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Während dieser Konferenz zwischen jenen verabscheuungswerthen Nacht- und Raubvögeln unterhielt sich Helene mit ihrem Geliebten im Garten. Die herbstliche Sonne – denn man befand sich in der zweiten Oktoberwoche– schien freundlich durch die gelblichen Blätter des ruhigen Buschwerks und auf die Blumen, die mit dem Sommer erstorben gewesen wären, wären sie nicht in Folge der zarten Pflege, trotz der späten Jahreszeit, noch frisch geblieben; und nun lächelten sie dankbar den Vorüberwandelnden zu.
»Ja, Helene,« sagte Percival – »ja, Du wirst meine Mutter lieben, denn sie gehört unter jene Personen, welche Liebe an sich fesseln, als wäre sie ein ihnen gehöriges Eigenthum. Selbst mein Hund Beau (Du weißt, wie sehr Beau an mir hängt!) legt sich stets zu ihren Füßen nieder, wenn wir daheim sind. Ich gestehe, sie ist stolz, allein es ist ein Stolz, der Niemand verletzen kann. Du weißt, es gibt manche Blumen, welche wir stolz nennen. Der Stolz der Blume ist nicht harmloser, als der meiner Mutter. Aber vielleicht ist Stolz nicht das rechte Wort. Es ist vielmehr die Abneigung gegen alles Niedere und Gemeine, die Bewunderung für alles Hohe und Reine. Ach, wie sehr wird selbst dieser Stolz, wenn es Stolz ist, dazu beitragen, sie Dir lieb zu machen, meine Helene!«
»Du brauchst mir nicht zu sagen,« sagte Helene mit ernstem Lächeln, »daß ich Deine Mutter lieben soll; ich liebe sie bereits – ja, vom ersten Augenblick, wo Du sagtest, daß Du eine Mutter hättest, schlug ihr mein Herz entgegen. Deine Mutter! wenn Du je wirklich eifersüchtig bist, so müßtest Du es ihretwegen seyn! Allein, daß sie mich lieben wird, das ist es, was ich bezweifle. Denn wenn Du mein Bruder wärest, Percival, so würde ich ebenso eifersüchtig um Dich seyn. Es müßte eine Nymphe aus dem Strome steigen, eine Sylphide müßte sich aus der Rose erheben, ehe ich zugeben könnte, daß Dich eine Andere von meiner Seite stehle. Und wenn ich weiß, daß ich dies schon als Deine Schwester fühlen würde, wie viel höher muß dann nicht das seyn, was Deine Mutter zufrieden stellen soll?«
»Du und Du allein kannst es,« antwortete Percival »Du, meine süße Helene, kannst es weit besser, als Nymphe oder Sylphide, um die ich mich, ehrlich gestanden, ganz und gar nicht, auch nicht einmal in einem Gedichte, kümmere. Wie wird Dir Laughton gefallen! Weißt Du auch, daß ich die ganze letzte Nacht schlaflos gelegen habe, weil ich überlegte, welches Zimmer Dir wohl am besten als Dein eigenes gefallen würde? Und endlich entschied ich mich für eines – hör' an– es öffnet sich von der Gallerie, über dem Saale. Vom Fenster übersiehst Du die südliche Seite des Parks und gewahrst auch ein Stück von dem See darüber hinaus. In der Wand befinden sich zwei Nischen, die eine für Dein Piano, die andere für Deine Lieblingsbücher. Es ist Raum genug da, um bequem vier Personen aufzunehmen. Unsere Mutter und mich, Deine Tante, die wir inzwischen in gute Laune gebracht haben werden – und wenn Ardworth sich mit dorthin bringen läßt, der beste Gesellschafter von der Welt, so wird, denke ich, unsere Gesellschaft vollständig seyn. Beiläufig, ich bin in Unruhe um Ardworth's willen; wir haben ihn lange nicht gesehen; drei, ja fünf mal war ich bei ihm, aber sein wunderlicher Schreiber schwört stets, er sey nicht daheim. Nun sage mir, Helene, die Du ihn so gut kennst, sage mir, wie ich ihm dienen kann! Du weißt, ich bin so erschrecklich reich (wenigstens werde ich's nach ein Paar Monaten seyn); ich kann mein Geld nie durchbringen, wenn mir meine Freunde nicht helfen. Und ist es nicht schrecklich, daß dieser wackere Mensch so arm seyn und sich doch ›Freund‹ von mir nennen lassen soll, als wenn in der Freundschaft der Eine Alles entbehren müßte und der Andere nichts. Ich weiß jedoch nicht, wie ich ein Anerbieten wagen soll – Du verstehst mich, Helene – laß uns mit einander Rath halten, und ihm aufhelfen, mag er wollen oder nicht«
Dieses leichte, kindliche Geplauder Percivals war es, was ihm den Weg zu Helenens Herzen, ja auch zu ihrer Seele gebahnt hatte. Denn in demselben erkannte sie (eine große unentwickelte Dichterin) eine edlere Poesie, als wir in Reime zu bringen pflegen, nämlich die Poesie edelherziger Thaten. Sie suchte die warme Hand, die sie gefaßt hielt, zu küssen, und schmiegte sich dichter an seine Seite, während sie sprach: »Und manchmal, lieber, lieber Percival, staunst Du, daß ich lieber auf Dich, als auf Mr. Varney's bittere Beredtsamkeit, oder selbst auf meines lieben Cousins ehrgeizige Worte höre. Sie sprechen recht gut, aber nur von ihnen selber, während Du –«
Percival erröthete und hieß sie schweigen.
