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Die tiefste Einseitigkeit produzierender Menschen erzeugt in ihnen Ehrfurcht vor fremdem Geist: Künstler erster Ordnung pflegen Erzeugnisse anderer Künste übertrieben zu bewundern. Dagegen die Wagner-Naturen, zu schwach, die Welt nach ihrem Willen, zu eitel, ihr Werk nach den Gesetzen der Welt zu formen, gleichen den hübschen Brunnen italischer Höfe: ohne Ermüdung sprühen sie Wasser, nicht eben hoch, doch ohne Pause und fangen es im eigenen Bassin, wo es denn unsichtbar wieder zurückfließt, um in scheinbar erneutem Strahl ins alte Licht zu sprühen. Aber große Künstler entfliehen sich selbst, wie der Strom aus unerschöpflicher Quelle.
Wagner hat beinahe alle Kategorien schöpferischer Tätigkeit mißbraucht, wagnerisch gesprochen, »die Erlöserinnen vergewaltigt«. Seine philosophischen Aspirationen sind unter allen darum die ungefährlichsten, weil sie nicht System wurden. Die Hauptschriften blieben hier nur Projekte. Fast vierzigjährig war er entschlossen, sich ganz der Philosophie hinzugeben: noch den Jungen Siegfried und zwei komische Opern nach Volksmärchen zu machen, dann aber sein »Leben der Zukunft« zu verfassen, worüber er einem Jünger manches mitgeteilt. (Dieser, Ritter, überliefert, was er gehört, »ginge über alles«.) Ferner nennt er in einem kurzen Abriß über das Genie zwei Pläne: »Die Erlösung des Genies« und »Das Leben der Zukunft«. Schließlich wird, mit Benutzung seiner Dramen, ein ganzes System gebaut, die sogenannte Regenerationslehre, die in dem Satze steht: »Wir erkennen den Grund des Verfalls der historischen Menschheit, sowie die Notwendigkeit einer Regeneration derselben; wir glauben an die Möglichkeit dieser Regeneration und widmen uns ihrer Durchführung in jedem Sinne.« Warum sind alle diese Dinge bei einem so vorzüglichen Kopfe nur Pläne, warum ist auch dies letzte Gelöbnis, im Ton einer Thronrede vorgetragen, noch nicht einmal Theorie geworden?
Hat Wagner, nach seinen Worten, alle seine Fähigkeiten in der Ekstase verschmelzen müssen, um zu wirken, so hat er alle ästhetischen Kategorien durchrast, um sich zu decken. Er glich einem Feldherrn, der mit kleinem Heer ein großes Land zu schützen suchte, indem er es mit größter Beweglichkeit von einem Ende zum anderen warf: Er war also Journalist.
Manche schelten diesen Künstler, daß er geredet habe, statt zu bilden. (Goethes Wort ist mißverstanden worden; er wußte selbst, warum er es nicht befolgte.) Wagner war klüger als diese Scheltenden. Er schreibe nur, meint er, um sich verständlich zu machen: ungern, nur wie einer, der erfüllt, was ein anderer für ihn tun müßte (dieser andere, hoffte er, sollte später Nietzsche sein). Weil er nun sofort auf eine suggestible Menge wirkte, jedoch eine Minderheit zum Widerspruche zwang, die außerhalb der Suggestion geblieben, schrieb er eben jener Minderheit Aufsätze und Bücher, Programme, Pamphlete, Novellen und Essays, um sich zu decken. Nachdem er dies alles seinem Hauptwerke vorausgeschickt und geschworen, nie mehr eine Zeile zu schreiben, schrieb er später ebenso viele Bände, um sie dem Werke gewissermaßen nachzuschicken. Sechzigjährig preist er sich selbst glücklich, daß er zur Schriftstellerei befähigt sei, »denn ohne ihre Hilfe hätte ich, etwa bloß so mit der Leier in der Hand, es unmöglich aushalten können. Wenn sich daher Tasso damit tröstet, daß ihm ein Gott gab, zu sagen, was er leidet, erlaube ich mir, mich dessen zu freuen, daß es mir beschieden war, hierüber auch zu schreiben!«
Der tiefere Grund seines journalistischen Fiebers war das Reformatorische, war der Wunsch nach Propaganda; der tiefste war jener unmusische Wille zur Wirkung, war die Nötigung dieses Kopfes, viele Instrumente zugleich zu spielen.
Darum hat Wagner zwölf Bände geschrieben, rein journalistisch, aber unter den tiefsten Titeln. Selbst die größeren Schriften aus der ersten Zeit, die seine ganze Ästhetik enthalten, geben sich höchst allgemein, aber nur im Beginne. Wie könnte sich sonst dieser Unplatoniker auf hundert platonische Dinge werfen! Wenn Wagner von einer Weltanschauung spricht, ist er nach drei Seiten beim Theater: weil dies der Zipfel der Welt ist, den er hält. Oben gießt er die Probleme der Welt in die weite Rundung, dann verengt sich sehr rasch der Trichter, und plötzlich ist man aus dem Meer einer Regenerationslehre, eines politischen Umschwunges oder eines neuen Atheismus in die Wagner-Kanäle gelangt: zum »Wort – Ton – Drama«, zum Sprechgesang, zum opus theatralicon. Dann erst hat er Eigenes zu sagen, man kennt seine monomane Art.
Dieser dithyrambische Dramatiker wirkt als Prosaist am stärksten, wenn er spottet oder wenn er haßt. Man darf seine Gaben auf diesem Felde nicht nach den Memoiren »Mein Leben« schätzen. Sie sind jetzt das bekannteste, gewiß das schlechteste Buch, das er je geschrieben: der Versuch, einen alten, mitgenommenen Rock durch Aufhängung in einer Ruhmeshalle zu heiligen.
Sein Haß (Vitalität) schärft seinen großen Intellekt, und was ein Feind auch gegen Wagner schreiben möge, immer wird er hinter Wagners Ausdruck der Feindschaft zurückbleiben. Nie, auch nicht in den bösesten Pamphleten aus der Nibelungenzeit, nie hat ihn ein Mensch so begeifert, wie Wagner das mit seinen Feinden tat. Erfinderisch, etwa wie Brahms als Melodiker, ist Wagner als Pamphletist, in immer neuen Vergleichungen und Bosheiten gegen die zeitgenössische Musik aller Länder, (man denkt an Schopenhauer gegen Hegel). In diesem Sinne ist sein Aufsatz über Rossinis »Stabat mater« ein journalistisches Meisterstück.
In glänzenden Formulierungen erinnert er manchmal an Nietzsche: »Klavier: Abstraktion des Orchesters zugunsten des Egoismus.« Häufiger an Heine: »Oratorien: geschlechtlose Opern-Embryonen.« Oder: »Auch das Komponieren scheint ihn (Joachim) mehr verbittert als andere erfreut zu haben.«
Wirklich fand Wagner als Journalist oft jene Epigramme, die man in seinen Dramen vergeblich sucht.