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Fünftes Kapitel.

Der Weber und das Gewebe.

» Und während wir,« sagte Varney, »einem eingebildeten Leitfaden folgen und jenem jungen Rechtsgelehrten zuerst einen Namen und dann ein Vermögen zu verschaffen suchen, welche Schritte haben Sie indeß gethan, um der Gefahr, die mich bedroht, zu begegnen? um, wofern unsere Nachforschungen fehlschlagen, für Sie selbst die Unabhängigkeit zu sichern? Monate sind verstrichen und Sie haben sich stets gescheut, den großen Plan zu verfolgen, nach welchem wir bauten, als die Tochter Susanna Mainwaring's in Ihr Haus aufgenommen wurde.«

»Warum mich in diesen seltenen Augenblicken, wo ich mich noch menschlich fühle, – warum mich da zu dem tiefsten Abgrund von Rache und Verbrechen zurückrufen? O, laß mir die Gewißheit, daß ich noch einen Sohn habe! Selbst wenn John Ardworth, mit seinen Gaben und seiner Energie, mir versagt würde! – einen Sohn, wenn auch in Lumpen, ich will ihm Reichthum geben! – einen Sohn, wenn auch unwissend wie der gemeinste Bauer, ich will ihm meine düstre Weisheit in's Hirn senken! – einen Sohn – einen Sohn – mein Herz schwillt bei dem Worte! Ach, Sie lachen spöttisch! Ja, mein Herz schwillt, aber nicht mit der abgeschmackten Zärtlichkeit einer schwachen Mutter. In einem Sohne werd' ich wieder leben – werde, aus diesem gequälten und abscheulichen Leben versetzt, neue Jugend gewinnen. In ihm werd' ich von meinem Fall erstehen – stark in seiner Macht, – groß in seiner Macht, – groß in seiner Größe. Nur darum, weil ich als ein Weib geboren wurde, des Weibes armselige Leidenschaften und gemeine Schwachheit hatte, bin ich, was ich bin, – ich möchte mich in die Seele des Mannes versetzen – des Mannes, der die Kraft zu handeln und das Vorrecht zu steigen hat. In das Erz der männlichen Natur möcht' ich die Erfahrung strömen, welche mit ihren wilden Elementen das schwächere Gefäß aus Thon gebrochen hat. Ja, Gabriel, zur Vergeltung für Alles, was ich für Sie that und opferte, fordere ich nur die Mitwirkung in dieser einen Hoffnung meines zerrissenen und vom Sturme mitgenommenen Wesens. Hüten Sie sich – erwarten Sie – setzen Sie nicht diese Hoffnung durch ein kleinliches Verbrechen auf's Spiel, welches uns Beiden Entdeckung bereiten wird – das nur ein verbrecherisches Gelüst befriedigt, nicht werth des Schreckens, der ihm auf den Fersen folgt.«

