Bernhard Kellermann
Der 9. November
Bernhard Kellermann

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2.

Hedis Herz pochte vor wilder Erregung.

»Die Liebe, meine süßeste Prinzessin –.«

Dumpfe Trommeln und schrille Pfeifen. Rote, grüne, gelbe Riesenlampen, Zelte, Diwane. Die Musiker trugen scharlachrote Turbane und grünspanfarbene Gesichtslarven mit langen Fransen. Sie hockten auf einem Diwan in der Ecke.

Schon jetzt herrschte in Ali Babas Räuberhöhle Gedränge.

Ein sonderbares Holzinstrument dudelte, und aus einem bronzenen Dreifuß stieg eine betäubende Wolke von Wohlgerüchen empor. Die beiden halbnackten Schwarzen kredenzten Erfrischungen.

»Die Liebe, meine Prinzessin – so banal es klingt, ist eine Bauernfängerei der Natur, eine Illusion zweier Narren –.«

»Ah!«

»Genau wie die Ehe eine Bauernfängerei der Gesellschaft ist, eine Illusion einer Masse von Narren.«

»Also du glaubst nicht an die Liebe?«

»Nein, nein, ich glaube nur . . .«

»Nun?«

»Darf ich es dir ins Ohr sagen?«

Diese geistvolle Unterhaltung führten Hedi, die Prinzessin in Silber, und ein wild aussehender Räuber mit vermummtem Gesicht, in billardgrünem, durchlöchertem Burnus. Sie kauerten dicht nebeneinander mit angezogenen Beinen auf einem Diwan. Die Prinzessin näherte nun dem Räuber ihr Ohr, sprang aber sofort auf, als der Räuber ihr sein Glaubensbekenntnis ins Ohr flüsterte.

»Pfui, wie häßlich!«

»Auch du nicht stark genug für die Wahrheit?« Enttäuscht schüttelte sich das vermummte Gesicht.

Da verbeugte sich ein zerlumpter Bettelmönch vor Hedi 212 und hielt ihr eine Schale hin, eine ausgehöhlte Kokosnußschale, die er an einer dünnen Kette am Handgelenk trug. Der Bettelmönch war völlig in Tuchlappen von einem eigentümlichen, unangenehmen, schmutzigen Gelb eingehüllt, wie eine Mumie. Sogar die Arme. Er trug einen orangeroten Turban, mit dicken grünen Schnüren umwickelt. Seine Augen blendeten.

»Wer bist du?« fragte Hedi und warf eine Zigarette in die Schale. Ihr Herz stockte.

Der Bettelmönch hob die Schale zur Stirn und verneigte sich. Wieder blendeten seine Augen.

»Wer ist es?«

»Ich kenne ihn nicht. Gottlob sind alle Gesichter vermummt. Welch eine herrliche Idee! Um wieviel gewänne dadurch das Leben!«

Hedi blickte in die kleinen, raschen Augen des Räubers, blitzende Pechtropfen. Wer war es, der sich an ihre Fersen heftete und sie nicht mehr losließ? Seine Keckheit gefiel ihr, auch der Unsinn, den er sagte. Ein großer Diamant gelblichen Feuers sprühte an seiner kurzfingrigen, gepflegten Hand.

Schon jetzt glühte Hedi am ganzen Körper. Ja, heute, heute, in dieser Nacht, mußte es geschehen, in dieser Nacht mußte es sein! Was mußte geschehen, was mußte sein? Das wußte sie selbst nicht.

Betörend dudelte das sonderbare Holzinstrument in Hedis kleines Ohr.


»Halt, einen Augenblick, Verehrtester!«

Professor Salomon zwängte sich blitzschnell zwischen zwei nackten Rücken hindurch, einem heißen, rosafarbenen, mit großen Poren, und einem kühlen, glatten, kantig geschnittenen, elfenbeingelben, mit verwirrenden, rabenschwarzen Kräuselhärchen im Nacken, blitzschnell und vorsichtig, um seinen Frack nicht mit Puder einzufetten. Der Professor war 213 trotz Doras Verbot im Frack. Er fand es entwürdigend, sich mit bunten Lappen zu behängen. Aber er trug die Rosette des Eisernen Kreuzes im Knopfloch.

