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Freundschaften

Freunde und Feinde. Merkwürdig ist sogleich, daß er dauernd nur die Feinde behält. Denn alle jene Freunde, die ihm wirklich gewachsen waren, hat er zeitweilig oder für immer verloren. Man darf nicht an junge Leute denken, die er immer angezogen, immer andere, sporadisch, noch auch an ältere rüstige Männer, die er als Sechzigjähriger in Bayreuth getroffen. Man muß die einzigen betrachten, die ihm Paroli bieten konnten, Liszt, Nietzsche und der König; auch Herwegh, Semper und Bülow, das waren die Geister unter seinen Freunden.

Es geht ihm mit den Freunden wie mit der Welt: er beutet sie aus, bis sie es merken »Aber Wagner weiß nur so lange von den Menschen, als er sie braucht, und verliert je mehr die Elastizität, wenigstens den Schein zu wahren,« schreibt Freund Cornelius.. Dabei kann er aufrichtig dankbar sein und ist, zumal gegen Liszt, gewiß ein Freund. Siegfried läßt er die schönen Worte rufen: »Kämpf mit mir oder sei mein Freund!« Er selbst scheint immer zu sagen: »Hilf mir, oder du bist mein Feind!« Das konnte Geld, das konnte Glauben sein. Wer an Wagner glaubte, kritiklos und werktätig, wer für seine Ideen zu wirken sich entschlossen und jede andere Rücksicht schweigen ließ, den nahm er auf. Vergebens aber wird man suchen, was er für jene tat. Dies gänzlich nur auf sich zentrierte Wesen schien gar nicht wahrzunehmen, daß andere wieder andere Zentren sind. Das Beste, was er tun konnte, war »sich hingeben«. Er tat es ganz, fast schamlos. Nie aber nahm er auf.

Liszt, glühend für Wagners Genius, ertrug jahrzehntelang, was diesen vornehmen und edlen Geist an seinem Freund abstoßen mußte. Denn Liszt war wirklich ein Stück von jenem Idealisten, der zu sein Wagner immer prätendierte. An keinen Mann hat Wagner Worte von solcher Schönheit richten können, wie an diesen. »Du hast mir zum ersten und einzigen Male die Wonne erschlossen, ganz und gar verstanden zu sein: sieh, in dir bin ich rein aufgegangen, nicht ein Fäserchen, nicht ein noch so leises Herzzucken ist übrig geblieben, das du nicht mitempfunden ,… Was will ich denn anderes noch, nachdem ich dies erlebt habe?« Und ganz Wagner, immer Verschmelzer, immer Organisator der gehäuften Freuden, fügt er wunschvoll hinzu: »Laß zu dieser Wonne noch die Tränen eines lieben weiblichen Wesens fließen – was dann noch?«

Wie sehr sich Wagner selbst als der geringere Menschen wert fühlen mußte, wie er stets der Beglücktere ist. Jahrelang sehnt er Liszts Besuch in Zürich herbei. Doch dieser, für Wagners Werke kämpfend, kommt, trotz seines kosmopolitischen Lebens, nicht persönlich zu ihm. Als es endlich geschehen, schreibt Liszt einfach: »Die Zeltwegtage bleiben helle Sonnentage für mich«; folgt eine lustige Unterschrift, die auf gute Stunden deutet. Dagegen Wagner: »Alles übrige ist mir jetzt ,… so schrecklich geworden, seit ich dich ganz hatte, deine edle Stimme hörte und deine göttliche Hand drücken konnte. Wenn du wüßtest, welche Gottesspuren du hier hinterlassen: alles ist edler und milder geworden ,… und Wehmut deckt alles zu ,… Ich habe immer ein peinliches Gefühl, daß ich seit unserer Zusammenkunft bei dir verloren haben müßte, vermutlich, weil ich fühle, wieviel du bei mir gewonnen hast.« Als sie sich später gemeinsam mit der Fürstin Wittgenstein in Paris getroffen haben: »Da stehe ich und starre euch nach! – Mein ganzes Wesen ist Schweigen ,… Habe Dank für deine beseligende Liebe!« Er fühlt: Liszt ist harmonisch, ich bin es nicht.

