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Mein Reich ist nicht von dieser Welt, und ich vielleicht mehr als irgendein jetzt Lebender muß dies von mir sagen.«
Dies Wagner-Wort – sein Entsagungsmotiv – dessen Sinn er hundertfach in andere Formeln fügte, gibt das Fundament, auf dem die Seinen sein Martyrium in der Welt, das »tragische Künstlerschicksal« aufzubauen pflegen. Er hat das freilich alles selbst vorbereitet.
Besonders wenn er mitten im Labyrinthe weltlicher Gewandtheit steckte, benutzte er irgendeine Schrift zur Verherrlichung seiner weltlichen Keuschheit. So schildert er bewegt, wie er vor dem »Rienzi« in Berlin sich dem »ganzen modernen Laster der Heuchelei und Ruchlosigkeit ergeben mußte. Schmeicheln, Unbefangenscheinen, Mißtrauen benehmen usw. ,… dies alles mußte natürlich ohne den beabsichtigten Erfolg bleiben, weil ich nicht anders als sehr stümperhaft zu lügen verstand ,…« Die Buchstelle ist länger, man staunt, mit wieviel Aufwand er eine Tugend beteuert, die ja wohl niemand angezweifelt hatte. Oder man sieht ihn vor Nietzsches Schwester den naiven ungebärdigen Brausekopf spielen und hört ihn rufen: »Ich gebe gleich hunderttausend Mark (!), wenn ich solch ein schönes Benehmen wie dieser Nietzsche hätte, immer vornehm, immer würdig: so was nutzt einem viel in der Welt.«
Zu solchen Beteuerungen seiner Weltfremdheit folgt hier ein kleiner Kommentar, der sich rasch verlängern ließe.
Der sechsundzwanzigjährige Wagner liest Romane, um Opernstoffe zu finden. Da ist die »Hohe Braut«. »Schnell sprang das Bild einer großen fünfaktigen Oper für Paris aus ihm mir in die Augen,« er macht einen Entwurf, dem nur noch die Verse fehlen, sendet ihn dem allmächtigen Operndichter Scribe »mit dem Vorschlag, denselben, falls er ihm gefiele, für seine Rechnung auszuführen, und mir dafür den Auftrag, diese Oper in Paris zu komponieren, zu erwirken«; dann sollte sie unter Scribes Autorität und seinem Namen in Paris gespielt werden. Damit der Vielbeschäftigte Brief und Entwurf sicher erhält, sendet Wagner beide durch seinen Verwandten Brockhaus. Ein halbes Jahr keine Antwort. Wagner gibt so leicht nicht nach: schreibt wieder und schickt, als Legitimation, die Partitur seines »Liebesverbotes« mit: Auber oder Meyerbeer sollten Scribe ihr Urteil sagen; gefällt sie, so bietet er diese Oper zugleich an. Zugleich geht er wegen derselben Sache zu Meyerbeer. Zugleich sendet er ein Stück Partitur an den Redakteur der »Europa«. Diese bringt das Stück als Beilage, der Redakteur schreibt dazu: Der junge Komponist hätte es an Scribe geschickt, ihm »alle Autorrechte abgetreten, worauf hier alles ankommt, indem sonst von den französischen Autoren Intrigen aller Art zu befürchten sind. Ich werde, wenn ich von dem Erfolg der eingeleiteten Schritte meines jungen Freundes Nachricht erhalten werde, solches dem Publikum mitteilen.«
Wieder kommt es zu nichts. Wagner läßt nicht los. Zwei Jahre später schreibt er an den Redakteur, Scribe und Paris lägen ihm zu weit. Er braucht einen Mittelsmann. Um den Redakteur günstig zu stimmen, beruft sich Wagner dabei auf dessen Mitarbeiter, der Wagners alter Schulfreund gewesen (»Er soll Ihnen sagen, wie wir auf der Kreuzschule ,…« und »ob ich nicht der Mann bin, für den man sich schon deswegen interessieren müßte ,…«). In summa: der Redakteur soll nun an Scribe schreiben und ihn zu einer Erklärung veranlassen. »Gefällt Ihnen oder Scribe das Sujet nicht, mein Gott! so bin ich gleich mit einem anderen da.« Diesen (Rienzi) mache er deutsch, um ihn nach Berlin zu bringen. Gefalle er aber Scribe, so würde Rienzi »augenblicklich französisch singen, oder es wäre dies ein Mittel, die Berliner zur Annahme zu stacheln, wenn man ihnen sagte, die Pariser seien bereit, anzunehmen, man wolle ihnen aber diesmal den Vorzug gönnen.« – Scribe rührt sich nicht.
