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Zehntes Kapitel.

Das Klappern der Schlange.

Der Fortschritt der Zuneigung zwischen Naturen, wie Percivals und Helenens, begünstigt durch freies und beständiges Beieinanderseyn, war natürlich rasch. Kaum fünf Wochen waren seit dem Tage verflossen, wo er Helenen zuerst gesehen hatte, und bereits betrachtete er sie als seine verlobte Braut. In den ersten Tagen seiner Bewerbung, wo er zum ersten Mal in seinem Leben verliebt und ausschließlich von einem Gegenstand eingenommen war eilte Percival nicht, seine Mutter zur Vertrauten seines Glücks zu machen. Er hatte nur zweimal geschrieben; und obwohl er im zweiten Briefe kurz bemerkte, daß er zwei Verwandte, beide interessant und die eine reizend, entdeckt hätte, so zögerte er doch, sie zu nennen, oder sich ausführlicher auszusprechen. Dieß geschah nicht allein wegen jener unbeschreiblichen Verschämtheit, welche alle erfahren haben, selbst denen gegenüber, mit denen sie am vertrautesten sind, sobald sie die ersten, nur halb offenbaren und geheimnisvollen Bewegungen der Liebe empfanden; es geschah vielmehr, weil Lady Maria's Briefe so voll von der abnehmenden Gesundheit ihrer Schwester und von ihren eigenen Besorgnissen und Befürchtungen gewesen waren, daß er sich gescheut hatte, ihr einen neuen Gegenstand der Unruhe zu geben. Und ein hoffnungsreiches und freudiges Geständniß erschien ihm unter diesen Umständen als unzart und unzeitig. Er wußte, wie beunruhigend nothwendig das Bekenntniß, daß er sich ernstlich einem Mädchen verbunden, die sie nie gesehen, für eine zärtliche Mutter seyn mußte, und daß sein Geständniß eher ihre Sorgen vermehren, als Sympathie mit seinem Entzücken erzeugen würde. Jetzt aber, da er sich voll Ungeduld sehnte, die Einwilligung seiner Mutter zu den förmlichen Anträgen zu erhalten, die er nun Madame Dalibard und Helenen schuldig war, und indem er den letzten Brief seiner Mutter nützte, der bessere Nachrichten über ihre Schwester enthielt und das Verlangen nach näherer Erklärung seiner halben Eröffnung ausdrückte: schrieb er endlich und sprach das ganze Geheimniß seiner Brust aus. An dem nämlichen Tage, wo er dies Geständniß schrieb und seine Wünsche zu rechtfertigen suchte, ist es, wo wir ihn nach dem Hause seiner süßen Freundin begleiten und an ihrer Seite in dem bekannten Garten lassen. Drinnen saß Madame Dalibard, deren Stuhl an's Fenster gerückt war, mit gewissen Briefen beschäftigt, die sie, einen nach dem andern, aus ihrem Schreibtisch nahm und langsam durchlas, während sie von Zeit zu Zeit ihre Augen erhob und nach den jungen Leuten blickte, wie sie Hand in Hand wandelten, bald von dem welkenden Laube verborgen, bald wieder erscheinend. Jene Briefe waren die ersten Liebesbriefe William Mainwarings. Sie hatte sie seit Jahren nicht zur Hand genommen. Vielleicht fühlte sie jetzt, daß diese Nahrung nothwendig sey, um ihre teuflischen Pläne zu unterstützen. Es war ein seltsames Schauspiel, dieses Wesen zu sehen, so voller Lebenskraft, beweglich und rastlos wie eine Schlange; verurtheilt zu dieser hülflosen Schwäche, an den Stuhl gefesselt – nicht wie in der ergebenen und passiven Hinfälligkeit des höchsten Alters, sondern vielmehr wie eine Person, die in der Kraft der Jugend von der Folter gelähmt ist, welche die Glieder unthätig machte und die Seele lebhaft ließ, die Gestalt gleich der einer Todten, das Herz aber voll überwallender Kraft: – die Ohnmacht eines Krüppels und der Wille eines Titanen! Was während dieser traurigen Gefangenschaft und unter dem gewöhnlich von ihr beobachteten Schweigen sich durch die Irrgänge dieser Brust bewegte, das kann man so wenig errathen, als man die Wetter nachzählen kann, welche durch die Höhlungen des undurchdringlichen Felsens toben und brausen, oder die Elemente, die im Busen des Vulkans ewig rastlos kämpfen. Sie hatte gelesen und die Briefe wieder zurückgelegt und blickte nun, die Wange in die Hand gestützt, gedankenlos an die Wand, als Varney plötzlich diese äußere Einsamkeit unterbrach.

