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Mechanik

Was zuerst auffällt, ist der Mangel jeder Anregung durch die Natur. Nie hört man, ihm sei in einem Walde dieses, vor einem Abendhimmel jenes eingefallen. Keine von all den Anekdoten findet sich hier, an denen das Leben großer Musiker reich ist: er hätte sich warm geritten, oder: er stand am Ufer des Meeres, da kam ihm das oder jenes Motiv. Von Wagner sind aus den Jahrzehnten nur zwei Fälle überliefert (und was hätten er und die Seinen je der Überlieferung entzogen, wenn es künstlerisch wirkte), beide Fälle sind interessant Die Anregung zum »Holländer« in die Seefahrt durch die Schären zu verlegen, ist falsch, denn schon in Riga hat er ihn geplant.. An einem Karfreitag kam dem auf den Züricher Bergen Spazierenden die erste Idee zum Parsifal. In einem tiefen Schlafe hörte er ein Rauschen wie von einem Strom »in es« und daraus bildete er das Vorspiel zum Rheingold.

Hier ist es eins jener nachahmenden, tonmalerischen Motive, die er so oft gefunden, dort eine intellektuelle Brücke zwischen Natur und Gedanken: Karfreitag.

Überall findet man ein langsames Werden von Wagners Werken und doch ein plötzlich heißes Auswirken einzelner Teile: Krampf der Künstlerkräfte als Korrelat zum Krampf der Lebenskräfte. Er selbst findet das Epigramm: »Viel Zeit muß ich haben; denn, was ich niederschreibe, ist eben alles Superlativ.« So entsteht der Ring sehr langsam. Vom Jahre 51-57 dichtet er ihn und komponiert die Hälfte. Dann läßt er ihn zehn Jahre liegen. Warum? Erst treibt der Tristan den Künstler davon fort, zwei Jahre; dann aber kommen acht Jahre Paris, Wien, Reisen, Einstellung der Komposition mangels Theater und deshalb Unternehmen »eines kürzeren Werkes für den nächsten Winter«.

Während der Arbeit der ersten beiden Akte der Götterdämmerung: Reisen, Konzerte, Vorträge, zugleich Abfassung von Aufsätzen. Kaisermarsch. Verhandlungen mit mehreren Städten wegen des Festspielhauses. Reisen nach Bayreuth, Ankauf des Platzes, Pläne, Grundsteinlegung, Neunte Sinfonie. Man fragt sich: warum beendet er nicht erst das Werk, für dessen Darstellung er sich so sehr bemüht, während der König ihn völlig sorgenlos gemacht hat.

Aber während er wirklich arbeitet, ist er im Fieber. »Stören Sie mich nicht! Ich bin in Brunst!« Ein anderes Mal: »Soeben strömen mir die Tränen über beim Komponieren!« (Dagegen Beethoven: »Künstler sind feurig, – die weinen nicht!«)

Wagner kannte und bedachte seine Nervosität. Wenig empfindlich für die Natur, sucht er das Künstliche: die Städte, die Zimmer, die seiner Arbeitsform schmeicheln. Auf dem Lande könnte er Tristan nicht schreiben, in einer gleichgültigen Stadt würde er triviale Bekanntschaften machen, »eine der interessantesten großen Städte Italiens ist dagegen grade das, was ich suche ,… Ganz unerträglich ist mir aber in großen Städten namentlich das Wagengeräusch geworden: es macht mich rasend. Nun ist Venedig notorisch die geräuschloseste Stadt der Welt.« Also soll der Großherzog von Weimar ihm (durch Liszt, dem er dies schreibt) freien Aufenthalt in Venedig erwirken.

Wir streiften die dekorative Ausstattung, die dieser dekorative Künstler brauchte. Er müsse, sagte er gelegentlich, in einer » künstlerisch-wollüstigen Stimmung« sein. Hartes, zum Beispiel Bücher, dürfen nicht in seinem Zimmer stehen, »nur Weiches, in der Form Unbestimmtes«. Alle festen Linien machen ihm, erklärt er, die Arbeit unmöglich, während träumerische Farben, Lichtbrechungen auf weichen Stoffen ihm zugleich Zerstreuung und Sammlung böten. Er durfte nicht einmal durch das Fenster die Wege seines Gartens erblicken: das war schon zu bestimmt und hinderte die Sammlung (Glasenapp). Wie tief diese äußeren Dinge Symbole seiner Kunst waren, fühlte er selbst; ihrer Wollust dachte er im Alter zu entgehen und sich zur Strenge der Sinfonie zurückzuerziehen. »Nur noch eine Weile will ich liebliche Farben und Muster haben. Mit siebzig Jahren richte ich mich sibirisch ein!« Da hat ihn der Tod mit großer Güte den Versuchen einer Selbstzucht enthoben, die keiner Wagner-Natur glücken kann.

Welches ist die Arbeitsform dieses Dramatikers? Wagner fängt von hinten an. Er »beweist sich seine Wirkung mit dem letzten Akt«, so formuliert Nietzsche. Den Holländer beginnt er mit der Ballade der Senta und denkt daran, das Ganze »dramatische Ballade« zu nennen. Diese Dichtung ist nur ein Textbuch mit Nummern, aber auch den Lohengrin beginnt er mit dem dritten Akt. Und daß er den Ring rückwärts geschrieben, hat tiefe Gründe.

Die Methode ist undramatisch und deutet schon biologisch den Theatraliker an, worüber Ausführliches im IV. Kapitel.


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