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Der Mime

Die schlagendste Form der Theaterkunst mußte das Theatergenie am höchsten schätzen. »Nur der Darsteller« – schreibt er an Liszt – »ist eigentlich der wahre Künstler. Unser ganzes Komponistenschaffen ist nur Wollen, nicht auch Können. Erst die Darstellung ist das Können – die Kunst. Glaube mir, ich wäre zehnmal glücklicher, wenn ich dramatischer Darsteller, statt dramatischer Dichter und Komponist wäre.« Und er folgert unmittelbar: »Mit dieser gewonnenen Überzeugung kann es mir nun nicht mehr daran liegen, Werke zu schaffen, denen ich das Leben in der Gegenwart im voraus absprechen soll, um ihnen dafür eine angeschmeichelte, eingebildete zukünftige Unsterblichkeit zu geben: was nicht heute wahr sein kann, wird auch für die Zukunft unwahr bleiben.« Das sagt der Zukunftsfroheste, der Reformator, dessen Schriften immer auf das Kunstwerk der Zukunft deuten, das er schaffen will.

In solchem Widerspruche muß man aufs neue den Ausdruck eines Wirkungs- und Theaterdranges um jeden Preis erblicken, der diesen Mann zu hundert Konzessionen zwang. Den Trieb des Mimen vermochte nur seine Phantasie zu befriedigen, auch diesen Kopf setzt er sich selber auf. Wäre er jetzt jung, schreibt der Sechsunddreißigjährige, und hätte noch soviel Stimme wie in der Jugend, »unbedingt wäre ich Darsteller geworden: als Darsteller und Dichter und Musiker zugleich hätte ich – selbst bei voller Windstille – das ganze Drama revolutionieren wollen: denn wer hätte dazu die praktische Kraft als einzig der Darsteller? Denken Sie, wenn T. mein übriges Zeug mit dazu hätte, oder ich seine Stimme, wie sollte es da heute mit dem Theater stehen! Unser verfluchtes abstraktes Dichten und Komponieren bringt den Teufel was zuwege: wir wollen und können nicht

Auch für diese Wollust sucht er Surrogate: darum las er immer seine Dichtungen vor. Zahllos sind diese Vorlesungen, wie sie seine Biographen sorgfältig notieren, vor drei Freunden, vor dreißig Bekannten, vor ein paar hundert Fremden. Er soll vorzüglich rezitiert haben, aber die Art, Samtschlafröcke und dazu passende Barette anzutun, deutet auf das Schauspielerische seiner Leistung hin.

Dieser Musiker bekennt »mit die größten Anregungen für sein Schaffen« von der Kunst einer Schauspielerin, der Schröder-Devrient, erhalten zu haben. Und alles, was er über Schauspieler geschrieben, ist bedeutsam.

Erstaunliches leistete Wagner auf einer Station zwischen Schauspieler und Dichter: als Szeniker und Regisseur. Aus der Verbannung schickt er im voraus »genaue Dekorationspläne nach meiner besonderen Angabe, um für die Fälle, daß in Zukunft die Theater sich mit Lohengrin abgeben wollen, diese Pläne bereit zu halten.« Um die gleiche Zeit mahnt er Liszt, von Zürich nach Weimar: »Lasse Lohengrin nur ja durch Kunst so blendend hell wie möglich ausstatten: es müssen einem die Augen vergehen, wenn, man ihn sieht!« In langem Aufsatz über die Aufführung des Tannhäuser belehrt er nicht bloß Dirigenten, Orchester und Sänger, auch Regisseur, Dekorateur und Ballettmeister. In allen Dingen des reinen Theaters war Wagner ganz genial.

In den frühesten Entwürfen zu seinen Dramen, die nur erst wenige Seiten umfassen, finden sich schon Bemerkungen wie: »Vorhang fällt schnell«. Den Dreiundsechzigjährigen staunt man an, wenn er auf der Probe dem Alberich, der nach dem Raube des Goldes nicht wagt, herabzuspringen, den tiefen Sprung selbst vormacht und sich hinabstürzt. Oder wie er Seidl, Mottl und Fischer überwacht, die jeder einen »Rhein-Töchter-Wagen« leiten mußten, eine sechsstündige Probe lang.

Die Wichtigkeit aller dieser Dinge für Wagners Wirkung begreift man erst ganz, wenn man in seinen Biographien ernste Erörterungen findet über das dampferzeugende Lokomobil, das vor der ersten Aufführung der Walküre von der Berliner Polizei verboten wird. »Auf Vogls Rat hatte sich Neumann an jenen Spiritusfabrikanten gewandt und dieser sich sogleich zur Hilfe bereit erklärt, indem er ein Rohr aus seiner Fabrik zum Theater hinüberleiten ließ.« Folgt genaue Schilderung der Rohrarbeit bei Nacht. »Von einer ihm angebotenen Entschädigung hatte der wackere Mann in begeisterter Uneigennützigkeit nichts wissen wollen, er bat sich nur die Vergünstigung aus, dem Meister vorgestellt zu werden« (Glasenapp).

Was Wagner als Szeniker zu seiner Wirkung braucht, pflegt er zugleich als Musiker zu »vertiefen«. Er legt nicht einfach das Orchester niedriger, sondern er glaubt, daß »die aus dem mystischen Abgrund geisterhaft erklingende Musik gleich einem, unter dem Sitze der Pythia dem heiligen Urschoße Gäas entstehenden Dampfe (den Hörer) in jenen begeisterten Zustand des Hellsehens versetzt.«

Oder: der Dramatiker Wagner braucht im Parsifal die Gralshalle zweimal. Der Theatraliker Wagner sieht sofort, daß zwei Akte von dreien, vor einer Szenerie, die Wirkung mindern müssen. Der Regisseur Wagner macht aus dieser Not eine neue Wirkung und erfindet die aufregende Wandeldekoration, die, durch Zerteilung zweier Akte, die Szenen in der Halle auf die Hälfte verkürzt. Da kommt der Musiker Wagner und erklärt, das solle »durchaus nicht als dekorativ-malerischer Effekt wirken, sondern unter der Einwirkung der die Verwandlung begleitenden Musik sollten wir, wie in träumerischer Entrückung, eben nur unmerklich die pfadlosen Wege zur Gralsburg geleitet werden«; bis endlich lächelnd wieder der Dramatiker Wagner den Reigen schließt, betonend, daß dadurch » zugleich die sagenhafte Unauffindbarkeit derselben für Unberufene in das Gebiet der dramatischen Vorstellung gezogen wird.«

Man staunt über solchen Grad der Fähigkeit, die eigenen Fähigkeiten zu verschmelzen. In der Geschichte der Künste ist Wagner das größte Beispiel für die Verzehnfachung des Talentes durch Willenskraft.


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