Er schloß mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt die Thür hinter sich zu, und indem er sich einen Stuhl dicht zu Lucretia rückte, sagte er: » Belle mère, die Zeit zum Handeln ist für Sie gekommen – mein Theil ist fast vollendet.«

»Ach,« sagte Lucretia unmuthig, »welche Neuigkeit bringen Sie?«

»Erstens,« erwiederte Varney und schloß das Fenster, als könne draußen Jemand sein Flüstern hören, »erstens, Alles, was Helene betrifft, ist endlich in Ordnung. Sie wissen, als ich ihr mit Ihrer Genehmigung zum ersten Mal andeutete, daß Sie leicht in Ihren Vermögensumständen so sehr herabkommen könnten, daß ich mit Bangen an Ihre Zukunft dächte, – daß Sie vor Jahren fast die Hälfte ihrer pekuniären Mittel geopfert hätten, um ihre Eltern zu erhalten – da erinnerte sie mich von selbst, daß sie, sobald sie volljährig sey, Anspruch auf eine Summe habe, die bedeutender sey, als es all' ihre Bedürfnisse erforderten, und –«

»Daß ich mich vom Kinde William Mainwarings und Susanna Mivers' erhalten lassen sollte« – unterbrach ihn Lucretia, »Ich weiß das und ich dank' ihr nicht. Weiter!«

»Und Sie wissen auch, daß ich im Laufe meiner Gespräche mit dem Mädchen wie zufällig hören ließ, daß Sie von den Schicksalen ihres Lebens abhängig wären; daß, wofern sie stürbe (und auch Jugend ist sterblich, eh' das volle Alter eintritt,) die von ihrem Großvater ihr hinterlassene Summe wieder an ihres Vaters Familie fallen würde; und durch solche Andeutungen brachte ich sie zu der Frage, ob es kein Mittel gäbe, um im Fall ihres Todes die Subsistenz für Sie sicher zu stellen. Sie sehen somit, daß der ganze Plan von ihr selbst beschleunigt wurde. Ich gab nur als ein Geschäftsmann das Mittel an – eine Lebensversicherung.«

»Varney, diese Details sind widerlich. Ich zweifle nicht, daß Sie alles gethan haben werden, um Nachforschung zu verhindern und der Gefahr vorzubeugen. Das Mädchen hat ihr Leben um den Betrag ihres Vermögens versichert?«

»Nur zu diesem Betrag! oh! Ihr Tod wird mehr als das einbringen! Da kein einzelnes Bureau höher als mit 5000 Pfund versichern will, und da es leicht war, sie zu überreden, daß solche Bureaus leicht fallen könnten, daß es daher gewöhnlich sey, in mehreren zu versichern und zwar eine weit größere Summe, als die gewünschte, so bracht' ich sie dazu, sich selbst an drei der ersten Versicherungsbureaus zu wenden. Wir werden bei ihrem Tode 15000 Pfund ausgezahlt erhalten. Die Summe wird (und hierbei hab' ich den besten gesetzlichen Rath befolgt) nur für Ihre Rechnung ausgezahlt werden. Wenn daher nunmehr unsere Forschungen fehlschlagen, wenn ihr Sohn nicht gefunden werden kann, um mit genügendem Zeugniß gegen die Interessen und die erkauften Advokaten der Erben sein Recht auf Laughton geltend zu machen, dann wird dies Mädchen uns gut bezahlen, wird ersetzen, was ich, vielleicht auf Gefahr meines Kopfes, gewiß aber auf Gefahr der Transportation, vom Kapital des Vermächtnisses meines Oheims genommen habe; wird ersetzen, was wir auf die Nachforschung verwendeten – und der Rest wird Ihnen eine Unabhängigkeit sichern und fast für Ihre Lebensbedürfnisse ausreichen, mir aber wird er bei Sparsamkeit (dabei lächelte Varney) noch ein Jahr etwa das anmuthige Leben eines Gentleman gewähren. Sind Sie soweit zufrieden?«

»Sie wird glücklich und unschuldig sterben!« murmelte Lucretia mit dem Mißmuth teuflischer Enttäuschung.

»Wollen Sie also warten, bis meine Betrügerei entdeckt ist und ich die Macht nicht mehr habe, Stillschweigen dafür zu erkaufen – warten, bis ich im Gefängniß, auf Leben und Tod in Untersuchung bin? Bedenken Sie: jeder Tag, jede Stunde Verzug bringt Gefahr. Wenn aber auch meine Gefahr mit der Erhöhung Ihrer Rache verglichen nicht in Betracht kommen soll – wollen Sie denn warten, bis Helene Percival St. John heirathet? Sie stützen? Können Sie aber zweifeln, daß dies schuldlose Liebesspiel nicht bald um dénouement führen werde? Erst gestern vertraute mir Percival, daß er seiner Mutter schreiben und ihr all' seine Gefühle und Hoffnungen entdecken wollte; – daß er nur auf ihre Einwilligung warte, um förmlich um Helenen anzuhalten. Nun muß eines von zwei Dingen geschehen. Entweder wird diese Mutter, stolz und eitel, wie vornehme Mütter gewöhnlich sind, die Einwilligung zur Vermählung ihres Sohnes mit der Tochter eines gemeinen Geldwechslers und der Nichte jener Lucretia Dalibard, die ihr Gemahl nicht in seinem Hause aufnehmen mochte, versagen –«

