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Am nächsten Tage nützte Beck den Umstand, daß die Herrschaft außer dem Hause war, um den gutmüthigen Diener, der ihn unter seinen besondern Schutz genommen hatte, dahin zu bringen, ihn das ganze Haus besichtigen zu lassen. Er hatte die andern Diener sagen hören, es befänden sich da so viel schöne Sachen, daß ein Blick in die Zimmer so gut wie der Besuch einer Ausstellung sey, und der Kammerdiener fühlte sich stolz, den Cicerone zu machen, war es auch nur für Beck. Nachdem er zur Genüge den Bankettsaal, das Speisezimmer, den Waffensaal, die Büsten und die Gemälde angestarrt und mit offenem Munde seines Führers kritische Bemerkungen angehört, wurde Beck die große Treppe hinauf nach der alten Familiengemäldegallerie und in Sir Miles' altes Zimmer an dem Ende geführt, welches mit dem Bett im Winkel ungestört geblieben war; und als man von dort zurückkehrte, befand sich Beck in dem Corridor, der mit den vornehmsten Schlafzimmern in Verbindung stand und wo er sich in der vorigen Nacht verirrt hatte.
»Und was für ein Zimmer ist das mit dem kleinen weißen Kopf über der Thür?« fragte Beck, auf das Zimmer deutend, aus welchem Madame Dalibard gekommen war.
»Dieser weiße Kopf, Master Beck, das ist die Göttin Florian; aber was versteht ein Heide wie Du von Göttinnen! Florian hat einen halben Mond im Haar, wie Du siehst, was anzeigt, daß sie bei den abgöttischen Türken angebetet wird, denn das türkische Wappen ist ein halber Mond, wie ich in Konstantinopel gesehen habe! Ich bin gereist, Master Beck!«
»Und was für ein Zimmer ist das?« fuhr Beck fort.
»Ei, jetzt hat es die hübsche junge Lady, Miß Mainwaring. Da ist nichts drin zu sehen. Das dort aber, gegenüber,« und der Diener näherte sich der Thüre, durch welche Madame Dalibard verschwunden war, »das ist kurios; und da Madame Dalibard nicht zu Haus ist, so können wir gleich einmal hineingucken.« Er öffnete die Thüre sacht und Beck sah hinein. »Dieses, welches das Thurmzimmer heißt, gehörte der Madame Dalibard, als sie Mädchen war, wie ich die alte Bessy sagen hörte. Was mich anlangt, ich würde lieber in Deiner kleinen Bucht schlafen, als die großen mürrischen Gestalten da beim Kaminfeuer auf mich blicken lassen, die ihre Köpfe bei jedem Windstoß in der Winternachtschütteln.« Der Diener nahm dabei eine Prise Tabak, während er Becks Aufmerksamkeit auf die verblichene Tapete der Wände richtete. Während sie sprachen, verursachte der Zug zwischen Thür und Fenster, daß sich die düstere Tapete gleichsam wie lebendig bewegte, und für diese mehr abergläubischen als romantischen Leute hatte das Zimmer gewiß keinen einladenden Anblick.
»Nie seh' ich diese alten Tapetenzimmer,« sagte der Kammerdiener, »ohne an die Geschichte von der Lady zu denken, die, wie sie von einem Balle kam und ihre Juwelen ablegte, zufällig emporsah und da ein Auge an einer von den Gestalten erblickte, welches nicht in die Tapete gehörte.«
»Was war's denn?« fragte Beck, indem er die Behänge schüchtern emporhob und bemerkte, daß sich zwischen ihnen und der Mauer ein beträchtlicher Raum befand, der zum Theil mit festgemauerten Kästen und Kleiderschränken ausgefüllt war, jedoch mit Zwischenräumen, mehr als tief genug, um einen Menschen zu verbergen.
»Nun,« antwortete der Kammerdiener, »es war ein Dieb. Er war der Juwelen wegen gekommen; aber die Dame hatte die Geistesgegenwart, laut, wie zu sich selbst, zu sagen, daß sie was vergessen hätte; so schlüpfte sie aus dem Zimmer, schloß die Thür, rief die Diener, und der Dieb – der keine geringere Person war, als der Unterküper – ward erwischt.«
»Und die französische Frau schläft hier?« fragte Beck« sinnend.
»Französische Frau! Master Beck, nichts ist so gemein, als solche Spitznamen in einer distinguirten Stellung. Mag Alles seyn, wenn man mit Pfennigfuchsern zu thun hat; aber bei einem Herrn wie der unsere, da muß Respekt gelten. Ueberdies ist Madame keine französische Frau; sie ist eine von der Familie – und es ist eine so alte Familie, als irgend eines Lords in den drei Königreichen. Aber komm, Deine Neugier ist jetzt befriedigt und Du mußt zu Deinen Pferden zurück.«
Als Beck nach den Ställen zurückkehrte, wurde sein Verdacht immer stärker hinsichtlich der verbrecherischen Absichten der Gäste seines Herrn. Aus Helenens Zimmer war die falsche Gebrechliche gekommen. Helene mußte daher ohne Zweifel von dem Betruge wissen. Nun konnte der Zustand von Percival's Herzen in der Gesindestube kein Geheimniß mehr seyn, und während die Männer seine muthmaßliche Wahl höchlich priesen, glaubten die Weiber, daß die junge Lady allerdings einen guten Fang machte. Daß St. John auf die eine oder andere Weise von der ganzen Gesellschaft dupirt oder getäuscht werde, war Becks natürliche Ueberzeugung. Allein wie konnte er, was er gehofft hatte, ihre Pläne vereiteln? – Der arme Stallknecht, der nur zufällig einmal zu dem von den Herrschaften bewohnten Theile des Hauses Zutritt erhielt, und der auch nur selten, nur wenn man ausdrücklich nach ihm schickte, Percival zu Gesicht kam?
Der Tag verging ohne ein weiteres bemerkenswerthes Ereigniß. Der Doktor kam, sah Helenen, veränderte die Arzneien in etwas, (die in der Hauptsache mit den Vorschriften des Londoner Arztes im Einklang standen,) und war immer noch voll Hoffnung auf guten Erfolg.
In der Stille der Nacht, als das Haus in Schlaf begraben zu seyn schien, schlich Beck ohne Schuh aus seinem Schlafgemach, und da er jetzt den zu nehmenden Weg seinem Gedächtniß genau eingeprägt hatte, schlich er in den Winkel des Schlafzimmerganges, und indem er die Thür am Ende öffnete, schlüpfte er dahinter und wartete dort. Um dieselbe Stunde, wie das vorige Mal sah er die dunkle, unbestimmte Gestalt kommen, diesmal aus Madame Dalibard's eigenem Zimmer, das Helenens betreten, darin wenig länger als einen Moment weilen, wieder erscheinen, und wieder, dunkel und schweigend wie eine ziehende Wolke, in demselben Gemach verschwinden, aus dem sie gekommen war.
Die Kürze dieses Besuchs überraschte den Lauscher. Was konnte die Tante zu sagen haben, das sich in so kurzer Zeit sagen ließ? Befriedigt indeß durch das Resultat seiner Wache kehrte Beck zurück und erreichte sein eigenes Bett in Sicherheit.