»Nun gut,« sagte sie, – »jetzt zu Deiner Frage. Ach, Du kennst meinen Cousin wenig, wenn Du glaubst, alle unsere Schlauheit vermöchte ihn seiner rauhen Unabhängigkeit untreu zu machen, und so sehr ich ihn liebe, ich könnte es nicht einmal wünschen. Aber fürchte nichts für ihn: er gehört unter die, die dazu geboren sind, ohne Hilfe ihr Glück zu machen.«
»Woher weißt Du das, kleine Prophetin?« sagte Percival, mit der überlegenen Miene des Mannes. »Ich habe mehr von der Welt gesehen als Du, und ich sehe nicht ein, warum Ardworth sein Glück machen könnte, wie Du es nennst; oder weshalb er es weniger machen könnte, wenn er in eine bessere Region käme, als jene Höhle in Gray's Inn ist, und wenn er mich für ihn sorgen und ihm einen Diener halten ließe.«
Hätte Percival davon gesprochen, daß er John Ardworth einen Elephanten und einen Palankin Sänfte. halten wollte, so hätte dies Helenen nicht mehr Spaß machen können. Sie schlug so entzückt in die kleinen Hände und lachte laut auf, so daß sich Percival dadurch gereizt fühlte; als sie jedoch den Unmuth im Gesicht ihres Geliebten ausgedrückt fand, sagte sie mit mehr Ernst:
»Kennst Du nicht das Gefühl, wenn man von etwas überzeugt ist, und es doch nicht erklären kann? So geht es mir hinsichtlich meines Cousins Ruf und Glück. Gewiß mußt auch Du es fühlen, ohne es Dir erklären zu können, wenn er von der Zukunft spricht, die mir so trüb und so fern scheint, wie von etwas, was ihm angehört.«
»Sehr wahr, Helene,« sagte Percival, »er breitet die Zukunft aus wie eine Karte von seinen Gütern. Man möchte lachen, wenn er so unbekümmert spricht: ›In dem und dem Alter werd' ich meinen Gerichtsbezirk haben – in dem Alter werd' ich reich seyn – in dem Alter werd' ich ins Parlament treten.‹ – Armer Bursche, er wird dann dreiundvierzig Jahr alt seyn! Dreiundvierzig! O, wie alt, wie alt! Und bis dahin solche Entbehrungen zu leiden!«
»Wer in der Zukunft lebt, kennt keine Entbehrungen,« sagte Helene, indem sie mit jener edlen Erkenntniß erhabener Charaktere, die bisweilen durch ihre kindliche Einfalt sichtbar ward, vorherzeigte, was ihr reiferer Geist, wenn der Himmel ihr Leben schonte, dereinst entwickeln könnte; »für Ardworth gibt es das nicht, was man Armuth nennt. Er ist in seinen Hoffnungen so reich, als wie in –« Sie brach kurz ab, erröthete und fuhr mit niedergeschlagenen Augen fort: »Ebenso gut könntest Du mich auf diesen Gängen bemitleiden, die ohne Dich so traurig sind. Ich lebe in ihnen nicht – ich lebe in meinen Gedanken an Dich.«
Ihre Stimme zitterte vor Bewegung bei den letzten Worten. Sie ließ Percivals Arm los und setzte sich schüchtern (und er neben sie) auf eine kleine Rasenbank unter dem einzigen Nußbaum, der seinen Schatten über den Garten warf.
