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Weihnacht 1940

Seltsame Weihnacht neunzehnhundertvierzig
in diesem London, dunkel und bedroht,
noch scheint sie friedlich, und kein Feind verirrt sich
zu unserm Haus mit seiner Ladung Tod.
Wir wollen uns das alte Fest erzwingen,
der Baum erglänzt, wie einst zuhaus, geschmückt,
wir möchten, wenn wir uns Geschenke bringen,
vergessen, was uns ängstet und bedrückt.
Im Rundfunk hören wir die fernen Glocken,
noch einmal essen wir und trinken gut
und lassen uns in einen Leichtsinn locken.
Der Henkersmahlzeit grimmer Uebermut
gespenstert um den Tisch; ich spür' es schwelen:
den Mord, der eine Pause sich erlaubt;
das rührende Sekundenglück der Seelen,
die sich verschweigen, was die Ruhe raubt,
das Scheinbild eines Friedens, diese Fratze,
die etwas Fürchterlicheres verhüllt,
bis plötzlich ausgeruht die Tigerkatze
uns wieder anspringt und im Blutrausch brüllt.
Noch starren ringsum die zerstörten Stätten,
steht da und dort auch ein verschontes Haus,
als ob die Frevler aufgespart es hätten
für einen letzten, teuflisch großen Graus,
zur Orgie der endgültigen Vernichtung,
wenn der Verhaßte ruchlos Rache nimmt.
Weihnachten neunzehnhundertvierzig: Dichtung,
die seltsam künstlich zwischen Schlachten glimmt!

Gedichtkreis


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