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Siebzehntes Kapitel.

Das Erwachen der Schlange.

Wie, o Dichter des düstern Glaubens, gleich dem Ebenholz zugleich dunkel und glänzend Man sagte von Tertullian, daß sein Styl, gleich Ebenholz, dunkel und glänzend sey. ( Anm.d.Verf.), – wie konntest Du, ehrwürdiger Lucretius, es für süß halten, von der Höhe des Ufers dem Sturme der See zuzuschauen, oder, sicher vor Gefahr, auf die Wuth der Schlacht zu blicken, oder, selbst ruhig in den Tempeln der Weisheit, fern auf die menschlichen Irrwege zu blicken? Ist es so süß auf Nebel zu schauen, von denen Du befreit bist? Hat das starke Gesetz des Mitgefühls keine Macht über Dich, und meistert nicht Dein Herz Deine Philosophie? Süß kann fürwahr des Menschen Sicherheit nicht seyn, wenn er zum Sturme sagt: Ich habe kein Schiff auf der See! oder zu den Göttern der Schlacht: Ich habe keinen Sohn im Gefecht! wenn er unterwegs auf den Jammer schaut und sagt: Weint nur, denn diese Augen wissen nichts von Thränen; wenn er unerschrocken die schwarzen Thaten des Verbrechers betrachtet und zu seinem Gewissen sagt: Du bist ruhig! Aber was ist der Anblick für ihn, der in allem Leben lebt, der die Natur im Sturme erforscht und die Vorsehung in der Schlacht, und der keine Philosophie anerkennt, die ihn der menschlichen Fesseln überhebt? Schweife, o Kunst, durch allen Raum, raffe alle Extreme zusammen und laß Staatsmänner in die Wohnungen blicken, wo kein Lehrer spricht und wo die Vernunft ungenützt untergeht! Laß die stolze Geisteskraft in ihrem Triumphe stillstehen und erwägen, ob Vernunft allein die Seele von ihren Versuchern erretten kann! – Nur der lebt rein und frei, der zu aller Zeit die menschlichen Neigungen wahrt, in welchen der Athem Gottes weht! Geh' hinaus in die Welt. o Kunst! – Geh' hinaus zu den Schuldigen, den Unschuldigen – zu den Weisen, zu den Stumpfsinnigen! – Geh' hinaus, gleich der ruhigen Stimme des Schicksals! – sprich, daß selbst das Gute hienieden unsicher ist! – stelle dar das entzückte Traumgesicht leidender Tugend durch die »Pforten der Schatten des Todes«! Zeige die dunkle Offenbarung, welche sinnbildlich die Tragödie des Alterthums gab! – wie unvollendet des Menschen Bestimmung, wie unenthüllt die göttliche Gerechtigkeit ist, wenn Antigone ewig im Felsen schläft und Oedipus auf ewig in der Grotte der Furien verschwindet! Hier, hienieden sind »die Gewässer mit einem Stein verdeckt und die Oberfläche der Tiefe ist gefroren!« Aber droben lebt Er, »welcher die süße Kraft der Plejaden binden und die Bande Orions lösen kann«. Geh' mit dem Schicksal über die Brücke – es verschwindet in dem Lande jenseits des Stroms! Der Ewige verlangt Ewigkeit für die Entwickelung seiner Geschöpfe und für die Ausübung seiner Gerechtigkeit!

Mitternacht war vorüber und Lucretia saß allein in ihrem düstern Zimmer; ihr Kopf ruhte auf ihrem Busen und die Augen waren auf den Boden geheftet, während ihre Hände auf den Knieen ruhten; es war ein Bild der Niederbeugung und Gebrechlichkeit, welches das tiefste Mitleid hätte erregen können. Die Thür öffnete sich und Martha trat ein, um, wie gewöhnlich, Madame Dalibard beim Schlafengehen behilflich zu seyn. Ihre Gebieterin erhob langsam die Augen bei dem Geräusch der geöffneten Thür, und diese Augen nahmen ihre forschende, durchdringende Schärfe an, während sie sich auf das blühende, ziemlich hübsche Gesicht der Kammerfrau richteten.

