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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Mehr von Mrs. Joplin.

Eines Tages um die Mittagszeit wurde der Hof, welcher sich der Wohnung Mr. Grabman's zu rühmen hatte, aus der bei hellem Tageslicht dort gewöhnlich herrschenden Ruhe durch das Erscheinen von zwei Männern gestört, die keine Bewohner des Ortes zu seyn schienen. Die schmutzigen, mißtrauischen Bewohner, die müßig an den Thüren standen, machten große Augen und als sie einen jener Männer genauer betrachteten, zogen sich die meisten hastig in ihre Wohnungen zurück. Darauf konnte man in jenen Häusern ein Gemurmel des Schreckens und der Unruhe vernehmen. Der Häscher war da – ein Bowstreetbeamter Die »Bow Street Runners«, benannt nach dem Amtslokal auf der betreffenden Straße, waren Londons erste professionelle Polizeieinheit. Die Truppe bestand ursprünglich aus sechs Männern und wurde 1749 von dem Richter Henry Fielding gegründet, der auch als Schriftsteller bekannt war (»Tom Jones«, 1849). im Hofe! Die beiden Männer blieben stehen, sahen sich rings um und indem sie vor dem alten thurmähnlichen Hause stillhielten, wählten sie die Klingel, welche den Bewohnern des Erdgeschosses zur Linken anzugehören schien. Bei diesem Zeichen ließ Bill, der Einbrecher, unvorsichtig sein Gesicht durch sein vergittertes Fenster sehen; mit erstaunlicher Geschwindigkeit zog er es wieder zurück, aber nicht zeitig genug, um dem Auge des Bowstreetmannes zu entschlüpfen.

»Oeffnet die Thüre, Bill – 's ist nichts zu fürchten – ich habe keinen Auftrag Euretwegen, auf Ehre. Ihr wißt, ich täusche nie. Warum auch? Oeffnet die Thür, sag' ich!«

Keine Antwort.

Der Beamte klopfte mit seinem Stock an das schmutzige Fenster.

»Bill, hier ist ein Herr, der Euch um eine Nachricht ersucht, und er will gut dafür bezahlen.«

Bill erschien wieder am Fenster und guckte sehr behutsam durch die Stäbe.

»Ei, lieber Himmel, Mr. R–! sind Sie es? Was sagten Sie denn von gut bezahlen?«

»Euer Zeugniß wird gebraucht, in ganz unschuldiger Angelegenheit. Es wird Euch gar nichts schaden und wenigstens fünf Guineen in Eure Tasche bringen«

«Zehn Guineen!« sagte der Begleiter des Gerichtsbeamten.

»Sie sind ein Mann von Ehre, Mr. R–!« sagte Bill mit Nachdruck, »und ich kann an Ihnen nicht zweifeln. Darum treten Sie nur ein.«

Damit zog er sich vom Fenster zurück und bald nachher wurde die Thür geöffnet und Bill bat mit einer Verbeugung die Gäste, in sein Zimmer zu treten.

Während der Zwischenzeit hatte der Einbrecher Muße genug gehabt, jede Spur der gewöhnlichen Erziehungsinstrumente seiner hoffnungsvollen Kinder zu beseitigen Die Kleinen saßen am Boden und spielten Nadelschieben; der Gerichtsbeamte klopfte freundlich auf ein Paar Lockenköpfe, während er vorüberging, zog einen Stuhl an den Tisch und setzte sich ganz wie zu Hause, nieder. Darauf setzte sich Bill selbst bedächtig nieder, knöpfte seine Weste auf und ließ den Gästen die Enden von einem Paar Pistolen erblicken. Mr. R–'s Gefährte schien durch diese bedeutsame Handlung wenig beunruhigt. Er heftete einen festen forschenden Blick auf den Einbrecher, der ihm, wie Bill später sagte, durch und durch ging, und indem er eine Börse hervorzog, durch deren Geflecht die Goldstücke angenehm blitzten, legte er dieselbe auf den Tisch und sagte:

»Diese Börse gehört Ihnen, wenn Sie mir sagen, was aus einer Frau, Namens Joplin geworden ist, die Sie in dem Dorfe ***, in Lancashire, im Jahre 18– verließen.«

»Und,« fiel Mr. R– ein, »der Herr wünscht das zu wissen, ohne irgend eine nachtheilige Absicht gegen die Frau. Es wird ihr zum Vortheil gereichen, wenn wir ihren Aufenthalt erfahren.«

»Also, auf Ehre?« sagte Bill.

