnungen oder Werke Beethovens lassen auf die Möglichkeit eines solchen musikalischen Dramas im Wagner-Sinne schließen? Aber da liegt ja der Schlüssel: Beethoven, in der Novelle, hat eben die Neunte vollendet. Sie bildet nach Wagners Theorien den Fingerzeig Beethovens: daß Wagner auf dem rechten Wege sei.
Nie wird Wagner müde zu deuten, zu erklären. Kaum hat er das große Buch über Oper und Drama beendet, darin er alle seine Intentionen systematisch dargestellt, so schickt er ein hundert Seiten langes Buch nach, um seine Freunde über einen »etwaigen Widerspruch« aufzuklären, der zwischen seinen früheren Werken und diesen Theorien klaffen könnte. Dann folgen andere Broschüren über sich selbst: »Epilogischer Bericht über die Umstände und Schicksale der Nibelungendichtung vor der Veröffentlichung.« »Bericht über die Aufführung des Tannhäuser in Paris.« Oder die »Anleitung zur Aufführung des Tannhäuser«, die er drucken läßt und »in hinreichenden Exemplaren an die Theater versendet, die die Partitur bezogen hatten. »Dir (Liszt) übersende ich hiermit ein halbes Dutzend Exemplare.« Vor seinen Wagner-Konzerten in Zürich liest er die Dichtung der drei ersten Opern in großem Saale gratis öffentlich vor und läßt dann Programmbücher und Erklärungen folgen, eine damals neue Erfindung.
Die Presse, die er so sehr verachtet, weiß er an den wenigen Punkten, wo sie ihm zugänglich, geschickt zu benutzen. Uhlig, Musikschriftsteller und Apostel, fordert er nach dessen glänzender Kritik des Lohengrin auf, doch einen zweiten, nochmaligen Aufsatz zu schreiben, »namentlich über das thematische Formgewebe«.
An Liszt: »Ich fühle mich für mein Streben ,… mehr als vollständig belohnt, da ich sehe, welchen Eindruck ich dadurch auf dich gemacht habe. So ganz verstanden zu werden, war meine einzige Sehnsucht; und verstanden worden zu sein, ist die seligste Befriedigung meiner Sehnsucht.« Im weiteren Verlauf dieses Briefes empört er sich über Dingelstedts Kritik in der Allgemeinen Zeitung und bittet Liszt, der wundervoll über ihn geschrieben, »eine nochmalige, geeignetere Besprechung meines Lohengrin in der Allgemeinen Zeitung zu veranlassen, – denn, wie gesagt, es ist die verbreitetste Zeitung«.
Verdächtig wirkt seine Sucht, Widersprüche vorwegzunehmen und sich ohne Anlaß zu entschuldigen. Er habe, schreibt er in einer Broschüre, zwar den Lohengrin- und den Tannhäuser-Stoff zusammen kennen gelernt, man sollte aber ja nicht meinen, es wäre »haushälterische Sparsamkeit gewesen, den gesammelten Vorrat nicht umkommen zu lassen«.
Oder: Wagner kennt sehr wohl die Reihe von Konzessionen, die mit der Veröffentlichung der Ringdichtung endet. Immer hatte er es ausgesprochen: die echte Wirkung sei nicht in der Dichtung allein, sondern in Verbindung mit der Musik; nicht in dieser allein, sondern in der Aufführung auf dem Theater; nicht in diesem allein, sondern im Rahmen eines Festspielhauses möglich. Nun veröffentlicht er das Ruch ohne Musik, ohne Aufführung, ohne Festspielhaus und bekennt in der Vorrede, »durch Geduld und Erwartung endlich ermüdet zu sein. Ich hoffe nicht mehr, die Aufführung meines Bühnenfestspiels zu erleben; darf ich doch kaum hoffen, Muße und Lust zur Vollendung der musikalischen Komposition zu finden.« Aber das ganze Vorwort und viele Dokumente erweisen, daß er nicht nur gehofft und geglaubt, sondern unablässig Schritte zur Verwirklichung seines Planes getan und daß er eben zum Zwecke der Propaganda seine Dichtung herausgegeben hat.
Das ist berechtigt. Aber warum die tragische Maske, wenn man ein Propagandist von erstem Range ist? Warum die Klage über Entgötterung, da doch Merkur noch lächelt?