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»Jede reife Kunst hat eine Fülle
Konvention zur Grundlage, insofern
sie Sprache ist.«
Nietzsche
In allen Teilen der Kunstgeschichte wirken die Meister des Überlebensgroßen verdächtig. Im großen Format scheinen sie künstlerische Größe zu erblicken: der Fall Bernini, der Fall Antoine Wiertz (der, auch sonst ihm ähnlich, schon vor Wagner im Atelier Kammermusiken veranstaltete, um die Wirkung seiner Bilder zu erhöhen). Auch Wagner malte immer auf riesige Wände, und doch hat ihn Nietzsche bedeutsam den großen Miniaturisten genannt. (Wiederum der Fall Wiertz.)
Es gibt kleine Dinge bei Wagner, dem Dichter unbekannte Verse, die reiner sind und reicher als ein Band Nibelungendichtung. Meistens sind sie gereimt, gerichtet an Freunde. In den Grundstein von Bayreuth legte er folgende, vollendet schöne Strophe:
»Hier schließ' ich ein Geheimnis ein,
Da ruh' es viele hundert Jahr:
Solange es verwahrt der Stein,
Macht es der Welt sich offenbar.«
Aber seine Gestalten, meist Götter und Helden, diese Urmenschen müßten unendlich einfach, karg, elementarisch reden, stählern, wenn sie kämpfen, hölzern, wenn sie gütig sind, mit kurzen Rufen, wenn sie sich lieben. Statt dessen sprechen sie bombastisch, schwierig, stabgereimt.
Da Wagner nirgends leichter verwundbar ist als in seinen Versen, müßte sie der Nachgeborene schweigend übergehen, hätte er nicht auch hier Grundlegendes prätendiert und würde von den Aposteln als Sprachkünstler ersten Ranges gefeiert. Freilich darf man nicht Wagners Beispiel, die Sprache andrer zu rezensieren, befolgen Vgl. Wagners Kritik über Eduard Devrients Buch..
Was ihm liegt, sind Balladen: Erzählungen eines dramatischen Vorganges, also das Typisch- Undramatische. Denn auch als Dichter ist er Rhapsode. Jene Erzählungen, die sich vom Holländer bis zum Parsifal in jedem Werke mehrfach finden, sind Beispiele für diese Gabe. Schön ist Sentas Ballade, schöner Siegfrieds:
»Wild im Wald wuchs ein Baum,
Den hab' ich im Forste gefällt ,…«
Und weiter, zum Schwert:
»Einst färbte Blut dein falbes Blau ,…
Kalt lachtest du da.
Das Warme lecktest du kühl!«
Als Sprachkünstler, es ist klar, ist er erfinderisch im Ausdruck des Geschlechtlichen. Tannhäuser singt vor den Damen ohne Umschweif von der »weichen Formung, die sich an euch schmiegt«. Später bevorzugt Wagner bei fortschreitender »Vertiefung« Wonne, Heil, selig, oder er jongliert mit dem wollüstigen L und W, zum Beispiel:
»In mildem Lichte leuchtet der Lenz,
Auf lauen Lüften, lind und lieblich,
Wunder webend er sich wiegt.«
oder er malt die Schwüle mit S und H:
»In heißem Sehnen sah ich dich schon ,…
Heiligster Minne höchste Not,
Sehnender Liebe sehrende Not ,…«
und ähnlich an hundert Stellen, vor allem am Schlusse des »Siegfried«:
»Mir schwebt und schwankt und schwillt es umher,
Seliges Sehnen zehrt meine Sinne ,…«
In seinen ersten Opern finden sich zuweilen glückliche Dialogstellen, etwa die vier vollkommenen Zeilen:
»Wenn ich im Kampfe für dich siege,
Willst du, daß ich dein Gatte sei?«
– »Wie ich zu deinen Füßen liege,
Geb ich dir Leib und Seele frei!«
Sehr schöne Versuche, die Jamben für die Musik aufzulösen, stehen ebenfalls im Lohengrin: »Elsa, die Jungfrau und Gottfried, den Knaben« oder etwa, mitten im Flusse der fünffüßigen Jamben: »Lustwandelnd führte Elsa den Knaben einst zum Wald.«
Solche Stellen verschwinden unter dem Drucke fürchterlicher Verse von beiden Seiten. Wenn etwa der Landgraf vorträgt:
»Gar viel und schön ward hier in dieser Halle
Von euch, ihr lieben Sänger, schon gesungen«
bis zu dem unvergeßlichen Schluß:
»Die Aufgab' ist gestellt, kämpft um den Preis!«
Tannhäuser äußert:
»Gewißlich hast du nicht gemeint,
Was mir genießenswert erscheint.«
Wolfram schachtelt seine Ansicht in folgende Relativsätze:
»Da blick' ich auf zu einem nur der Sterne,
Der an dem Himmel, der mich blendet, steht.«
Dann freilich wird nahe um die pikantesten Dinge herumgesprochen, bis es denn Tannhäuser recht geschieht, wenn er unverblümt hören muß:
»Willst du Erquickung aus dem Bronnen haben,
Mußt du dein Herz, nicht deinen Gaumen laben!«
Elsa sendet folgenden Stammbuchvers in die Lüfte:
»Zu trocknen meine Zähren
Hab' ich euch oft gemüht;
Wollt Kühlung nun gewähren
Der Wang', in Lieb' erglüht.«
Wie offenbart sich dieser Dichter dort, wo er nicht für Musik, wo er als reiner Lyriker dichtet? An den König:
»Was du mir bist, kann staunend ich nur fassen,
Wenn sich mir zeigt, was ohne dich ich war.
