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»Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt.«
Schiller
Er war ein Prosaiker, seine Musik spricht Prosa, während Mozart in Versen spricht. Wagner befindet sich in guter Gesellschaft, auch Rembrandt spricht Prosa. Aber Wagner gab sich als Dithyrambiker. Hieraus entsteht der Zwiespalt.
Seine Musik wirkt optisch, man sieht Bilder. Ist diese Wirkung an sich unkünstlerisch, so daß der reine Musiker sich ihr bei »absoluter« Musik mehr und mehr entzieht, so ist sie doppelt störend, wenn zugleich das Auge andere, äußere Bilder sehen muß. Einklang von Geste, Ton und Wort, der Wagner vorschwebt, wird selten erreicht, nicht einmal dort, wo die Worte die Töne einzuladen scheinen (Parsifal: »O Klage, Klage! Furchtbare Klage!«); im besten Falle zugunsten der Geste, des Bildes, zum Schaden der Musik.
Aber auch in den rein orchestralen Vor- und Zwischenspielen, die vielleicht Wagners beste Musik enthalten, drängen sich die Bilder so sehr auf, daß über das Lohengrin-Vorspiel Liszt, Wagner und Baudelaire in drei verschiedenen Berichten darlegen konnten, was sie dabei innerlich gesehen. (Wagners Bericht ist ein Museum von »wonnig, schaurig, selig, verzückt, berauschend, keusch« usw.)
Man halte dies zusammen mit der hypnotischen Wirkung der Wagnerischen Musik, die grade den Unmusikalischen in eine gewisse Trance versetzt, ferner mit der Fülle von Zauber, Brunst und Jungfräulichkeit, und man versteht die Wirkung auf die Jugend. Ließe sich die Musik von Elsas Brautgemach, vom Schluß des Siegfried, vom ersten Aktschluß der Walküre zeichnen und ihr ganzer Gehalt in Blättern erfassen: man würde diese Dinge wie gewisse griechische Vasen oder obszöne Radierungen Rembrandts in separaten Kabinetts und nur für Kenner aufbewahren. In der Oper sitzen die jungen Mädchen und fühlen sich ahnungsvoll getroffen.
Zugleich regt das Motivische den Verstand an. Die Wiederkehr der Motive vor und nach den Szenen mahnt zur Aufmerksamkeit auf den Text. Bevor Wagner einen Ton am Holländer schrieb, komponierte er die Ballade der Senta und verbreitete dann nach vor- und nach rückwärts ihre Motive; er wollte die Oper Dramatische Ballade nennen und könnte das noch mit anderen Opern tun. Auch die ganze Lohengrin-Musik strahlt von der Ballade am Schlusse zurück, die im Vorspiele klug vorweggenommen ist. Große Wagnerianer, wie die Brüder Bonnier, haben in einer eigenen Schrift erklärt, wie die ganze Partitur der Meistersinger auf ein einziges Motiv zurückgehe. Als Wagner im Jahre 48 die Dichtung Siegfrieds Tod entwarf, fünf Jahre bevor er die erste Note schrieb, verzeichnete er auf einem Zettel acht Takte aus dem Trauermarsch des dritten Aktes, den er 26 Jahre später schrieb.
Die Eindringlichkeit, mit der Wagner alles zehnmal sagt, läßt ihn seine Motive möglichst simpel wählen und in szenischer Anschauung verdeutlichen. Im sinnlichsten Moment: wenn die Sonne das Gold bescheint, kommt das Rheingoldmotiv zum ersten Male. (Man denkt!) Niemand kann das einfache Signal aus sieben Tönen vergessen, das Schwertmotiv heißt. Ebenso einfach ist das diatonisch gehaltene Motiv von Walhall.