»Sie vergessen.« antwortete Varney mit einer Art unterwürfiger Verstocktheit – denn was auch zwischen diesen beiden Personen in ihrer geheimen und furchtbaren Vertraulichkeit vorgegangen war, so besaß Lucretia doch noch immer eine Macht, die ihren Fall mitten unter den Feinden überlebte und die Varney die einzige Achtung einflößte, die er gegen Mann oder Weib empfand – »Sie vergessen ganz und gar den Charakter unseres genauen und meisterhaften Planes, wenn Sie von ›kleinlichen Verbrechen‹ oder ›verbrecherischem Gelüst‹ sprechen! Auch vergessen Sie, daß jede Stunde, welche wir verschwenden, die Gefahr erhöhet, die uns umringt, und den einzigen Gefährten von Ihrer Seite verscheuchen kann, der Ihre Pläne zu unterstützen vermag – ja, ohne den sie gänzlich fehlschlagen müssen. Lassen Sie mich zuerst von der dringendsten Gefahr sprechen, denn Ihr Gedächtniß scheint kurz und gestört, seit Sie nur noch die Entdeckung Ihres Sohnes zu hoffen vermögen. Wenn jener Mann, Stubmore, der nun nach meines Onkels Testament mit der Pflegschaft bekleidet ist, einmal zur Stadt kommt, wenn er einmal um seine verwünschten Pläne, das Geld aus der Bank von England zu ziehen, Lärm zu machen beginnt, dann wird, ich versichere Sie wiederholt, meine Betrügerei bei der Bank entdeckt werden, und Transportation Das englische Wort bedeutet hier »Deportation«, nämlich als Verbrecher nach Australien. wird meine geringste Strafe seyn; zum Theil wurde der Betrug, wie Sie wissen, Ihretwegen verübt, um das für die Erforschung Ihres Sohnes nöthige Geld zu schaffen; er wurde unter der klaren Uebereinkunft begangen, daß unsere Pläne hinsichtlich Helenens mich bezahlen – mich in Stand setzen sollten, vielleicht unentdeckt die entzogenen Summen zurückzuerstatten, oder, im schlimmsten Falle, Stubmore, dessen Charakter ich kenne, zu gestehen, daß ich, von Mißlichkeiten bedrängt, der Versuchung nachgegeben, daß ich seinen Namen (wie seines Vaters Namen) gefälscht, um das Capital der Bank entnehmen zu können, und daß ich nun, indem ich das Geld ersetze, meinen Fehler gut mache, und mich seiner Nachsicht, seinem Schweigen anvertraue. Ich sage, ich weiß genug von dem Manne, um zu wissen, daß ich mich wohlfeil retten werde, oder daß ich im schlimmsten Falle sein Mitleid nur zu stärken brauche, indem ich seine Habsucht besteche. Kann ich aber das Geld nicht ersetzen, so bin ich verloren.«

»Gut, gut,« sagte Lucretia, »das Geld sollen Sie haben, aber lassen Sie mich nur meinen Sohn finden, und –«

»Gönnen Sie mir Geduld!« rief Varney heftig; »allein was kann Ihr Sohn, wenn er gefunden ist, anfangen, wenn Sie ihm nicht die Erbschaft von Laughton zuwenden? Damit dies geschehen kann, muß Helene, die, der Erbschaftsordnung zufolge, nach Percival St. John kommt, aufhören zu leben! half ich Ihnen nicht – helf' ich Ihnen nicht stündlich in Ihren großen Plänen? Diesen Abend werd' ich einen Mann sehen, den ich lange aus den Augen verloren habe, der aber in der juristischen Laufbahn die ächte Spürkraft erworben hat, um zu finden, was wir suchen. So eben hab' ich seine Adresse erfahren. Morgen schon soll er auf der Fährte seyn. Ich habe mich selber beschränkt, um von den Ergebnissen der letzten Betrügerei das Gold zu ersparen. womit sein Eifer angefeuert werden muß. Im Uebrigen bedingt, wie gesagt, Ihr Plan die Beseitigung zweier Leben. Ueber das eine, schwerer zu treffende schleicht bereits der Todesschatten und das Leichentuch hängt über ihm. Wie Sie wünschten und wie es nothwendig war, habe ich den vertrauten Bekannten des jungen St. John gewonnen; wenn die Stunde kommt, ist er in meinen Händen.«

Lucretia lächelte düster. »So,« sagte sie, zwischen den Zähnen murmelnd, »der Vater verbot mir das Haus, welches mein Erbe war! Ich brauche nur einen Finger zu heben oder ein Wort zu flüstern, und ich verdränge, so verlassen ich auch bin, den Sohn aus jenem Hause! Der Räuber ließ mir die Welt – ich lasse seinem Sohne das Grab!«