Mir schien kein Stern, den ich nicht sah erblassen,
Kein letztes Hoffen, dessen ich nicht bar.«
Erst im Angesichte solcher Jamben billigt auch der erbittertste Feind des Stabreimes, daß Wagner sich mit seiner späteren Theorie und Praxis zum Stabreim gewandt hat. Nur der Stabreim, heißt es, sei würdig für Götter und Helden.
Von nun an wollte Wagner jedes Wort »heldisch« machen: das Korrelat zum »Rein-Menschlichen«. Die hundert Narrheiten (vom schlecken Geschlüpfer, vom garstig glatten glitschrigen Glimmer, vom jüngenden Obst und weihlich im Wag), die früh und billig Verspotteten sind an sich ohne Bedeutung. Auch ist es nur ein einfacher ästhetischer Irrtum, Naturlaute (Wagala weia, hojotoho usw.) nachzuahmen, statt umzudichten. Peinlicher sind schon die Worte der Schopenhauer-Schülerin Brünnhilde:
»Zu Wotans Willen sprichst du,
Sagtest du mir, was du willst:
Wer bin ich, wär ich dein Wille nicht?«
und des Gottes Antwort.
Auch ist der Verdacht nicht immer abzuweisen, daß nicht der Gedanke die Alliteration, daß der Wunsch nach ihr den Gedanken hervorgebracht hat. Man lese ruhig die berühmte Stelle aus der Walküre:
»Aus seliger Vögel Sange süß er tönt,
Holdeste Düfte haucht er aus,
Seinem warmen Blute
Entblühen wonnige Blumen.«
Von Göttern und Helden gibt diese Sprache nur selten eine Illusion. Wie Wotan den Hunding mit seinem Blicke tötet: »Geh! Geh!!«: das ist Götterart und erinnert an Schillers Zeus: »Vernichte sie wieder!« Hier stehen statt eines Stabreimes zwei Worte und jene schlichte Geste, die überall mangelt. Sonst heißt es etwa im Rheingold: »Den seligen Göttern, wie geht's?« Oder: »Erda, die weihlich weiseste Wala riet mir ab von dem Ring.« Oder Fafner ruft Offenbachisch:
»Ruhig, Donner! Rolle, wo's taugt!
Hier nützt dein Rasseln dir nichts!«
Wo Wagner in den späteren Werken ein Stück Dichtung gelingt, ist sie fast immer vom Stabreim frei. Etwa die schönen Zeilen, die Wotan und Siegfried vor ihrem Zweikampfe wechseln, mit dem gelassenen Schluß: »Zieh hin! Ich kann dich nicht halten.« Oder die wundervoll gedichteten Worte der Brünnhilde beim Erwachen:
»Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht!
Heil dir, leuchtender Tag!
Lang war mein Schlaf, ich bin erwacht:
Wer ist der Held, der mich erweckt?«
und die ebenso schöne Antwort:
»Durch das Feuer drang ich, das den Fels umbrann,
Ich erbrach dir den Helm.
Siegfried bin ich, der dich erweckt.«
und nochmals:
»Heil euch, Götter! Heil dir, Welt!
Heil dir, prangende Erde!
Zu End' ist nun mein Schlaf,
Erwacht seh ich:
Siegfried ist es, der mich erweckt!«
An dieser Stelle, die Wagner dichterisch nie übertroffen, gibt es kaum einen Stabreim und gar kein Gebärden-Rhythmenspiel. Wir wissen nicht, wie die Götter sprechen. Aber hier fühlen wir einmal: so sprechen sie.