Doppelt erstaunlich ist dies Gefühl für Liszt in Wagner, der nie in seinem Leben jemand liebte, weil er anders war. Dieser völlig um den eigenen Brennpunkt kreisende Geist mußte das Andersartige hassen. Nur hier an Liszt nimmt er es hin, bezwungen von soviel werktätigem Glauben. Dieser einzige Mensch, in den sich Wagner zu vertiefen suchte, wird ihm aber fremder, sobald sie aus der brieflichen Sphäre in die persönliche treten: durch Liszts Ärger über Scheidung und Wiedervermählung seiner Tochter, durch Wagners Beschäftigung mit dem königlichen Freunde. Die wahren, tief persönlichen Gründe, warum sie sich entfernten, kennt man nicht oder darf sie doch offiziell nicht kennen So wenig wie einen gewissen »unerhörten« Brief Liszts, den Wagner in seiner Antwort erwähnt, der aber von Bayreuth (wie viele andere Stellen) kassiert und nur durch Punkte angedeutet ist..

Auch als Wagner endlich am Ziele ist, als er den Grundstein zu Bayreuth legt: an seinem größten Tage fehlt Liszt. Das trifft Wagner. »Du kamst in mein Leben als der größte Mensch, an den ich je die vertraute Freundesanrede richten durfte (das heißt der König geht mir vor). Du trenntest dich von mir, – vielleicht weil ich dir nicht so vertraut gewesen war, wie du mir.« Liszt hat sich später versöhnt, doch jene Fremdheit blieb bestehen. Noch einen Monat vor Wagners Tode, als Liszt bei ihm in Venedig wohnt, wirkt ihre Verschiedenheit auf beide so stark, daß sie, nun weiß geworden, sich's lächelnd gestehen.

Was Wagner diesem Freunde – nur ihm! – an Verehrung zuträgt, löscht er rasch aus, sobald er die Türen der Welt geöffnet hat. In einer Broschüre schildert er, wie er Liszt kennen gelernt, wie er ihn in Paris aufgesucht, aber eine Erscheinung gefunden habe, »die man als von Natur fremd und feindselig betrachtet«. (Liszt war noch nicht für ihn eingetreten.) Wie er diesen Eindruck später hätte verlauten lassen, wie Liszt dies erfahren. »Es hat für mich jetzt, wenn ich zurückdenke, etwas ungemein Rührendes, die angelegentlichen und mit einer wirklichen Ausdauer fortgesetzten Versuche mir vorzuführen, mit denen Liszt sich bemühte, mir eine andere Meinung von sich beizubringen. Noch lernte er zunächst nichts von meinen Werken kennen ,… Ich betrachtete die Annäherung Liszts an mich zunächst erst noch mit einer gewissen Verwunderung ,…« Was mußte Liszt – selbst wenn die Dinge sich so zugetragen hätten – was mußte er empfinden, als er dies las!

Man sucht in diesem Briefwechsel, man sucht in dem mit den drei Dresdner Freunden (Uhlig, Heine, Röckel) vergebens nach Zeichen innerlicher Sorge für sie. Grade Wagners Art, seinen Briefen einige Zeilen anzufügen, die nach dem Befinden, nach Frau und Kindern fragen, zeigt: er liebt diese Menschen auf seine Art, nur sieht er sie nicht. Wagner konnte niemand sehen als sich selbst.

Wie alle, die unablässig anderer Leute Dienste beanspruchen, ist er selbst hilfreich gesinnt. Nur kommt es fast nie dazu! Denn die Briefe an jene Drei – vierhundert große Druckseiten – sind voll vom ersten bis zum letzten mit Aufträgen, Vorschlägen, Darlegung seiner Pläne, Anregung zu Propaganda, Ersuchen um Empfehlungen: von tausend Dingen, die er, die Richard Wagner nutzen will, an Macht, an Welt, an Wirkung.