Beide schwiegen einige Augenblicke – Percival in dankbarem Entzücken – Helene in einem der plötzlichen Anfälle geheimnißvoller Melancholie, denen ihre Natur so sehr unterworfen war.
Er ergriff das Wort zuerst wieder. »Helene,« sagte er ernst, »seit ich Dich kennen lernte, ist mir das Leben wie etwas Höheres erschienen, als ich es je zuvor betrachtet hatte. Mir scheint, als wäre noch eine neue und schwierigere Pflicht zu denen gekommen, für welche ich vorbereitet war – eine Pflicht, Helene, Deiner würdig zu werden. Wirst Du lächeln? Nein, Du wirst nicht lächeln, wenn ich sage, daß ich schon Augenblicke des Ehrgeizes gehabt habe. Bisweilen, als Knabe, den Plutarch in der Hand, müßig unter den alten Cedern zu Laughton hingestreckt, bisweilen auch als Seemann, wenn während einer Windstille auf dem atlantischen Meere meine Ohren wieder mit Geschichten von Collingwood und Nelson erfüllt wurden; da stahl ich mich von meinen Kameraden hinweg und blickte sinnend über das unendliche Meer. Aber als diese reiche Erbschaft auf mich überging, und ich selbst nicht mehr nöthig hatte, mein Glück zu suchen, mir meinen Rang zu schaffen, da wurden solche Träume seltener und seltener. Ist es nicht wahr, daß Reichthum uns damit verhöhnt, unberühmt zu seyn? Ja, ich verstehe, während ich spreche, warum gerade die Armuth Ardworths Energie stärkt, mich aber beugt. Aber seit ich Dich kennen lernte, theuerste Helene, kehren mir diese Träume lebhafter denn je zurück. Wer Dich in Anspruch nimmt, sollte, müßte wohl etwas edler als die Menge seyn! Helene!« und er erhob sich rasch von einem unwiderstehlichen Antrieb bewegt – »Ich werde nicht zufrieden seyn, bis Du ebenso stolz auf Deine Wahl bist, als ich auf die meinige!«
Während er so sprach und blickte, schien er das Knabenhafte auf immer abgestreift zu haben. Der ungewöhnliche Nachdruck und Ernst seiner Worte, denen sein Ton sogar Beredtsamkeit lieh – das feste Leuchten seiner dunkeln Augen – seine aufrechte elastische Gestalt – Alles hatte die Würde des Mannes. Helene blickte ihn schweigend an, mit so vollem Herzen, daß sie nicht zu Worten kommen konnte, und statt deren Thränen vergoß.
Dieser Anblick brachte ihn sogleich zu sich selbst. Er kniete neben ihr nieder, umschlang sie mit seinen Armen – es war seine erste Umarmung – und küßte ihre Thränen hinweg.
»Wodurch habe ich Dich betrübt? warum weinst Du?«
»Laß mich nur weinen, Percival, theurer Percival! Diese Thränen sind wie Gebet – Sie sprechen zum Himmel – und von Dir!«
»O!« begann sie dann wieder, als sie sich endlich sammelte, »wenn ich, wie mir bisweilen, gerade während Du bei mir bist, eine eiskalte und namenlose Ahnung zuzuflüstern scheint, wenn ich für so vieles Glück nicht bestimmt bin – wenn ich Dein Geschick nicht theilen kann – wenn wir getrennt werden!«
»Was kann uns trennen?« rief Percival in leidenschaftlicher Unruhe. Helene seufzte tief, und während sie sanft das Haupt neigte, sagte sie: »Nicht nicht auf dem nämlichen geweihten Boden der Altar und das Grab? Wenn ich vor Dir gehen sollte, Percival, so denke, daß ich Dich immer sehe, daß Deiner noch immer dieselbe glänzende Bestimmung harrt – denke, daß Derjenige, der so edel strebte, einer irdischen Liebe werth zu seyn, immer Gottes würdig seyn muß.«
Sie legte ihre Hand auf die seinige, als sie schwieg; ihre Berührung war kalt und diese Kälte drang ihm durchs Herz; die Thränen auf ihren Wangen waren getrocknet, aber sie glänzten noch in den andächtig emporgerichteten Augen. Er hätte gesprochen, allein die Stimme versagte ihm. Es zog etwas von ihren Ahnungen in sein eigenes Herz. Und während sie so schwiegen, näherte sich über den Rasen ein geräuschloser Schritt und zwischen ihnen und dem Sonnenlicht stand Gabriel Varney.