»Aber,« sagte Varney, der seinen Zweck hartnäckig verfolgte, »warum bin ich zu wiederholen genöthigt, daß dies nicht das einzige Leben zwischen Ihnen und Ihres Sohnes Erbschaft ist? Wenn St. John dahin, bleibt doch Helene noch übrig. Und wenn Ihre Nachforschungen fehlschlagen, geht uns nicht die reichste Ernte verloren, die uns Helene gewähren kann? eine Ernte, die Sie mit derselben Sichel schneiden, welche auch für Ihre Rache erntet? Sehen Sie nicht mehr in Helenens Gesicht die Züge ihrer Mutter? Ist die Treulosigkeit Mainwaring's vergessen oder vergeben?«

»Gabriel Varney,« sagte Lucretia mit hohler und zitternder Stimme, »als ich in jener Stunde, wo mein ganzes Wesen erschüttert war, wo ich hörte, wie das Tau vom Anker riß und wie sich die Dämonen des Sturmes um mein Boot sammelten – als ich in jener Stunde mich ruhig niederbeugte, um meiner Nebenbuhlerin Stirn zu küssen, da flüsterte ich einen Eid, den mir nicht meine eigene Seele, sondern eine Gewalt einzugeben schien, die fortan mein Schicksal lenkte – ich gelobte, daß die mir bewiesene Untreue vergolten werden sollte – ich gelobte, daß das Verderben meines eigenen Seyns auf die Stirn fallen sollte, die ich küßte. Ich gelobte, daß ich, wenn Schaam und Schmach das von mir verwirkte Erbe ersetzten, unter dem Hohne der erbarmenlosen Welt nicht allein stehen wollte. Im Traume meiner Angst sah ich in der Ferne den geschmückten Altar und das bereitete Brautgemach, und ich hauchte, stark wie Prophezeihung, meinen Fluch auf das Hochzeitshaus und das Hochzeitsbett. Warum dann wähnen, daß ich das verhaßte Kind dieses verhaßten Bundes aus Ihrer Gewalt erretten möchte? – Allein, ist die Zeit gekommen? Die Ihre mag gekommen seyn – die meinige auch?«

Es lag in dem Blicke seiner Mitschuldigen etwas so Furchtbares, etwas so Mächtiges im Hasse ihrer leisen Stimme, daß Varney, so verworfen er war, und obwohl er in dieser Stunde auf das ärgste, abscheulichste Verbrechen sann, erschrocken zurückbebte.

Madame Dalibard begann in etwas sanfterem Tone, freilich nur durch die Angst der Verzweiflung gemildert, auf's neue:

»O! wär' es anders gewesen, was konnt' ich geworden seyn. Von dieser Stunde hingegeben dem personifizirten Verbrechen selbst – ohne Kraft, dem schlimmen Antriebe meines eigenen wahnsinnigen Herzens zu widerstehen – während mich der vom Schicksal aufgedrungene Gefährte tiefer und tiefer in diese Hölle ohne Ausweg führt – von dieser Stunde, Betrug auf Betrug, Schuld auf Schuld, Schmach gehäuft auf Schmach, bis ich dastehe, und über mich selber staune, daß mich der Blitzstrahl des Himmels nicht trifft – daß die Natur nicht von ihrem Busen die Uebertreterin all' ihrer Gesetze stößt! Hatte ich nicht recht, Vergeltung zu wünschen? Jede Stufe, die ich sank, jeder Blick, den ich dem Abgrund unten schenkte, steigerte nur in mir das Verlangen nach Rache. All' mein Handeln entsprang aus Einem Quell – kann der Strom befleckt dahinfließen und der Quell rein entspringen?«