In ihrer reinlichen Haube, ihrem schlichten, netten Oberrocke – in der festen gelassenen Weise und einem gewissen frommen Ernste des Gesichts lag beim ersten Anblick dieses Weibes etwas, was demselben Achtung gewinnen mußte und jene guten zuverläßigen Eigenschaften von ihr erwarten ließ, die man von einer treuen Dienstperson verlangt. Bei genauerer Beobachtung aber konnte ein geübter Beobachter Vieles entdecken, was den ersten Eindruck schwächen, ja vielleicht verwischen konnte. Die außerordentlich niedrige Stirn, über welcher das steife, harte Haar so puritanisch gescheitelt war – die strenge Härte dieser dünnen schmalen Lippen, die so fest zusammengezogen waren – selbst eine gewisse Grausamkeit in den hellen, kalten blauen Augen, hätte ein unbehagliches, fast an Furcht grenzendes Gefühl erregen können. Des dicken Krämers wildes Kind zog sich instinktartig von ihr zurück, wenn sie in den Laden trat, um Einkäufe für die Wirthschaft zu machen – der alte graubärtige Hund im Wirthshause kroch in den Winkel, wenn sie über die Schwelle trat.

Madame Dalibard ließ sich schweigend in das anstoßende Schlafgemach schieben und eben so still war das Auskleiden fast vollendet, als sie plötzlich sagte:

»Also hast Du Mr. Varney's Oheim in seiner letzten Krankheit gewartet. Litt er viel?«

»Ein armes Geschöpf war er jedenfalls,« antwortete Martha; »aber ehe er verschied, machte er mir gar viel Unruhe. Er war ein elender Leichnam, als ich ihn zurecht legte.«

Madame Dalibard bebte vor den Händen zurück, die jetzt an ihr selbst beschäftigt waren, und sagte: »Es war also wohl nicht die erste Leiche, die Du in den Sarg gelegt hast?«

»Ich hatte mehreren den Dienst gethan.«

»Und war Jemand von denselben an der nämlichen Krankheit gestorben?«

»Das kann ich nicht sagen,« erwiederte Martha. »Ich frage nie darnach, woran die Leute sterben. Mein Amt wars, sie zu warten, bis es vorbei war, und dann bei ihnen zu wachen. Man sagt bei mir zu Hause: Riving Pike trägt eine Kappe, wenn schlecht Wetter werden soll.« »Wenn auf Riving Pike 'ne Mütze ruht.

»Und als Du bei Mr. Varney's Oheim wachtest, fürchtetest Du Dich nicht in der Nacht bei dem Todten? – Diesen Leichnam vor Dir – hattest Du keine Furcht?«

»Der junge Mr. Varney sagte, ich sollte keinen Schaden haben. O, er war ein hübscher Mann. Was sollte ich fürchten, Madame?« antwortete Martha mit entsetzlicher Einfalt.

»Du gehörtest, wie Du mir wohl gesagt hast, einer sehr frommen Sekte an – einer Sekte, die mir nicht fremd ist – bei welcher man selten von großen Verbrechen hört.«

»Ja, Madame, Manche von ihnen sind still genug, aber Andere treibens um so wilder!«

»Glaubest Du nicht daran, was sie Dich lehrten?«

»Ich glaubte es, als ich jung und thöricht war.«

»Und was störte Deinen Glauben?«

»Madame, der Mann, der mich, wie früher meine Mutter, unterrichtete, war der Erste, mit dem ich Gemeinschaft hatte,« antwortete Martha, ohne daß sich die blühende Gesichtsfarbe im geringsten veränderte, die auf ihren Wangen so fest zu ruhen schien, wie das Roth auf einem herbstlichen Blatte. »Nachdem er mich minirt hatte, wie die Mädchen sagen, sagte er mir, daß Alles Täuschung wäre.«

»Also liebtest Du ihn?«

»Der Mann war gut genug, Madame, und er betrug sich hübsch und verschaffte mir einen Gatten. Ich habe bessere Tage gekannt.«

»Schläfst Du in der Nacht gut?«

»Ja, Madame, ich danke; ich bin mit meinem Bette ganz zufrieden.«

»Es ist gut,« sagte Madame Dalibard, einen Seufzer unterdrückend, als sie sich jetzt, in ihrem Bett ruhend, nach der Wand kehrte. Martha löschte die Kerze aus, die sie nebst einem Buche und einem Feuerzeuge auf einem Tische vor dem Bette ließ, denn Madame Dalibard schlief nicht gut und las daher in der Nacht In der Vorlage: »die Nacht«.. Darauf zog sie die Vorhänge zu und ging.

