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In der letzten Szene seines Lebens klingen bei Wagner noch einmal, wie am Schluß des Ringes, alle Motive des Ganzen durcheinander: Vitalität, Wirkungsdrang, Theater, Propaganda, Konkurrenz, entfremdete Freunde, Kompromisse. Nur das Produktionsmotiv klingt wie eine matte Flöte, die sich vergebens müht, den Kampf dieser Blechmusik zu durchdringen. Folgende Daten bezeichnen sein äußeres Leben in den letzten sechs Lebensjahren vom ersten Festspiel bis zum Tode.
Wagner gibt, entgegen seinen jahrzehntelangen Erklärungen, den nur für sein Festspielhaus bestimmten Ring an die europäischen Bühnen und willigt ein, daß das Werk ohne Zusammenhang, teilweise oder in falscher Reihenfolge gespielt wird.
Wagner willigt auf ausdrückliche Anfrage ein, daß der Walkürenritt in Berlin zuerst, vor der Aufführung, im Zirkus Renz aufgeführt wird. (Glasenapp.)
Wagner verkauft das sämtliche Ringinventar an Angelo Neumann, der damit eine Tournee unternimmt.
Wagner reist, entgegen seinen jahrelangen Beteuerungen, nach München zur Aufführung, nach Berlin, das er haßt, zur Einstudierung seiner Werke.
Wagner schreibt gegen Hebbel (siehe oben), gründet die Bayreuther Blätter, seinen Staatsanzeiger.
Wagner gründet die »Parsifal-Kanzlei«.
Anfangs wünscht er zwar, Parsifal in der Partitur zu hinterlassen »und Siegfried soll ihn dereinst zur Aufführung bringen«. – »Sehr erregend und in hohem Grade peinlich berührte ihn jede Vorstellung einer Berührung des werdenden Parsifal mit den Theatern. »Gott, schon mit solchen Leuten über die Dekorationen meines Parsifal verhandeln zu müssen! ,… Es graut mir vor allem Kostüm- und Schminkewesen. Wenn ich daran denke, daß diese Gestalten wie Kundry nun gemummt werden sollen, fallen mir gleich die ekelhaften Künstlerfeste ein, und nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich das unsichtbare Theater erfinden.«
Als dann die Hälfte des Parsifal (Mitte des zweiten Aktes) beendet ist, beginnen schon die Verhandlungen mit Sängern vieler Städte, Musiker kommen nach Bayreuth, es werden Szenenproben des einen fertigen Aktes im Theater veranstaltet, »es war ein Kommen und Gehen der einzelnen Künstler« in Wahnfried. Daher gründet man die sogenannte »Parsifal-Kanzlei«. (Dazwischen wird die Komposition fortgesetzt.)
Wagner hatte erklärt, »das mystisch bedeutsame Liebesmahl der Gralsritter dem heutigen Opernpublikum nicht anders vorführen zu dürfen, als wenn ich das Bühnenfestspielhaus diesmal zur Darstellung eines solchen erhabenen Vorganges besonders geweiht mir dachte.« Diesen Gedanken verwirklicht er in folgender Form: ein halbes Jahr vor dem Tode führt er in Bayreuth vor ausverkauften Häusern seinen Parsifal auf: sechszehnmal hintereinander. Infolge des starken Zuspruches beabsichtigt er aber im nächsten Jahre zwanzig Vorstellungen des Parsifal zu geben (Glasenapp) Aus der Kenntnis seines Verhältnisses zu den Theatern und wie er dauernd nachgegeben, folgt, daß Wagner auch den Parsifal hergegeben hätte. Im übrigen war die öffentliche Aufführung in München für das Jahr 84 mit dem Könige fest verabredet. Trotzdem ändert sich die Frage durch seinen Tod, und es ist nur pietätvoll, wenn man das Werk für Bayreuth allein zu erhalten sucht: man hebt dadurch Wagners Stellung zur Welt und auch zum Parsifal nach seinem Tode in eine edlere Sphäre..
Über diese letzten sechs Lebensjahre allein schreibt sein Biograph einen Band von über achthundert Seiten. Die feinsten Ohren haben alles aufgezeichnet, was der Meister im Alter gesprochen. Trotzdem sucht man vergebens nach Gedanken oder Anregungen, wie man sie früher von ihm oft empfangen. Auch seinen letzten Schriften fehlt der »Wagner-Stil«, fast überall. Wagner im Alter, nach allen Erfüllungen, wird, was er nie gewesen: langweilig. Man sieht, was er früher geworden wäre, ohne die steten Kämpfe mit der Welt.
Ein Jahr vor seinem Tode sitzt er in München für Gedon und Lenbach vor- und nachmittags abwechselnd zu Büste und Porträt. Um diese Zeit (Februar 82) hat ihn ein Künstler hohen Ranges dargestellt: Auguste Renoir in einer Skizze, die eine Biographie für sich einschließt. Dieses ist der Vollendete, dargestellt von der Hand eines Meisters.
Sechs Wochen vor seinem Tode führt er in einem Theater in Venedig nur sich und seinen Freunden eine Sinfonie aus dem neunzehnten Lebensjahre auf (Rückblick). Er äußert seinen Wunsch, sehr alt zu werden, und hat dies Alter durch mystische Berechnung auf sechsundneunzig Jahre festgestellt. (Er meinte neunundsechzig.)
Hier ist Wagners Verhältnis zu seinen Freunden am Ende: Liszt war ihm fremd geworden, nach seinen eigenen Äußerungen. Nietzsche haßte er. Mit Bülow konnte er nicht verkehren, und seine letzte Antwort an den König war die zitierte: er wäre nicht gesund genug, daß man solche Anfragen an ihn richte.
Die letzten Tage verlaufen epigrammatisch, wie kein Dichter den Tod seines Helden besser darstellen könnte.
Acht Tage vor seinem Tode macht er den Karneval auf dem Markusplatze mit. Am letzten Abend spielt er Stücke aus Rheingold und spricht über Undinen, die sich nach einer Seele sehnen: »Ich bin ihnen gut, diesen Wesen der Tiefe, diesen Sehnsüchtigen.« Dann hört man ihn lange laut mit sich selbst sprechen. Am nächsten Vormittag arbeitete er an einer Abhandlung über das Weibliche im Menschlichen, namentlich über die Brunst der Tiere und den Gattungstrieb des Weibes. Die allerletzten Worte von Wagners Hand: »Gleichwohl geht der Prozeß der Emanzipation des Weibes (vom natürlichen Gattungsgesetz) nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich. Liebe – Tragik.« Zwei Stunden später: Tod des deutschen Meisters in jenem Palast von Venedig, der den französischen Bourbonen gehört.
Er stirbt, genau wie er gelebt: in einem furchtbaren Krampf.
Kein Entwurf, kein Notenblatt bleibt zurück.
Nie war dies Leben in dauernder Harmonie. Der Krampf der Sinne, der Krampf des Lebens- und des Wirkungsdranges warf dieses Herz durch siebzig Jahre umher. Am Ende, als sich alles glättet, wird er uninteressant. Ein einziges Mal, »einen Augenblick lang« strömte durch diese Seele Harmonie. Dies hat der Künstler dargestellt. Und aus einem Meer von Werken, Schriften und Gedanken ragt das Abbild dieses einen Augenblickes empor.