»Halt! Sir!« rief Lucretia stolz, und während zwischen all' den Leidenschaften, die ihr Gesicht verdüsterten und ihre Seele entwürdigten, ein Strahl vom Geist ihrer Ahnen über ihre Stirn leuchtete; doch ging derselbe schnell vorüber und mit trotziger Fassung setzte sie hinzu: »Sie haben Recht; weiter!«

»Entweder – und Sie müssen mir eine Kränkung verzeihen, die ich nicht veranlasse – entweder wird dies der Fall seyn; Lady Marie St. John wird voll Unruhe nach London eilen; sie übt außerordentlichen Einfluß auf ihren Sohn; sie kann ihn vielleicht ganz von uns zurückziehen, von mir sowohl wie von Ihnen, und die uns jetzt gebotene Gelegenheit kann (wer weiß!) auf immer verloren seyn; oder sie zeigt sich als schwaches und zärtliches Weib – läßt sich in Italien durch ihrer Schwester Krankheit zurückhalten, wünscht vielleicht eifrig, daß der letzte direkte Nachkomme der St. Johns sich beizeiten vermähle und willigt, durch ihres Lieblings Bitten bewogen, sofort in die Verbindung. Auch kann ein dritter Fall, den Percival für den natürlichsten hält und den ich, obwohl am unwillkommensten für uns Alle, beinahe vergessen hätte, angenommen werden. Sie kann nach England kommen, und kann, in der Absicht ihres Sohnes Wahl mit eigenen Augen zu beurtheilen, Helenen aus ihrer Behausung nach der ihrigen ziehen. Jedenfalls ist Verzug gefährlich, gefährlich auch ganz abgesehen von meinem persönlichen Interesse und nur hinsichtlich Ihres eigenen Zweckes. – Es können dadurch neue und forschende Blicke über unsere Handlungen kommen, die gewöhnliche Anwesenheit Percivals, oder Helenens, oder beider kann uns dadurch entzogen werden, und beide können, bei dem ersten Anfall von Unwohlseyn, mit Freunden und furchtbaren Vorsichtsmaßregeln umgeben seyn. Jetzt sind die Vögel in Ihrer Hand. Warum nun den Käfig öffnen und sie fliegen lassen, um das Netz auszubreiten? An diesem Morgen sind alle Urkunden mit den Versicherungsgesellschaften geschlossen worden, Es erübrigt nur, daß ich die ersten Vierteljahresprämien zahle. Darauf hoffe ich vorbereitet zu seyn, ohne ferner Ihre Mittel oder meine eigenen dürftigen Quellen in Anspruch zu nehmen, um die sich Grabman hinreichend bekümmern wird.«

»Und Percival St. John?« sagte Madame Dalibard. »Wir brauchen keine unnützen Opfer. Wenn mein Sohn nicht gefunden wird, so ist nicht nöthig, daß dieses Knaben Geist unter denen wandelt, die uns ohnedies heimsuchen.«

»Allerdings nicht,« sagte Varney; »und was mich anlangt, so kann er mir lebendig mehr nützen, als todt. Sein Leben ist nicht versichert, und ein reicher Freund (ein so leichtgläubiger Gelbschnabel zumal!) gehört nicht unter die Heerde von Hähnen, die man klüglicherweise tödten müßte, um ein goldenes Ei zu gewinnen. Percival St. John ist Ihr Opfer, nicht meines. – So lange Sie mir nicht Auftrag geben, werde ich keinen Finger bewegen, um ihm ein Leid zu thun.«

»Ja, er möge leben, wofern mein Sohn nicht gefunden wird,« sagte Madame Dalibard, fast freudig; »er mag leben, um jene schönwangige Närrin zu vergessen, die jetzt, wie Sie sehen, so entrückt auf seinem Arme ruht und in den hohlen Liebesgelübden von Ewigkeit träumt! – Er lebe, um sie durch Vergessenheit zu kränken, wenn auch erst im Grabe, um über seine kindischen Träume zu lachen – um ihr Andenken in den Armen von gemeinen Dirnen zu schmähen! O, wenn die Todten Schmerz empfinden können, so mag er leben, damit sie jenseit des Grabes seine Unbeständigkeit und seinen Fall empfindet! Ich glaube, dieser Gedanke wird mich trösten, wenn Vincent nicht mehr lebt und ich kinderlos in der Welt stehe!«

»So ist es beschlossen,« sagte Varney, stets zu jedem Unternehmen bereit, welches Gold versprach und die Besorgnisse wegen Entdeckung seines Betrugs bannte. »Und nun werde ich, so bald es geschehen kann, Ihren geräuschlosen Händen das Mädchen übergeben. Sie hat lange genug gelebt!«


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