Es mochte eine Stunde verflossen seyn, nachdem Martha zur Ruhe gegangen, als sich eine Hand aus dem Bette streckte, die Kerze anzündete, und Lucretia Dalibard sich aufrichtete; mit einer raschen Bewegung warf sie die Decken beiseite und stand in dem langen Nachtkleide auf den Dielen. Ja, der hilflose, gelähmte Krüppel erhob sich – stand auf den Füßen – gerade, elastisch, aufrecht! Es war eine Wiedererstehung vom Grabe. Nie war eine Veränderung auffälliger, als die so plötzlich bewirkte – nicht nur in der Gestalt, sondern auch im ganzen Charakter des Gesichts. Das einsame Kerzenlicht beleuchtete ein Angesicht, worin jeder Zug von unheimlicher Kraft und starker Entschlossenheit sprach. Hätte man sie erst, in ihrem falschen, krüppelhaften Zustande gesehen, hingestreckt und hilflos, und hätte sie hernach wiedersehen können – diese Augen, wenn auch eingefallen, doch voll Leben und Kraft – diesen Körper, wenn auch hager, doch aufrecht in gebietender Stellung, vollkommen in seinen Verhältnissen, wie ein griechisches Bild der Nemesis – das Staunen würde sich alsdann in Entsetzen verwandelt haben, so unnatürlich erschien die Umwandlung! so sehr widersprachen Ansehen und Haltung dem eigentlichen Charakter ihres Geschlechts, indem darin die beiden Elemente vereinigt waren, die am furchtbarsten am Menschen und am bösen Feinde sind – Verworfenheit und Macht!

Einen Augenblick stand sie regungslos, laut athmend, als wäre es ihr eine Freude, frei von Beschränkung zu athmen, und dann nahm sie das Licht und ging in das Nebenzimmer, wo sie ein Bureau in der Ecke aufschloß und sich über ein Kästchen beugte, das sie mit einer geheimen Feder öffnete.

Leser, erinnere Dich an jene Stelle in dieser Geschichte, wo Lucretia Clavering jenes Buch aus der Nische im Tapetenzimmer zu Laughton herabnahm, und sinnend die Stunden zählte, die einem Menschenleben geblieben waren. Erinnere Dich an den sündigen Gedanken, – siehe, wie er zur sündigen That angeschwollen und gereift ist! Da, in diesem Kästchen, hat der Tod seinen Schatz verwahrt. Darin ruhen alle mörderischen Erfindungen der Wissenschaft des Hades. Während sie nach den Ingredienzien suchte, die sie in Gedanken bereits erlesen, fiel etwas Schwereres, als die kleinen Packete, die sie ordnete, mit hohlem und dumpfem Klang auf den Boten des Kastens. Sie erschrack über das Geräusch und lächelte dann über ihre momentane Furcht, als sie den Ring, der den Ton veranlaßt, aufhob – ein einfacher und starker Ring, ähnlich jenen, die man im Mittelalter zum Siegeln brauchte, mit einem großen dunkeln Opal in der Mitte. Welches Geheimniß konnte dies Spielzeug mit seinen gräßlichen Gefährten im Schatzkästchen des Todes gemein haben? Dies war unter Oliviers Papieren gefunden worden; eine Note in jenem kostbaren Manuskript, welches den Händen seiner Erben die Schlüssel des Grabes übergeben, hatte das Geheimniß seines Nutzens entdeckt. Auf den Druck der Hand, indem eine verborgene Feder berührt wurde, sprang eine Spitze mit Widerhaken hervor, die in Gift getaucht war, ein Gift, tödtlicher als jenes, welches die Indianer der Cobra capella entnehmen – ein Gift, wogegen es kein Mittel gibt, welches keine Todtenschau entdecken kann. Es verdirbt die ganze Masse des Bluts – es steigt in Wahnsinn und Gluth zum Gehirn – es trennt unter Krämpfen die Seele vom Leibe. Aber wenn man den Todten untersucht – wie soll die Wirkung erklärt werden? wird man sich der Borgia's erinnern, wird man in einer skeptischen Zeit, wo solche unbekannt, nicht vermuthet sind, von dem Helden Machiavellis hören, wie ein Druck der Hand von einem Feinde befreien kann? Leichter und natürlicher ist es, eine beschädigte Stelle in der Haut und das geschwollene Fleisch um dieselbe zu besichtigen, und über die Gefahr zu sprechen, die ein rostiger Nagel, ja eine Nadel, erzeugen kann, wenn die Säfte verdorben und das Blut unrein ist! Die Fabrikation dieses Kunstwerks, und die Entdeckung der Erfindung Borgia's war das Meisterstück in Dalibar's Wissenschaft; ein merkwürdiger und wissenschaftlicher Triumph des Forschens, den der Erfinder und dessen Erben bisher nicht benutzt hatten; denn jenes Kästchen ist reich an einer Auswahl sanfterer Materialien; aber die Anwendung kann sich finden. Während sie den Ring betrachtete, zeigte Lucretia's Gesicht einen selbstgefälligen und stolzen Ausdruck.