Nachspiel: fünf Jahre später schreibt derselbe junge Musiker über denselben Scribe in einem (anonymen) Aufsatz: »Pariser Amüsements«: »Seine sämtlichen Werke sind erschienen, man kann also nicht mehr zweifeln, er ist ein großer Dichter ,… Mann der unerschöpflichen Renten, Ideal der wöchentlichen Produktionskraft, dir ertöne mein ehrfurchtsvolles Lied!« Dann beschreibt er Scribes seidenen Schlafröcke (vorahnend), seine Schokolade, das Vorzimmer, das von Musikern und Agenten voll ist, und wie er »in fünfzehn Minuten ein neues Stück macht, von dem noch niemand etwas weiß.«
Ein anderes Beispiel: der Achtunddreißigjährige, noch immer »weltfremde« Künstler und der böse Verleger (man müßte die ganze Korrespondenz zitieren). Härtels sollen ihm eine alte Schuld für einen Flügel streichen und dafür die Lohengrin-Partitur stechen. Sie gehen auf den Vorschlag ein. Jetzt schreibt Wagner an Liszt: »Kommt es mir fast fabelhaft vor: die Partitur einer Oper, die nur in Weimar gegeben wird! Was meinst du? Kann ich den Leuten das wirklich zumuten? Es ist eine Noblesse, die mich beschämt (noble, noble Cassius!). Fast habe ich Lust, Härtels Bereitwilligkeit jetzt nicht mehr für den Lohengrin anzunehmen, unter der Bedingung, daß sie dafür die Partitur des »Jungen Siegfried« stechen (von dem noch keine Note komponiert ist). Dieses Kind ,… liegt mir natürlich mehr am Herzen als der Lohengrin ,… Geben nun Härtels die Partitur des Lohengrin heraus, so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der Absatz dafür so gering sein wird, daß ihnen die Lust zum Druck der Partitur des Jungen Siegfried vollends vergeht.«
Kurz zuvor kann man den weltverleugnenden Künstler in Paris beobachten. Ein Freund sagt dem Flüchtigen bei seiner Ankunft im Jahre 50 ganz richtig: »Hier müssen Sie Geld haben wie Meyerbeer oder gefürchtet sein.« Demgemäß beschließt Wagner, da er kein Geld habe, sich gefürchtet zu machen, etwas »künstlerischen Terrorismus zu treiben« und, wie er sagt, »in ein bedeutendes politisches Journal einen tüchtigen Artikel über das Theater der Zukunft zu schreiben.«
Eine andere Nuance dieses Märtyrers ist: die deutschen Fürsten für sich aufzubieten, gegen die er eben noch Barrikaden gebaut hat. Noch im Revolutionsjahre schreibt er an Liszt: »Schafft mir also ein kleines Jahresgehalt, das nur eben ausreicht, in Zürich mir mit meiner Frau ein ruhiges Leben zu sichern.« Drei deutsche Fürsten, die er als geeignet nennt, das Gehalt zusammenzuschießen, »hätten dann die Genugtuung, mich rüstig und frei meiner Kunst erhalten zu haben. Ich – kann nicht für mich bitten und die schickliche Form zu der nötigen Übereinkunft finden. Du kannst es, du und deine Fürsprache wird es zustande bringen.« Einige Jahre darauf fordert der von den deutschen Fürsten Verbannte von diesen selben ganz kategorisch eine feste Pension für Lebenszeit von 2-3000 Talern (heute, nach sechzig Jahren, der doppelte Wert): Liszt solle sich »sofort definitiv und bestimmt äußern, ob er eine ›Verbindung mehrerer deutscher Fürsten‹ herbeiführen will«.
Als um diese Zeit die Berliner Oper den Tannhäuser noch zurückweist, will Wagner durch den Generalintendanten beim Könige um Erlaubnis zur Dedikation des Tannhäuser nachsuchen lassen, um ihn dadurch zu interessieren.
Dies wird von nun an ein beliebtes Mittel; es kehrt beim Großherzog von Baden und bei einem sächsischen Fürsten wieder: Dedikationen zum Zwecke der Aufführung.
Und sieht man nicht diesen, von unmittelbarster Wirkung abgesperrten Märtyrer in seinen schönen Züricher Zimmern auf und nieder gehen, wenn er, in der Verbannung, auf die Idee kommt: ein deutscher Musikhändler sollte ein neues Porträt von ihm anfertigen lassen, einen Züricher Maler beauftragen, ihn zu zeichnen und die Zeichnung dann in Deutschland reproduziert verkaufen. Dies ist, schreibt er dem Freunde, »ein vielleicht sehr eitler (immerhin!) Gedanke Das Immerhin steht im Original. ,… Ich kann das natürlich niemand anbieten, aber vielleicht du oder sonst wer.« –
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»Mein Reich ist nicht von dieser Welt, und ich vielleicht mehr als irgendein jetzt Lebender muß dies von mir sagen.«