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Sommer-Phantasie

Die Sonne überm See läßt uns gesunden,
dir schmeckt im Dorfgasthaus die derbe Kost,
der Landwein kann im Freien köstlich munden,
und gern versäumen wir die letzte Post,
um später erst zu Fuß uns aufzumachen,
wenn kurz vor Dämmerzeit dem Licht gelingt,
den Farbenbrand noch einmal zu entfachen,
eh ihn das Dunkel zum Erlöschen bringt.
Der Abendwind streift zärtlich das Getreide,
aus seinem Waldgeheimnis tritt das Wild
und geht noch einmal witternd auf die Weide,
und alles ist ein altes Märchenbild.
Den Wiesenweg umduften würzige Kräuter,
der grüne Strom rinnt rasch von Stein zu Stein,
die Kühe finden sich mit vollem Euter
am Kreuzweg zur vereinten Heimkehr ein.
Bald nahen sich der Ortschaft erste Zeichen;
der Schützenstand, das Bad am Brückenwehr;
bevor die Helligkeiten ganz erbleichen,
tanzt überm Schuttplatz noch ein Mückenheer.
Der Friedhof bleibt allein mit seinen Toten,
der Pfarrer liest im Garten das Brevier.
Der Bäckerladen riecht nach frischen Broten,
das Klosterbräu nach kühlem Kellerbier.
Sind wir hier wieder sommerlich zuhause
mit allem, was den Sinnen wohlbehagt,
gönnt das Geschick uns diese Atempause,
eh es uns weiter durch die Fremde jagt?
Wie trunken stehn wir auf dem Traumbalkone,
der Bergbach rauscht, es rauscht die Sommernacht,
die Welt erklingt in uns vertrautem Tone,
es perlt die Arie der Sternenpracht.
Vielleicht darf nichts aus diesem Fest uns wecken,
bleibt uns, was karg und freudlos macht, erspart.
Wir lassen uns das Sommerliche schmecken,
und keine Post holt uns zur letzten Fahrt.


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