Sinnfällig wirkt ferner alles Tonmalerische. Statt die Seele des Wassers und des Feuers, statt seine »Idee« darzustellen (Zauberflöte), ahmt Wagner es wirklich nach: genau wie er sich gedrungen fühlte, Naturlaute nachzudichten, und viele freuen sich über so photographische Ähnlichkeiten der Elemente, Sehr faßliche akustische Nachahmungen glücken ihm am besten: der Waldvogel, den er sehr schön stilisiert (vgl. die Pastorale) oder die vielen Hornrufe (Tannhäuser, Lohengrin, Siegfried) oder ein kriechender Wurm (vgl. die Schöpfung) oder das Galoppieren der Pferde. Aber auch andre Dinge, zum Beispiel die Spitze des Schwertes (beim Eid in der Götterdämmerung) wird von der Trompete glänzend nachgeschliffen.
Auch hier ist alles recht faßlich gemacht, während selbst die Pastorale landschaftlich bleibt, und etwa im Fidelio nur ganz vereinzelt einmal das Graben des Grabes tonmalerisch dargestellt wird. (Man vergleiche schließlich selbst Webers Wolfsschlucht mit Wagners Drachenkampf.)
Diese Musik – in toto – ist weder göttliche Mathematik (Bach) noch dämonische Metaphysik (Beethoven), sondern Tonmalerei in einem weitesten Sinne.
Wagner liebt liedertragende Stoffe (Tannhäuser, Meistersinger, Walküre, Siegfried). Stoßen solche nicht Wagners pro domo-Theorien um? Sie bestätigen sie vielmehr. Denn die Seltenheit dieser »Nummern« erhöht ihre Wirkung so sehr, daß jeder gern bereit ist, ihren Wert zu überschätzen. Hier wird einmal der Hörer erlöst. Dafür rollt Wagner vor- und nachher das melodische Material weit und dünn aus, wie einen Teig. Typisches Beispiel: das Preislied in den Meistersingern. Erst kommt es in der Ouvertüre, dann bestreitet es das ganze Mienenspiel im Anfang, im zweiten Akt werden wir erinnert, es nicht zu vergessen, schließlich kommt es als Nummer: der Ritter singt es zweimal dem Sachs, dann einmal der Eva vor, schließlich noch dem Volke. Ganz im Stile einer Arie singt Siegfried das schöne Schmiedelied, während das Orchester im Rhythmus des Blasebalges mitgeht, und wiederholt dann die Melodie. Ebenso ist Mimes Lied, ähnlich Siegmunds Liebeslied geformt.
Auch wegen der mehrstimmigen Sätze haben Wagners Gegner ihm den Abfall von seinen Theorien vorgeworfen. Umgekehrt stellen die Seinen ihn gern als Märtyrer seiner Ideen dar: als habe er alle Tage die schönsten »Melodien« fortgeworfen, weil sie nicht in das vor ihm schwebende Kunstwerk der Zukunft paßten. In Wahrheit ist nichts amüsanter, als das Raffinement zu verfolgen, mit dem Wagner solche »Nummern«, namentlich zwei- und dreistimmige Stücke dort einsetzte, wo die Steppe der Erzählungen und der Sprechgesänge nach der Oase rief. Endlich, am Schluß des ersten, am Schluß des dritten Aktes von Siegfried: zwei Stimmen! Endlich zwei Stimmen für die Blutsbrüderschaft, drei für den Racheeid, drei Rheintöchter, oder gar die herrlichen fünf nach endlosen Dialogen in den Meistersingern!
Oben wurde der Ausnahmestellung gedacht, die dies Werk einnimmt. Ist es im ganzen das unwagnerischeste – an musikalischem Stil, an Stoff, an Versen, an Weltanschauung, vor allem an Erotik –, so würde es dennoch nie genügen, um allein gegen die übrigen neun Werke zu zeugen. Man muß, will man ihm gerecht werden, diesen wie jeden Künstler durchaus bei seinem Hauptwerk erfassen; als welches er und die Welt den Ring bezeichnet und immer betrachtet haben. –
Der entscheidende Punkt in Wagners Entwicklung – man muß es hier noch einmal sagen – ist nicht jener von ihm selbst statuierte Beginn einer zweiten Periode, des »bewußten künstlerischen Schaffens«, in die er mit dem Nibelungenstoffe eingetreten sei. Das ist nur äußerlich richtig. Den entscheidend gefährlichen Schritt tut er viel früher, nämlich vom Tannhäuser zum Lohengrin: aus einem tropischen Walde in ein Treibhaus mit tropischen Blumen.