Ebenso geht es mit Wesendonk. Dieser Mann, vornehm in jeder Äußerung des Lebens, hatte Unendliches für ihn getan, mit schwerstem Herzen, denn Wagner nahm ihm gleichzeitig Unendliches. Nie kommt Wagner auf den Gedanken, jener könnte leiden. Nie sagt er sich: muß ich ihn schon verletzen, so will ich ihn doch schonen. Sechs Jahre nach der Trennung von Wesendonks, an der doch, wenn jemand, nur Minna Wagner die »Schuld« trug, schreibt er dem Freunde: »Die Störung, die mich vor sechs Jahren von Ihnen trieb, hätte vermieden werden sollen: Sie hat mein Leben mir so entfremdet. Alles dieses Schmerzliche hätte mir erspart sein sollen ,… Mir war es, als wäre es möglich gewesen, und schön, sehr schön, ja erhaben wäre es gewesen, wenn es mir erspart worden wäre.«

Sobald er den König findet, denkt er nur an seine Stellung zu diesem. Nicht, daß sein Herz den Vergangenen undankbar würde, aber er fordert! Er könne ihm leider, schreibt er an Wesendonk, seine Schulden nicht bezahlen, dagegen gründe der König ein Theater und eine Schule für seine Werke, »diese würden also, auf München beschränkt, nie das Mindeste durch den Weg des Verkehrs und des Publikums einbringen können.« (Das geht auf den Verlagsvertrag, den Wesendonk bevorschußte.) »Diese Werke aber sollen und müssen dem Könige von Bayern gehören, die Nibelungen können nur durch den König der Nation als Festgeschenk vorgeführt werden.« Nicht seine, des Freundes freundliche Hilfe habe dies zustande bringen können, nur ein König. Nun besitze er aber die Originalpartituren als Geschenk von Wagner: diese möchte er nun »freundlich und mild dem Könige abtreten ,… Ich bin gewiß, daß der König Sie nicht ohne Entschädigung läßt.« Soviel Mangel an Takt beantwortet der vornehme Wesendonk sofort durch Rückgabe des Einzigen, was er je von Wagner erhalten. Der König schreibt ihm einen wundervollen Brief. Und schließlich, welch ein »Nachruf« für Wesendonk in Wagners Memoiren!

In Zürich war Herwegh Wagners vertrauter Freund. Später trennte er sich von ihm; ebenso Semper, durch lange Jahre ihm ehedem vertraut. Typischer Fall: Wagner veranlaßt den König, Semper für den Bau des Münchener Festspielhauses zu wählen. Semper macht Pläne. Der große Krach in München verhindert die Ausführung. Sogleich hat Wagner den Freund und die Pläne vergessen. Da wird Semper wütend, denn wer zahlt ihm nun seine Arbeit. Das ist kein junges Protégé, das ist ein berühmter Meister, sechzig Jahre alt. Zehn Jahre lang wechseln sie kein Lebenszeichen; als Greis versöhnt sich Semper.

Daß Wagner mit Bülow nicht mehr umgehen konnte, folgte aus der Geschichte seiner Ehe. Alles, was hierüber in diesem Zusammenhange zu sagen wäre, zu erörtern, hindern Gründe, die am Tage liegen.

Als Nietzsche Wagner verließ, behielt er immer die feinste Sympathie für ihn und sein Haus und übersandte ihm mit den bekannten Versen trotz allem sein neues Buch; Wagner hatte kein Wort für diesen Freund mehr als: »Es macht mir keine große Ehre, daß dieser mich gepriesen!« Wenige Jahre vorher hatte er ihm geschrieben: »Zu Cosima sagte ich, nach ihr kämen gleich Sie. Dann lange Zeit kein anderer.« Oder, ein andermal: »Genau genommen, sind Sie, nach meiner Frau, der einzige Gewinn, den mir das Leben zugeführt.«

Welcher Instinkt bricht sich durch solche bösen, erinnerungslosen Worte Bahn? Es ist Rache für Hingabe ohne Lohn.

