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Nur der aus der Nacht ins Heilige strebt, kann zum Häretiker werden. Der Heitere genießt ohne Hemmung die Welt, seine Seele trübt kein eigener Vorwurf. Nur der göttliche Künstler kann weltlich sein, leicht nimmt er die Wünsche der Welt entgegen und schafft auf ihre Bestellung das reinste Werk. Sie sucht ihn, er sucht nicht sie: sie trügt ihn nicht, er mag genießen. Den anderen aber, die nach Erlösung ringen, den Wagner-Naturen ist die Welt das böse Prinzip. Immer zieht sie der Krampf des Herzens hinein, immer mahnt sie ein dunkles Gewissen heraus.
Als Künstler erlag Wagner diesem Konflikt um so eher, als er überwiegend Reformator war. In der Jugend, vor dem dreißigsten Jahre, sah er ihn deutlicher als später; er spürte den Dämon, den er doch verachten mußte. Damals schreibt er aus Paris mit wahrer Leidenschaft: »Warum verlassen die mit dem Feuer göttlicher Eingebung begnadigten Sterblichen ihr Heiligtum und rennen atemlos durch die kotigen Straßen der Hauptstadt, suchen eifrigst gelangweilte, stumpfe Menschen, um ihnen mit Gewalt ein unsägliches Glück aufzuopfern? Welche Kunstgriffe und Anschläge müssen sie einen guten Teil ihres Lebens in das Werk setzen, um der Menge das zu Gehör zu bringen, was sie nie verstehen kann!« Hört man den Rhythmus seines eigenen Lebens?
Dann verneint er lebhaft und mit großem Rechte die Phrase von der »inneren Pflicht des Genius« dem Menschen zu dienen, nennt es vielmehr sehr schön, ein »dämonisches Geheimnis: er, der Selige, der Überglückliche, Überreiche – geht betteln. Er bettelt um eure Gunst, ihr Gelangweilten!«
Warum? Antwort: »Er fühlt sich frei und will nun auch im Leben frei sein: er will mit seiner Not nichts gemein haben; er will getragen sein, leicht und jeder Sorge ledig! Dies darf ihm gelingen, wenn sein Genie allgemein anerkannt ist ,… Muß er auf diese Weise ehrgeizig erscheinen, so ist er es doch nicht. Denn an der Ehre liegt ihm nichts, wohl aber an ihrem Genusse, der Freiheit.«
Darin aber schließt er so: »… Die Welt läßt ihm keinen anderen Ausweg, um ihm zur Freiheit zu verhelfen: diese ,… sieht nun nach nicht viel anderem, als einfach nach Geld aus. Sie soll ihm die Anerkennung seines Genies erwerben, und darauf ist das ganze Spiel angelegt. Nun träumt er: Gott! wenn ich der oder jener wäre! Zum Beispiel Meyerbeer!« Und schließt daran eine erschreckend deutliche Schilderung des großen Rennens nach dem Erfolge.
Als er in diesen jungen Jahren in der Großen Oper saß, ließ der äußere Reichtum »oft eine wollüstig schmeichlerische Wärme in ihm aufsteigen, die sich zu dem Wunsche, der Hoffnung, ja der Gewißheit erhitzte, hier triumphieren zu können.« Und als er achtundzwanzigjährig den Holländer dichtet, schreibt er auf das Titelblatt: »In Nacht und Elend. Per aspera ad astra. Gott gebe es! R. W.«
Das ist ehrliche Jugend. Später wird alles »vertieft«. Dann heißt es, in der Instrumentierung seiner späteren Zeit, immer nur: »die Welt, der er sich opfert,« – und ist doch die nämliche, der zu opfern eine »innere Pflicht« nach seinem Worte grade nicht besteht! Nie stieg in Wagner das Grundgefühl des Künstlers auf: Das, was in mir zum Leben will, werfe ich aus mir heraus – und lasse es liegen! Wagner hat nie etwas liegen lassen.
In guter Stunde, selten, steigt jene Mahnung aus ihm auf, auch später, als er in Paris zwei Jahre sitzt, um den Tannhäuser durchzubringen. Da sehnt er sich plötzlich eines Tages nach dem Siegfried, den er verlassen: »Ganz bin ich nur, was ich bin, wenn ich schaffe! Die eigentliche Aufführung meiner Werke gehört einer geläuterten Zeit an, einer Zeit (setzt der Schauspieler hinzu), wie ich sie erst durch meine Leiden vorbereiten muß.« Oder, mitten im Wirbel: »Ruhe! Ruhe! Daß das innere Licht ganz und hell leuchten kann, das unter dem Hauche dieses notreichen Lebens so wild flackert und bald verlöschen muß.«
So schrieb er an Mathilde. Ist er je dieser eigenen Mahnung gefolgt? Die Geschichte seines Lebens sagt nein. Wagner hat nie eine Gelegenheit zur Wirkung vorübergehen lassen, etwa um eines neuen Werkes willen, das er in sich trug. Diesen habgierigen Krampf nach Welt, diese Sucht nach Wirkung, wie wir sie beobachteten: als Künstler führt er die durch seine Werke, von den Anlässen der Entstehung an bis zu den Feinheiten ihrer Instrumentation. Dies alles gibt das genaue Korrelat zu seiner Lebensführung, die mit den Werken so wechselreich ineinander wirkt, daß man nicht festlegen könnte: hat die Sucht nach Wirkung den Werken geschadet oder war dies eben nur seine eingeborene persönlichste Kunst: Krampf und Exaltationen zu schildern?
Das Beste, was in dieser Rücksicht gesagt werden kann, hat ihm Mathilde einmal geschrieben, damals, als ihre Wirkung in Wagner zu verblassen begann. Man suche sämtliche Briefe an Wagner durch, soweit sie veröffentlicht wurden, man wird nicht wieder einen finden, der mit soviel Mut und Geist dem Genius zu trotzen wußte: »gradezu unbegreiflich ist mir, wie man den Erfolg schlechthin, das heißt den Beifall zugleich verachten und doch suchen kann. Nur der Weise, deucht mich, der von der Welt nichts will, darf sie verachten. Der andere, der sie braucht, wird durch die bloße Berührung mit ihr schon Mitschuldiger und kann nicht mehr ihr Richter sein. Sie sind Wissender und Mitschuldiger im höchsten Grade. Jede neue Täuschung ergreifen Sie mit Hast, scheinbar die Unbefriedigung vergangener Täuschungen im Busen auszuwischen, und keiner weiß so gut wie Sie, daß es nie sein kann, sein wird. Freund, wo soll das enden? Sind fünfzig Jahre nicht Erfahrung genug, und sollte da nicht endlich der Moment eintreten, wo Sie ganz mit sich im reinen wären?«