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»Und hält uns Mozart noch behext,
sein Reich soll bald verschwinden!
Wir
denken mit der Quint und Sext,
bei ihm war's bloß
Empfinden!«
Grillparzer
Nie ist zugunsten eines Künstlers in der Geschichte mehr geschrieben worden, als für Wagner. Eine relativ kurze Opposition hat eine lange Verherrlichung geweckt, zumal da Wagner selbst hierfür alle Bahnen geebnet, alle Stichworte geprägt, da er für seinen Weltruhm im voraus das Regiebuch entworfen hat. Zu wiederholen, was die Zustimmung auch aller Gegner findet, besteht hier keine Nötigung.
Daß Wagners höchste Leistung ins Orchester drang, kennzeichnet einen Künstler, der sich immer vielstimmig darstellen mußte. Wagner als Musiker etwa das Widerspiel eines Liederkomponisten, fühlte sich von seinem ekstatischen Naturell getrieben, die Vielstimmigkeit des Orchesters zu vermehren und Zusammenklänge von höchstem Raffinement, von ganz neuer Wirkung zu erzeugen. Dort, im mystischen Abgrund, war er wirklich Genie. Darum ist alles bedeutend, was er darüber auch theoretisch gibt. Nennt er einmal die Musik »die redende Pause«, man könnte sein Orchester so nennen. Spricht er von dem besonderen Vermögen des Orchesters, die dramatische Gebärde auszudrücken, so ist dies im Rahmen des »Wort-Ton-Dramas«, aber nur hier und nur unter allen seinen Bedingungen bedeutsam.
Sehr schön vergleicht er das Orchester dem tragischen Chor, der stets gegenwärtig wäre, die Motive der vor seinen Augen sich abspielenden Handlungen ergründen wollte und sich daraus ein Urteil bilden. Aber das Orchester wird nicht reflektieren wie der Chor, sondern »als verkörperte Harmonie einen bestimmten Ausdruck der Melodie einzig ermöglichen, andererseits die Melodie stets im nötigen ununterbrochenen Flusse erhalten und so die Motive stets mit überzeugtester Eindringlichkeit dem Gefühle mitteilen«.
Aber aus allen Gründen, die früher angedeutet wurden, konnte dieses Orchester nicht im Zusammenklang mit der Menschenstimme, nur in den Vor- und Zwischenspielen seine stärksten Wirkungen erreichen.
Nichts ist unweiser, als Wagner Mangel an Melodik vorzuwerfen. Aber während wirklich seine melodische Kraft vom Tannhäuser zum Parsifal sukzessive abnimmt, nimmt seine unmelodische Theorie erstaunlich zu, nur nicht zugunsten des Dramatischen, dem sie gelten soll. Wenn er meint, durch ihre Unendlichkeit würde »die Melodie einem Reichtum und einer Unerschöpflichkeit zugeführt, von denen man sich ohne dies Verfahren gar keine Vorstellung machen könnte«, – so darf man freilich nicht an Figaro denken. Und wenn er zu seinen Gunsten betont, die Stimmung des Waldes, des Himmels und der Sterne kann im Hörer nachklingen, nach trällern kann er sie aber nicht, so ist uns, als könne man auch Beethoven nicht nachträllern, und als hätte der, der ein paar Themen aus Mozarts Opern nachträllern mag, damit von Mozart doch nicht mehr gegeben, als von Wagner, wenn er den Brautchor pfiff.
Die »Leitmotive«, Fäden, aus denen das Netz jener unendlichen Melodie gewirkt wird, geben Wagners Intellekt ein Feld von eben solcher Größe zur Betätigung, wie es die Orchestration seiner Sinnlichkeit eröffnete. Ihrer erhöhten Verwendung – denn sie stammen nicht von ihm – dankt sein gesamtes Werk eine leichtere Faßlichkeit durch den Verstand, nachdem die sinnliche Suggestionskraft das meiste schon erleichtert hat. »Das Motiv erscheint nicht bloß als die wiederkehrende Tongruppe in einer gewissen Unveränderlichkeit, sondern auch als Träger der verschiedensten Stimmungen in ihrem Wechsel. So ist es in allmählicher Entwicklung an seine höchste Aufgabe gelangt, dem ,… Bau des Wagnerischen Kunstwerkes zum Grundpfeiler zu dienen« (Hausegger).
Ist es nun wirklich mehr als ein geistvolles Spiel? Und ist es nicht verdächtig, daß man diesen Verstandespfeiler mit Recht einen Grundpfeiler nennen darf? Weil Wagner nicht fähig ist, in einem Orchestersatz Wut, Rache, Freude, Trauer auszudrücken wie Beethoven, braucht er das Äußere, braucht er das Geschehnis, in dem Wut, Rache usw. enthalten sind.
Wagner sagt, er wolle mit den Motiven das Charakteristische einer Person immer wieder herausheben, er nennt sie die Sprache der Erinnerung. Übersetzte man diese musikdramatische Norm ins Dichterische, so entspräche sie einer dramatischen Technik, die ihre Personen immer mit ihrem Hauptgedanken herankommen, wie Othello mit dem Stichwort ihrer Seele herumlaufen ließe.
In den Vorspielen ist fast nirgends der ideale Gehalt zusammengefaßt, meist sammeln sie nur die Motive; wogegen etwa Mozart ganze Ouvertüren baut, ohne eine einzige Melodie vorzutragen, nur um die Stimmung darzustellen (Figaro) Oder man denke an die Molltonleiter, die in der Don Juan-Ouvertüre das Dämonische ausdrückt..
Diese motivische Verknüpfung nimmt überdies der ganzen Musik die Möglichkeit, zu überraschen; was doppelt auffällt im Werke eines Dichters, der, statt dramatisch vorzubereiten, immer theatralisch überrascht. Bei Wagner ist dies natürliche Verhältnis umgekehrt: von Ekstase zu Ekstase stürzt die Dichtung, während sich die Musik in ihren Grundlinien vorauswissen läßt. Nur selten gelingt ihm, was Weber und Gluck mit Motiven so oft gelang: eine Person zu charakterisieren, wie Hunding mit seinen drei Takten.
Reizende Einfälle entzücken den Hörer um so mehr, je mehr er intellektuell wach ist. Erscheint der leere Nachen mit dem Schwane wieder, so kommt das Lohengrin-Motiv plötzlich in Moll. Spricht Mime dem Siegfried vom Fürchten, so erscheint das Feuerzauber- und das Waberlohe-Motiv, jedoch verzerrt; als der Erstaunte fragt, was das Fürchten sei, und er möchte es kennen, da kommen beide Motive wieder, jedoch rein. Wenn Siegfrieds Schwert Wotans Speer durchschlägt, hört man das Schwertmotiv das Speermotiv durchschneiden. Stirbt ein Held, so wird sein Motiv schwächer, stockt und verrieselt.
Selten kommen Einfälle, die darum entzücken, weil man sie erst nach zwei Sekunden versteht: als Siegfried aus der Drachenhöhle tritt und so den Ring gewann, erklingt zuerst weder das Rheingold- noch das Ringmotiv, sondern der Rheintöchtergesang. Oder wenn er den Trank des Vergessens getrunken, unmittelbar darauf an Brünnhilde erinnert wird: wie da die Motive aufflackern und schnell verlöschen, drücken sie dieses Aufdämmern eines rasch zurückweichenden Wunderbaren aus; wie der Traum beim Erwachen mit geisterhafter Eile zurücksinkt in die Dämmerung.
Das ist wie ein Symbol von Wagners Kunst. Genialische Funken sprühen auf, bersten, sinken zurück. Dämmerung ist das Mutterland.