Dies eine Mal, im Venusberge, sprühte Wagner sinnliche Feuer aus. Hier ist Rubens, hier ist bacchisches Rasen, ungehemmter Strom, wilde Geschlechtlichkeit. (Man denke an die Schmettertrompeten und die dann zurückfallenden Holzbläser im Pariser Bacchanal.) Was hier seinen musikalischen Ausdruck findet, namentlich in der Pariser Bearbeitung, ist kaum je gemalt worden Rubens bleibt immer noch Aristokrat. Der berüchtigte Griff im Venusfest, in der Tänzergruppe links, rührt von täppischen Schülern her., gedichtet höchstens von Aretino und niemals musikalisch ausgedrückt. Hier ist reine Glut. Was tut's, daß Wagner, hier zum erstenmal von seinem Lebenskrampf erfaßt, behauptete, dies alles wäre nur Vorspiel, wäre nur Relief für die Reinheit und Tugend, die dann siegt! Wagners journalistischer Elan vertieft den theatermäßig gewollten Kontrast nachträglich folgendermaßen: »Aus dem Übermaße der Wonne, die er in Venus Armen gewonnen, sehnte er sich nach dem Schmerz: diese tief menschliche Sehnsucht sollte ihn dem Weibe zuführen, das nun mit ihm leidet, wogegen Venus sich nur mit ihm freute!« Mit urkräftigem Behagen verfolgen wir, wie Wolfram, Walter, Biterolf und die anderen, wie sich der edle Landgraf und die tugendhafte Nichte vergeblich bemühen, der Venus musikalisch Konkurrenz zu machen. Wo Elisabeth selbst mehr sagt, als sie sollte, bei ihrem Eintritt singt sie schön. Wo sie charakteristisch wird, banal, etwa an den Stellen: »Der Unglückselige, den gefangen ,…« oder: »Ein furchtbares Verbrechen ward begangen« oder: »Mit ihnen sollst du wallen zur Stadt der Gnadenhuld.« Wir denken bei diesen Tönen vorwärts an die unsäglich trockene Szene, als Fricka dem Wotan die Heiligkeit der Ehe, der Verträge, der allgemeinen Tugend vorhält, wir denken, wie karg es überall bei Wagner der Entsagung geht, die er doch den poetischen Grundzug seiner Werke nannte, – und fahren aus diesen Gedanken noch einmal entzückt zusammen, wenn im dritten Tannhäuser-Akte plötzlich die alten Klänge wieder nahen: »Das ist der Nymphen tanzende Menge! Herbei! Herbei! Zu Wonn' und Lust!«
Venusberg und Brautgemach, die musikalischen Höhepunkte von Tannhäuser und Lohengrin, drücken polare Gegensätze aus. Vom Lohengrin an herrscht die Schwüle des Brautgemaches, gesteigert oder gedämpft in allen Liebesmusiken, die Wagner folgen läßt, Tristan stets ausgenommen; herrscht jene Schwüle, das Korrelat seiner krampfhaft überdeckten Sinnlichkeit, wie wenn man im Kamin mit feuchtem Holze heizt; es glüht, aber es schwelt. Im Parsifal endlich wird Wasser auf das Feuer geschüttet, jedoch nur so viel, daß es nicht ganz verlöschen kann.
Dies ist die Wirkung jener endlosen Chromatik, die durch den Mißbrauch des verminderten Septimen-Akkordes schwach und billig wird Nach Helmholtz wird die Klangfarbe der Instrumente bedingt durch Zahl und Art ihrer Nebentöne. Die Zahl der erregten Nervenfasern, also die Energie des Nervenreizes, wächst mit der Zahl und nahen Nachbarschaft der Nebentöne. Wagners Blechinstrumente haben viele Obertöne und leiden an allseitiger Harmonie. Die Chromatik wirkt darum stark nervenaufregend, weil sie Töne einschließt, die dem natürlichen Zusammenklingen der Nebentöne fremd sind und bei ihrer Nähe zum Hauptton in dessen Erregungssphäre eingreifen müssen..