»Sie haben Ihre Rache an Ihrer Nebenbuhlerin und ihrem Gatten befriedigt.«

»Ich befriedigte sie, und ich ging vorüber!« sagte Lucretia, während ihre Miene stolzen Triumph ausdrückte; »sie waren niedergeschmettert, und ich ließ sie leben! Ja, als ich zufällig von William Mainwarings Tode hörte, senkte ich mein Haupt nieder und weinte, glaub' ich beinahe. Die alten Tage kehrten zu mir zurück. Ja, ich weinte; aber ich hatte ihre Liebe nicht vernichtet. Nein, nein; da hatt' ich gefehlt. Ein Pfand dieser Liebe lebte noch. Ich hatte ihr Haus öde gelassen; das Schicksal sendete ihnen einen Trost, den ich nicht vorhergesehen. Und plötzlich kehrte mein Haß zurück, meine Beleidigung erwachte wieder, meine Rache war nicht gestillt. Die Liebe, die mehr als mein Leben, meine Seele, zerstört hatte, kam wieder und quälte mich durch Helenens Anblick. Der Schwur, den ich that, als ich der Nebenbuhlerin Stirn küßte, verlangte noch eine Beute, als ich das Kind jener Ehe küßte.«

»Endlich sind Sie also bereit, zu handeln?« rief Varney im Tone wilder Freude

In diesem Augenblick vernahm man dicht unter dem Fenster, plötzlich und süß, eine singende Stimme – die jugendliche Stimme Helenens. Die Worte waren so deutlich, daß sie von dem unheilbrütenden verbrecherischen Paar verstanden wurden. Im Liede selbst war wenig Bemerkenswerthes oder besonders für das Gewissen derer Passendes, die es hörten; aber in der außerordentlichen und rührenden Reinheit der Stimme, und in der Unschuld überhaupt, welche die Worte athmeten, mochten sie auch ein gewöhnliches Bild enthalten, lag gleichwohl etwas, was so furchtbar mit ihrem eignen Sinnen und Denken contrastirte, daß sie schweigend dasaßen, einander stumm in's Gesicht blickten und zurückbebten, als wollten sie ihre Augen in ihr eigenes Innere wenden.

Helenens Lied:

»Ihr Blumen welkt, doch überdauert
  Die Blüth' euer süßer Duft!
So mag mein irdisch Leben süßer
  Erblühn jenseits der Gruft!

Heilkraft entdeckt in welken Blättern
  Der Schnitter – also kann
Verwelkte Hoffnung auch noch leben
In Tugenden fortan!

O, nicht umsonst habt Ihr gegeben
  Die hohe Lehre mir:
Daß Wünsche, süß gen Himmel schwebend,
  Noch heilsam wirken hier.«

Der Gesang endete, aber noch immer schwiegen die Lauscher, bis endlich Varney, den Eindruck von sich schüttelnd, mit seinem ironischen Lachen sagte:

»Süße Unschuld, frisch aus der Kinderstube! Wär's nicht Sünde, sie von der Welt verderben zu lassen? Sie hören das Gebet – warum es nicht erfüllen und die Blume hier › heilsam wirken‹ lassen?«

»Ach, könnte sie erst welken!« murmelte Lucretia im Tone unterdrückter Wuth. »Meinen Sie, ihre – seine Tochter gälte mir nur für ein gewöhnliches Leben, das man für Geld opfere? Setzen Sie sich über Ihr Geschlecht weg, Mann! Nur Frauen wissen, was ich – denn ein Weib bin ich doch – in der Gegenwart der Unschuld fühle! Glauben Sie nicht, daß ich den Tod für einen Segen gehalten haben würde, wenn er mich in solcher Jugend getroffen hätte? Ach, könnte sie nur leben, um zu leiden! Sterben! Gut, wenn es seyn muß, wenn mein Sohn dies Opfer verlangt, so thun Sie mit dem Opfer, was Sie wollen, welches der barmherzige Tod meiner Gewalt entreißt. Gern hätte ich ihr Leben verlängert, um ihm einen Theil des Fluchs aufzuladen, den ihre Eltern auf mich häuften – vereitelte Liebe, Verderben und Verzweiflung! Bei dieser Theilung der Beute hätte ich hoffen können, daß mein die Rache und das Gold euer sey. Sie wollen das Leben – ich das Herz; erst das Herz quälen und dann – ja, dann hätte ich bereitwilliger als jetzt das Aas dem Schakal hinwerfen können!«

»Horch!« sagte Varney, als sich die Thür öffnete, und Helene selbst, harmlos lächelnd, auf der Schwelle stand.


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