»Auf Ehre!«

»Nun gut, ich habe ein Herz im Busen, und wenn es so ist und ich dem Weibe, das ich liebte, einen Vortheil verschaffen kann – warum nicht?«

»Freilich, warum nicht?« sagte Mr. R–. »Und da wir nicht nur zu wissen wünschen, was aus Mrs. Joplin, sondern auch was aus dem Kinde geworden ist, das sie aus *** mitnahm, so fangt beim Anfang an und erzählt uns Alles, was Ihr wißt.«

Bill besann sich.

»Wie viel ist in der Börse?«

»Achtzehn Goldstücke.«

»Machen Sie zwanzig draus – ja? – also zwanzig – abgemacht! Nun will ich ordentlich anfangen. Sie müssen wissen, daß ich, da ich einige Monate, nachdem ich mit Peggy Joplin *** verlassen hatte, in Lancaster in's Gefängniß kam, die Frau aus den Augen verlor. Als ich frei wurde und nach London kam, vergingen wohl sieben Jahre, bis ich sie plötzlich bei der Ecke von Common-Garden wieder traf. ›Ach, Bill,‹ sagte sie. ›Ei, Peggy!‹ sag' ich und wir küßten einander herzlich. ›Werden wir wieder zu einander kommen?‹ sagte sie. ›Ach nein,‹ – sag' ich – ›Ich hab' ein Weib genommen, die gut ist, und Brod verdient mit sieben kleinen Kindern! Ja, Peggy, was ist denn aus Deinem Kleinen geworden?‹ Denn sie hatte, wie Sie sagten, Sir, ein Kind zur Pflege übernommen. ›Ach,« sagt sie, während sie wie toll lacht, ›ach, den Kleinen bin ich los geworden, als Du im Gefängniß saßest, Bill.‹ – ›Und wie denn?‹ sag' ich. ›Nun, es bettelte eine Frau dort bei St. Paul's Kirchhof – da stellt' ich mich, als säh' ich vom weiten eine Freundin – haltet den Kleinen ein Bischen, sag' ich zu der Frau – ich muß dort geschwind mit einer Freundin reden. So nahm sie den Kleinen und ich sah' ihn niemals wieder.‹ ›Aber werden sie nicht nach dem Kinde fragen, die es Dir gegeben haben?‹ – ›Ach nein,‹ sagt Peggy, ›sie haben es schon zu lang' im Stich gelassen, das Geld ist längst aufgezehrt und es ist schwer genug jetzt, nur Einen Mund zu sättigen.‹ ›Nun gut,‹ sag' ich, ›wo hältst Du Dich denn auf, ich will Dich gelegentlich einmal besuchen.‹ Sie gab mir den Ort an in Lambeth (ich besinne mich nicht genau mehr) und wir sind gar oft bei einander gewesen.«

»Und wo ist sie jetzt?« fragte Mr. R–'s Gefährte.

»Das weiß ich nicht genau, aber ich kann sie finden. Sehen Sie, als mein armes Weib starb, künftige Weihnacht vor vier Jahren, und mich mit einer so hübschen Familie verließ, wie sie der alte König Georg auf der Terrasse in Windsor um sich sah, von allen Größen und Altern, bis zum Säugling auf dem Arm herunter, (denn der Kleine da war nur ein Jahr alt und mußte mit dem Löffel aufgefüttert werden,) und die größeren, die Sie nicht sehen, haben alle außerm Hause ihr gutes Fortkommen, Mr. R–!«

Mr. R– lächelte bedeutsam.