Jemand bewunderte den alten Wagner, wie er den Venusberg komponieren konnte und nun den Parsifal. Er antwortete: » Alles schreit! Es ist dasselbe im Venusberg wie im Tristan. Dort verrieselt es in Anmut, hier in den Tod. Überall der Schrei!« Ähnlich heißt es in seiner Schrift über Beethoven: »Aus Träumen, wenn sie ängstigen, erwachen wir mit einem Schrei, in welchem sich ganz unmittelbar der geängstigte Wille ausdrückt ,… Wollen wir nun den Schrei in aller Abschwächung seiner heftigsten bis zur zartesten Klage des Verlangens und als das Grundelement jeder menschlichen Kundgebung an das Gehör denken ,…, so dürfen wir uns über die Entstehung einer Kunst aus diesem Element nicht verwundern.«
Nun aber wird der kurze Schrei in die Länge gezogen. Kurzes Ausbrechen der Sinne gibt es nicht mehr. »Glaube mir,« schrieb er nach dem Rheingold, »so ist noch nicht komponiert worden: ich denke mir, meine Musik ist furchtbar. Es ist ein Pfuhl von Schrecknissen und Hoheiten!«
Elsa und Parsifal haben musikalisch sowie dichterisch den schlimmsten haut-goût. »Noch einen Ruf an meinen Ritter! Wohl weilt er fern und hört ihn nicht.« Dies endet, ganz wagnerisch, im Halbtonschritt, und sehr kennzeichnend überschreibt er die Phrase mit den Worten: » sehr unschuldig«. Selbst die Zuhörer auf der Bühne reagieren wagnerisch: Der Chor singt: »Wie faßt uns selig-süßes Grauen.« Als Ortrud das Mädchen dann zum ersten Male versucht: »Daß nicht ein Unheil dich umgarne,« fragt Elsa: »Welch Unheil?« und zwar »mit heimlichem Grauen«; während das Frageverbot aus der dunklen Ecke springt Auch Sieglinde grüßt Siegmund »mit heiligem Grauen, als dein Blick zuerst mir erblühte«..
»Laß fest, ach, fest an mich dich drücken,« mit jener berüchtigten Chromatik: das wird von nun an das kraftlos gedehnte Hauptthema der meisten Liebesszenen. Vom Lohengrin an wird das Erotische überall ins Wollüstig-Unerlöste gezogen. Ein Höhepunkt wird durch den andern überboten. Das sind Explosionen in riesigen Kesseln, die durch einen Kniff gehindert werden zu springen.
In Wagners Kopfe werden die brünstigen Motive dreifach besetzt. Das offizielle Textbuch mit Erläuterungen unterscheidet allein in der Szene im Brautgemach: »Liebeswerbemotiv, Liebesentzückenmotiv, Liebesseligkeitmotiv, Liebesweihethema.« Im Siegfried gibt es offiziell: »Entzückensmotiv, Hingebungsmotiv, Liebesbundmotiv, Liebesglückmotiv, Liebesglutmotiv, Liebesverwirrungsmotiv, Wälsungenliebemotiv, Siegfriedliebemotiv.« Die erotische Suggestionskraft steigt gen Himmel, bis sie endlich am Schlusse der Götterdämmerung in achtzig Motiven auf die alte Nibelungenhalle herabstürzt und der alte, ehrliche Rhein sie alle mitsamt der Halle verschlingt.
Alles lüstert umher, wird schlüpfrig, man gleitet aus. Inmitten furchtbarer Fortissimi öffnen sich plötzlich, wie Klüfte zwischen Kämpfern, riesige Pausen und gähnen eine lange Weile, stumm.
Aber eine neue Jugend tritt staunend zurück, nach einem halben Jahrhundert, wendet sich ab und bekennt: Dies ist nicht unsere Welt, nicht dies, nicht dies!