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»Wir wollen einen Mann, der infolge seiner Weisheit alles Mögliche werden und alle Dinge nachahmen könnte, wenn er in unser Gemeinwesen kommt, als etwas Heiliges und Wundervolles verehren, Salben über sein Haupt gießen und es mit Wolle bekränzen, – aber ihn zu bewegen suchen, daß er in ein anderes Gemeinwesen gehe.«
Plato
Männer der Tat und Männer der Kunst: rasch bildet sich die Antithese, blendet, erlischt. Denn unter jenen gibt es solche, die, Gestalter der Welt, im Grunde Künstler sind, und unter Künstlern solche, die ihr Wille zur Macht zu Männern der Tat abwandelt. Jenen ist die Welt das Material, in das sie ihren Daumen drücken mögen, als wäre sie von Ton und läge auf dem Tische des Gestalters. Diesen ist die Kunst ein Vorwand, um sich in Wirkung vor der Welt zu setzen, oder auch nur, um ihre Kraft zu spüren. Aber jene erheben ein Werk gemeiner Zwecke zum Spiel des reifsten Geistes, diese ziehen ein zwecklos Schwebendes als Mittel zu sich herab.
Alles in dem gereiften Wagner war Wille zur eigenen Bewegung, eigenen Wirkung, nichts war Wille zur Gestaltung. Sein ganzer Wille zur Kunst war gehemmter Wille zum Leben; sein ganzer Trieb zum Schaffen nichts als Folge jenes Krampfes, der nach seinen eigenen Worten das Grundelement seiner Psyche bedeutet.
Vierzigjährig, an einen Freund: »Hätten wir das Leben, so hätten wir keine Kunst nötig ,… Ich begreife gar nicht, wie ein wahrhaft glücklicher Mensch auf den Gedanken kommen soll, Kunst zu machen. Nur im Leben kann man ja, – ist unsere Kunst nicht somit nur ein Geständnis unserer Impotenz? – Gewiß, wenigstens unsere Kunst ist dies, und alle die Kunst, die wir aus unserer gegenwärtigen Unbefriedigung heraus uns darzustellen vermögen! ,… Um den Wiedergewinn meiner Jugend, um Gesundheit, Natur, ein rückhaltlos liebendes Weib und tüchtige Kinder – sieh! gäbe ich alle meine Kunst hin! Da hast du sie! Gib mir das andere!«
Ist dieses etwa nur eine flüchtige Stimmung? Schon in jüngeren Jahren, sagt er, dachte er immer, »daß die Kunst erst dann ungeahnteste Seligkeit wäre, wenn alles und jedes Gut des Lebens mir entrissen, alles, alles verloren und jede Möglichkeit des Hoffens abgeschnitten wäre.« Zuflucht des Hedonisten. Noch deutlicher ein anderes Mal: »Ich bin sechsunddreißig Jahre alt geworden, ehe ich erriet, was eigentlich der Inhalt meines Kunstdranges sei: solange galt mir die Kunst als der Zweck und das Leben als das Mittel.« Oder, an Uhlig: »Die schrecklichsten Zeiten sind mir immer die, wo ich mich – erholen, zerstreuen soll: da werde ich dann erst recht gewahr, wie es um mich steht. Jeden Fußbreit Freude muß ich mir erst aus dem ganzen Haufen Chausseekieseln herausklopfen. Solange ich arbeite, kann ich mich täuschen, solange ich mich aber erholen soll ,… bin ich gradewegs schrecklich elend! Meine einzige Rettung ist, immer wieder auf eine Arbeit zu denken, und meine einzige Freude, wenn ich wieder darangehe, mich etwas herunterzubringen! Prachtvolles Künstlertum das! Wie würde ich es um eine einzige Woche Leben hinwerfen!«
Oder an Liszt (über die Arbeit): »Ich wenigstens werde bei solchen Anstrengungen einzig doch gewahr, daß ich lebe!« Und an denselben: »Es ist alles in meinem Leben so verfahren, so verloren! Liebster, die Kunst ist mir doch eigentlich reiner Notbehelf, nichts anderes! ,… Eigentlich nur mit wahrer Verzweiflung nehme ich immer wieder die Kunst auf: geschieht dies und muß ich wieder der Wirklichkeit entsagen, – muß ich mich wieder in die Welle der künstlerischen Phantasie stürzen, um mich in einer eingebildeten Welt zu befriedigen.«
Solche Sätze weisen jede Kommentierung ab. Der Niegesättigte flüchtet in die Kunst, – dann wirft der immer Hungernde diese Kunst zurück in die Welt. Ars resignanda, ars mundi.