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Rerum novarum cupidus

»Der Deutsche ist nicht revolutionär, sondern reformatorisch.«

Wagner

Hier hast du mein Testament. Ich kann nun sterben. Was ich nun noch tun könnte, kommt mir wie unnützer Luxus vor.« Die Worte, mit denen der Vierzigjährige dem Freunde seine längste und deutlichste Neuerungsschrift »Oper und Drama« übersandte, stehen nicht vereinzelt. Oft hat Wagner gefühlt, daß er in erster Reihe Reformator war. Zuweilen äußert er sich befriedigt, ein Paradigma gegeben zu haben. An Mathilde: er frage sich, ob er für die Aufführung seiner früheren Werke sorgen oder neue schreiben solle, »Woran mag mehr gelegen sein? Ich glaube fast, mehr an dem ersteren. Ob noch einige Werke dieser Art der Welt geschenkt werden, ist dem Weltgeiste wahrscheinlich gleichgültiger, als daß diese Art Werke überhaupt, ihrem Wesen nach, der Welt vollkommen verständlich erschlossen werden ,… In einem gewissen, sehr tiefen und dem Weltgeist einzig verständlichen Sinne kann ich mit meinen neuen Werken jetzt mich nur noch wiederholen: ich kann keine andere Wesenhaftigkeit mehr offenbaren.« Schreibt so der typische Künstler, nahe dem fünfzigsten Jahre? So schreibt der typische Reformator.

Sämtliche Schriften Wagners sind polemisch, im Sinne seiner Neuerungen; selbst die platonischesten Abhandlungen aus allen Gebieten beginnen oder enden irgendwie mit einer Hymne auf das Kunstwerk der Zukunft oder seine Folgen. Zuweilen war er ganz darauf eingestellt. »Für Kunst und Leben« sollen die Freunde eine neue Zeitschrift gründen, während er fort sein muß. »Jedes Heft müßte allemal eine vollkommene Ladung enthalten, die auf irgendeinen morschen Turm losgelassen würde; ist er umgestürzt, so geht es das nächste Mal auf einen anderen los, und so fort. Die Kanonade dauert so lange, als Munition da ist. Das wäre nobel und dienlich, und wäre ich in Deutschland, so könnte ich solche fliegenden Hefte ganz allein besorgen, – vielleicht wäre dies auch vom Auslande aus möglich!« Man glaubt, die Kampflust eines Achtzehnjährigen zu hören. Er ist sechsunddreißig. Immer treibt er die literarischen Freunde zur Eile an, alles soll »möglichst schnell ins Leben gerufen werden«. Und immer heißt es dann in seinen Schriften: die »wahre« Musik, das »wahre« Ideal.

Als sich später die Dinge zu verwirklichen beginnen, wird notwendig aus dem Reformator ein Organisator. Da war Wagner groß. Da muß man seine Entwürfe und Vorschläge lesen: wie er im Jahre 49 einen »Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters im Königreich Sachsen« verfaßt: alles ist greifbar, vorbildlich, zugleich ganz realisierbar und rentabel, alles geht bis ins kleinste.

Oder einige Jahre später, ähnlich: »Ein Theater in Zürich«, eine Schrift, in der er nachweist, »wie auch die bescheidensten Mittel bei rechter Verwendung auf edle Zwecke bedeutende Erfolge erzielen könnten.« Oder, wieder zehn Jahre später, sein »Bericht über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule«, zur Belebung der Konservatorien. Vorschläge für die neue Oper in Wien, für die Goethe-Stiftung in Weimar: alles in einer Fülle und Umsicht, die er erst in Bayreuth verwirklichen konnte. Schon zwanzig Jahre vorher dachte er daran, ein Holztheater bei Zürich, später ein Theater am Rhein »aufzuschlagen«.

Zehn Jahre vor der Grundsteinlegung stellt er, im Vorwort zur Ringdichtung, alles bis ins einzelste dar: kleine deutsche Stadt, Amphitheater, verdecktes Orchester, Sänger aus ganz Deutschland, nur mit einer Aufgabe befaßt, die »herbeigeeilte Menge«, und sein weltgewandter Sinn weiß auch hier, womit man in solchen Ankündigungen am besten wirkt: »Im vollen Sommer wäre für jeden dieser Besuch zugleich mit einem erfrischenden Ausfluge verbunden, auf welchem er mit Recht zunächst sich von den Sorgen seiner Alltagsgeschäfte zerstreuen soll. Statt daß er wie sonst, nach mühsam ,… hingequältem Tage des Abends ,… sich zu zerstreuen sucht, wird er diesmal sich am Tage zerstreuen, um nun, bei eingetretener Dämmerung, sich zu sammeln.« An alles hat er gedacht, sogar an das Essen in den Pausen, »in sommerlich freier Abendluft«. Fünfzehn Jahre vor Eröffnung; dreizehn vor Beendigung des Werkes, das er aufführen will.

Anfangs behauptete Wagner, er wollte der Kunstheiland nicht sein, nur sein Johannes. »Das Kunstwerk kann jetzt nicht geschaffen, sondern nur vorbereitet werden, und zwar durch Revolutionieren, durch Zerstören und Zerschlagen alles dessen, was zerstörens- und zerschlagenswert ist. Das ist unser Werk, und ganz andere Leute als wir werden erst die wahren schaffenden Künstler sein.« So spricht er im Anfang. Später erwacht die Begier. Später entschließt er sich, »die Bitterkeit dieses Geständnisses in sich zu dem berauschenden Genusse umzuwandeln.«

Hätte Wagner eine Ästhetik hinterlassen, deren Verwirklichung wahrhaft erst nach jenem »veränderten gemeinsamen Zustand« beginnen konnte, – sein Geist wäre frei gewesen. Nun, umgekehrt, zwang ihn sein Wirkungswille, nicht etwa durch »Berechnung«, sondern rein instinktiv, die neuen Forderungen nach Maßen zu ordnen, die er selbst ausfüllen konnte. Daraus entstand dies Netz von Postulaten an den neuen Künstler, die alle an Wagners Fähigkeiten und bis zu Wagners Grenzen gemessen waren.

In seiner optimistischen Art kam er auch hier zu dem Schlusse (in jenem Brief an Mathilde), »daß ich vielleicht beides vereinigen könnte, in Zwischenpausen oder nach dem Kampfe wieder süße Ruhe finden und auch meine Werke noch vollenden würde.« Wieder taucht hier das Grundmotiv empor: Verschmelzung, mit der Wagner zeitlebens alle Künste und Weltanschauungen, alle Charaktere und Schwierigkeiten des Lebens, alle Gaben und Aufgaben ausgleichen wollte. Wagner konnte nicht wählen, weil der Ekstatiker nichts aufgeben mag.

Nirgends in der Geschichte der Künste fallen Reformator und Reformierter zusammen (es erübrigt sich, die nächsten Einwendungen: Lessing, Goethe, Lionardo aus handgreiflichen Gründen abzuweisen), denn auch hier beginnen Umwandlungen mit Vernichtungen. Der Reformator reißt immer erst ein, um langsam aufzubauen, der Künstler baut immer an der Stelle weiter, wo er seine Kunst vorfindet. Jener fängt stets von unten an, dieser steigt stets auf die oberste Sprosse der längsten Leiter.

Wagner hat eine neue Entwicklung erzwingen, er hat sie, vom Krampf getrieben, sich sogleich beweisen wollen. Daran leiden seine späteren Werke.


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