Soeben hatte er einen Bekannten erspäht, der sich gerade das Auge mit dem Taschentuchzipfel auswischte. Die Feder eines Kopfputzes war ihm ins Auge gefahren. Es war ein ganz besonderer Glücksfall, denn der Bekannte war ein gewaltiger Schürzenjäger, so aber war er gezwungen stillzuhalten.

Das fette Kürbisgesicht des Professors strahlte. Es muß leider gesagt werden, daß der Schädel des Professors einem halbausgewachsenen, etwas gelblichen Kürbis mit großen, abstehenden Ohren glich. Professor Salomon, Gründungsmitglied des Vereins zur Raschen Zerschmetterung der englischen Welttyrannei, Vorstand des Bundes Barbarossa, vorher fast unbekannt, hatte es während des Krieges zu einer Art von Berühmtheit gebracht. In diesem Kürbisschädel waren die wirtschaftlichen Gutachten entstanden, die die Marine als Unterlage für den unbeschränkten U-Boot-Krieg benötigte. Professor Salomon hatte seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit der Admiralität gelöst. Nunmehr bekleidete er einen einflußreichen Posten im Auswärtigen Amt.

»Wichtige Neuigkeiten«, rief der glänzende Kürbis. »Die Wissenschaft triumphiert – trotz aller Zweifel unserer Anglomanen.«

Der mit Diamanten übersäte Perser, in Ali Babas Gefangenschaft geraten, schielte ihn hilflos mit seinem tränenden Auge an. Er war ihm vollkommen ausgeliefert.

»Wir haben Meldungen, daß in ganz Schottland schon kein Pfund Mehl mehr aufzutreiben ist, und in Südwales gab es eine Hungerrevolte«, zischelte der Kürbis.

»So?« Der impertinente Ton wandelte den gelblichen Teint des Kürbis augenblicklich in tiefes Scharlachrot.

»Und Sie haben immer gezweifelt, gerade Sie waren 214 immer derjenige! Auf Grund genauester wissenschaftlicher Unterlagen, völlig einwandfreier Statistiken –.«

Der Perser wischte sich die Tränen von den Wangen. »Ich pfeife auf Statistiken, mein Lieber. Das Konversationslexikon genügt mir. Völlig abgesehen davon –«

»Völlig abgesehen?«

Der Professor verfolgte den fliehenden Perser.

»Völlig abgesehen davon –.«

»Hören Sie –.« Der Professor versuchte den fliehenden Bekannten festzuhalten. »Die Engländer haben kein Grubenholz mehr. Die englischen Bergwerke versacken – Sie entfliehen –?«

Der Perser stürzte sich verzweifelt mitten in den Malstrom der Tänzer.

»Ah, ah, so sind sie, so sind sie alle«, murmelte verzweifelt der Kürbis.

Schon hatte er einen neuen Bekannten erspäht. Aber gerade, als er sich ihm nähern wollte, geriet er in einen Wirbel von Foxtrottänzern.

In demütiger Haltung, sich ohne Aufhören verbeugend, ging der zerlumpte Bettelmönch von Raum zu Raum und rasselte mit der Schale. Seine Brust keuchte erregt, und seine Augen blinkten in jedes Frauengesicht.

Wer bist du?

Er ging weiter. Seine Augen drangen hinter die Schleier, glitten über Hände, Ohren, Hüften, Füße.

Wer bist du?

Plötzlich zuckte er zusammen. Eine Hüfte – nichts als das Wiegen einer Hüfte beim Tanze . . . Ohne jede Rücksicht stürzte er sich zwischen die Tänzer. Laut rasselte er mit der Schale vor einer etwas üppigen Haremsdame, die wie ein Kolibri in allen Farben schillerte.

Die Haremsdame blieb – unwillkürlich – stehen und sah ihm in die Augen.

»Wer bist du?« 215

Aber stumm verbeugte sich der Bettelmönch. Bis zur Erde. Seine breite Brust wogte unter den Lumpen.

Die Haremsdame lachte – nur Dora konnte eine derartige Fontäne von Gelächter hervorsprudeln.

»Du bist wohl stumm?«

Der Bettelmönch nickte. Aber so oft Dora vorüberkam, verbeugte er sich und rasselte mit der Schale, seine blinkenden Augen folgten ihr überall hin.

Schon war es ihm gelungen, Doras Neugierde zu wecken.

 


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