Bill begann wieder: »Was sollt' ich machen? Ja, als mein Weib starb, da braucht' ich Jemand, um die Kinder zu warten, und so nahm ich die Peg in's Haus. Ach aber, sie behandelte sie übel, sie hat ein hartes Herz – nicht wahr, Bob? Bob ist ein kluges Kind, Mr. R–. Wie ich nun gerade daran dachte, sie nächstens wieder los zu werden, da sagt ein Herr, der oben im Hause wohnt – ein Advokat, der meinen Hals gerade erst gerettet hatte, indem er ein Alibi bewies, Mr. R–, – dieser sagt, ›das ist ein behendes Geschöpf, Ihre Peg!‹ Denn sehen Sie, der Herr hat mich oft besucht, seit er hier, drei Treppen hoch, die Wohnung Nr. 9 eingenommen hat. ›Ich habe mit ihr gesprochen und gefunden, daß sie sich zur Krankenpflege paßt. Ich hab' einen Freund, der einen kranken Oheim hat; können Sie die Frau entbehren, Bill, damit sie den Mann wartet?‹ – ›Das kann ich,‹ sag' ich, ›Ihnen zu dienen.‹ Also packte Peg ihre sieben Sachen zusammen und ging.«

»Und wie hieß der kranke Herr?« fragte der Begleiter des Mr. R–.

»Es war ein Mr. Varney, ein Maler; ich habe Peg seitdem aus dem Gesicht verloren; denn wir hatten unsern Streit um die Kinder, und sie ist ein böses Weib. Aber wo sie ist, können sie bei Mr. Varney hören, wenn er noch lebt.«

»Und führte diese Frau immer den Namen Joplin?«

Bill grinste. »So eine Närrin war sie nicht. Jener Name stand zu oft in Ihren schwarzen Büchern, Mr. R–, als daß er sich für eine anständige Krankenwärterin gepaßt hätte; nein, damals hieß sie Martha Skeggs, was der Name ihrer Mutter war, ehe sie heirathete. Brauchen Sie noch mehr, meine Herrn?«

»Ich bin zufrieden,« sagte der fremde Gast, indem er aufstand. »Hier ist die Börse, und Mr. R– wird Ihnen noch zehn Goldstücke dazu bringen. Leben Sie wohl.«

Bill begleitete mit ungeheuren Bücklingen und höchst freundlich seine Gäste hinaus und begann darauf über die Maßen fröhlich mit seinen Kindern zu jubeln. Und der ganze Familienkreis befand sich in einem Zustande der stürmischsten Freude, als sich plötzlich die Thür öffnete und Grabman, die Reisetasche in der Hand, mit Staub bedeckt und unrasirt, hineintrat.

»Ah, Nachbar! Ihr Diener – Ihr Diener, – so eben zurückgekommen! – Immer so lustig! ich konnte nicht unterlassen, ich mußte hereinsehen! Ei Bill, was ist das! ah, Sie sind sehr glücklich!« fügte Mr. Grabman hinzu, indem er auf ein Häufchen Goldstücke zeigte, die Bill aus der Börse genommen, um sie zu zählen und auf der Spitze des Zeigefingers zu wägen.

»Ja,« sagte Bill, das Gold in seine Tasche steckend; »und was meinen Sie, was mir diese blanken Dinger eingebracht hat? Ja, wer anders als die alte Peggy, das Weib, das Sie von mir nach Clapham gebracht haben.«

»Nun, laßt nur die Peggy seyn, Bill! ich möchte gern wissen, was Sie mit Margarethe Joplin gemacht haben, welche Sie, Sie schlauer Verführer, von *** wegbrachten –«

»Ei, liebster Freund, Peggy ist Joplin und Joplin ist Peggy! und ihr verdank' ich all' die schönen Bildnisse Sr. Majestät hier!«

»Verwünscht,« rief Grabman aufs Höchste erstaunt »der junge Bursche hat mir das Spiel wieder verdorben!« Damit ergriff er seine Reisetasche und schoß aus dem Hause, in der Hoffnung, wenigstens in Clapham vor seinen Nebenbuhlern einzutreffen.


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