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An einen Freund in Deutschland

Freund, du kannst dich von dem Land nicht trennen,
das auch mir die liebe Heimat bleibt:
ihre Sterne mir im Herzen brennen,
wohin immer mich der Haß vertreibt;
dennoch hab' ich mich von ihr geschieden,
zog ich dieses Flüchtlings-Schicksal vor,
mir zu wahren des Gewissens Frieden,
als die Heimat sich im Wahn verlor.

Glaube: mir auch ist es schwer gefallen;
schwerer, als es mein Gedicht bekennt,
hatte sich mein Leben von dem allen,
was ihm stete Bleibe schien, getrennt,
von dem eignen wohnlichen Gemache,
manch gemütlich langer Wirtshausnacht,
und vom edlen Gut der Muttersprache,
die mich meinen Engel hören macht.

Auch von dir, mein Freund, und deinesgleichen,
von der Herzensträgheit, die euch hegt;
euer Wort schallt wie aus Schattenreichen,
wo nichts Menschliches den Dunst bewegt.
Manchmal doch in schlaflos dunklen Stunden,
die der Hauch der Ewigkeit umrauscht,
haben unsre Träume sich gefunden
und, wie früher, Tröstliches getauscht.

Denn ich weiß von deinen schwachen Tagen,
wenn der Zweifel insgeheim dich plagt,
daß bei peinlich vorwurfsvollen Fragen
jede Selbstbeschwichtigung versagt,
wenn Erinnerungen wiederkommen:
hatten wir nicht kürzlich noch, vereint,
viel Erbauliches uns vorgenommen,
das dich jetzt nur zu beschämen scheint?

Sollten wir uns jemals wiedersehen,
wird es wie nach Sintflutjahren sein:
keiner wird den andern mehr verstehen,
gegnerisch sich weisen Dein und Mein,
alles Heimatliche dich umgeben
wie ein leer gewordner, fremder Raum,
doch für uns erblühn zu vollem Leben
aus dem rein gehaltnen Flüchtlingstraum!


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