Sie alle, diese Freunde, kamen von dieser Erde, der Wagner entstammte. Nur der König erschien ihm in einer Aureole, plötzlich, jung, schön, wie Lohengrin. »Im Jahre der ersten Aufführung meines Tannhäuser gebar mir eine Königin den Genius meines Lebens.« Hat Wagner diesen wundersamen Menschen, der ganz in seinen Händen lag, gebildet oder ausgenutzt?

Er liebte ihn, ja auch ihn, weil er sich von ihm vergöttert fühlte. Nur sah er ihn nicht! Im Anfang, noch ehe er ihn traf, schreibt Wagner: »Er liebt mich mit der Innigkeit und Glut der ersten Liebe: er kennt und weiß alles von mir und versteht mich wie seine Seele. Er will, ich soll immer bei ihm bleiben, er will mir alles geben, was ich dazu brauche ,… Denken Sie sich, wie ergriffen ich bin!« Dann, über den täglichen Verkehr am Starnberger See, in der ersten überschwenglichen Zeit: »Es ist ein hinreißender Umgang, dieser Drang nach Belehrung, dies Erfassen, dies Erbeben und Erglühen ist mir nie so rückhaltlos schön zuteil geworden. Und dann diese liebliche Sorge um mich, diese reizende Keuschheit des Herzens, jeder Miene, wenn er mir sein Glück versichert, mich zu besitzen.« Er entsinnt sich, als Jüngling geträumt zu haben, Beethoven träte leibhaftig vor ihn. »Etwas Ähnliches muß in diesem lieblichen Menschen vorgehen, wenn er mich hat.« Nie kommt Wagner der Gedanke, daß er hier vor einer Aufgabe steht, höchster Art und seltensten Wertes.

Aber wehe, wenn der königliche Freund etwas für sich will, was nicht Wagner will! Als dieser später in München dem Könige allein das Parsival-Vorspiel vorgetragen, wünscht der König, nun auch das Lohengrin-Vorspiel zum Vergleich zu hören. Das hält Wagner nicht aus, gibt den Taktstock weiter, geht. Dann wütet er zu Hause bei Tische vor den Gästen: die Größen der Erde dächten nur an sich, und mit einem schlimmen Blicke Lenbach aufs Korn nehmend, fuhr er fort: »Ob König oder Kaiser oder Bismarck – sie sind alle egal!« Lenbach protestiert. Wagner: »Lassen Sie mich doch mit Ihrem Bismarck in Ruh! Zeigt er auch nur das geringste Verständnis für das, was außerhalb seines Berufes liegt? Aber auch auf dem politischen Gebiete kann ich ihn nicht von Fehlern freisprechen. Nach Sedan mußte er, wenn er weitsichtig war, unbedingt Frieden schließen!« Hierauf geht Wagner ab, Lenbach greift nach dem Hut, Frau Cosima beschwichtigt, der Meister kommt zurück, Versöhnung Poschinger, Glasenapp..

Die Spannung mit dem Könige wuchs mit den Jahren. Gewiß war auch des Königs Exzentrizität schuld. Der König kommt zum Parsifal nicht nach Bayreuth. In den letzten Wochen vor seinem Tode in Venedig wird Wagner von dem königlichen Freunde wiederholt ersucht, den Parsifal (dessen Aufführung in München für das Jahr 84 bestimmt geplant war) dem Könige bald separat in München vorspielen zu lassen. Er braucht es gar nicht selbst zu tun: braucht nur ein Jahr vorher einem Fürsten zu geben, was ihm in jedem Sinne ganz und gar gehört. Wagner, der schon einmal abgelehnt, »wollte gar nicht erst den Brief lesen,« sondern ließ nur zurückschreiben: » Seine Gesundheit erlaube es nicht, ihm derartige Mitteilungen zu machen

Dies war Wagners letztes Wort an seinen königlichen Freund, dem er alles verdankte.


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