»Stummes Andenken Cäsar Borgia's!« flüsterte sie – »des weisesten Kopfes und der kühnsten Hand, die je nach der Herrschaft griff – den Machiavell mit Recht als das Muster vollendeten Ehrgeizes pries. Warum sollt' ich wanken auf den Pfaden, die sein königlicher Fuß wandelte, blos weil mein Ziel kein Thron ist? Jeder Kreis ist in sich selbst vollendet, mag er um eine Kugel oder um einen Stern gehen. Warum in dem Glauben seufzen, daß der Geist sich selbst entehre durch die Finsterniß, in welcher er nach seinem Ziel geht, oder durch den Schmutz, durch welchen er die Höhe ersteigt? Obwohl er Mörder, Giftmischer und Brudermörder war, klebte doch kein Blut an seiner Geistesfähigkeit! kein Verbrechen verminderte den Reichthum seines Genies! War sein Vers minder melodisch Man weiß, daß Cäsar Borgia ein freigebiger Beschützer und trefflicher Kenner der Kunst war. Auch kennt man seine Beredtsamkeit. Aber nicht jeder Leser weiß vielleicht, daß jener entsetzliche Verbrecher auch ein Dichter war. ( Anm.d.Verf.), oder seine Kunstliebe minder tief, oder seine Beredtsamkeit minder stark, weil er jede Schranke zu beseitigen, jede Beleidigung zu rächen, jeden Feind zu zermalmen suchte?«

In der erstaunlichen Verdorbenheit, in welche ihre Seele versunken, flüsterte Lucretia so. Der Verstand war so lange zu ihrem einzigen Gotte gemacht worden, daß selbst das Ungeheuer der Geschichte nur durch seine rücksichtslose Geisteskraft ihre Verehrung erwarb und zu ihrem Beispiel und Führer erhoben wurde, als in dieser aufgeregten Stimmung ihr, oft minder schweigsames, Gewissen unter der Last der kommenden That begraben lag.

Obwohl sie bisweilen, wenn sie zurückblickte, von Verzweiflung bedrückt war, so schwächte doch kein Gewissensbiß wegen des Vergangenen diese Nerven, als die Stunde ihren Dämon heraufbeschwor, und der Wille den Ueberrest des Menschlichen als Maschine beherrschte.

Sie legte den Ring wieder hin – sie schloß den Kasten und das Bureau und ging dann wieder in das andere Gemach zurück.

Einige Minuten später ruhte das matte Licht, das sich vom Himmel (an welchem der Mond theilweise bedeckt war) durch das Treppenfenster stahl, auf einer formlosen Gestalt, in Schwarz gehüllt vom Kopf bis zum Fuß eine Gestalt, so dunkel und unbestimmt in ihren Umrissen, so übereinstimmend mit dem Dunkel ihrer Farbe, so verstohlen und rasch in ihren Bewegungen, daß man, hätte man sie, vom Schlaf erwachend, vor sich gesehen, gewiß nur an eine Täuschung der Phantasie geglaubt haben wurde.

So dunkel – durch die Dunkelheit – schlich die Giftmischerin zu ihrer Beute.


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